Ernährung und Landwirtschaft. Die Frage, ob das massenhafte Keulen infizierter Tiere auch in Zukunft die einzig wirksame Vorgehensweise gegen die Vogelgrippe ist, bleibt unter Experten umstritten. In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sagte der niederländische Virologe Professor Albert Osterhaus am 6. Juli, es werde in der Zukunft möglich sein, einen hochwertigen Impfstoff zu benutzen.
Osterhaus schloss die Möglichkeit einer Vogelgrippe-Pandemie nicht aus. Derzeit sei es zwar ruhig, doch sei in den Wintermonaten ein neuerliches Auftreten der Vogelgrippe zu erwarten. Wahrscheinlich werde es erforderlich, auch für Katzen einen Impfstoff zu entwickeln. Für Geflügel böten derzeit drei Hersteller Impfstoffe gegen das H5N1-Virus an. "Es gibt keine Probleme für die Volksgesundheit", betonte der Wissenschaftler.
Martinus Weijtens vom niederländischen Ministerium für Landwirtschaft, Natur und Lebensmittelqualität fügte hinzu, auf lange Sicht sei die Impfung voraussichtlich kostengünstiger als die Keulung der Tiere und die damit verbundene Entschädigung der Bauern. In den Niederlanden hätten mittlerweile 1.000 Hobby-Geflügelhalter ihre Tiere gegen die Vogelgrippe impfen lassen, bei den kommerziellen Geflügelhaltern seien es bisher nur vier gewesen.
In den Niederlanden müssen infizierte und geimpfte Tiere nach Weijtens' Darstellung voneinander unterscheidbar sein, damit ein Impfstoff gegen die Vogelgrippe eingesetzt werden kann. Aus diesem Grund müsse ein so genannter Diva-Test, der eine solche Unterscheidung ermöglicht, zur Verfügung stehen. Die geringe Beteiligung führte Weijtens bei den gewerblichen Haltern auf deren Befürchtung zurück, sie könnten die Produkte geimpfter Tiere schlecht verkaufen. Die Bauern, die Legehennen aus Freilandbetrieben impfen ließen, hätten allerdings keine Probleme gehabt, die Eier dieser Hennen abzusetzen.
Weijtens hielt die Stallpflicht nicht für eine dauerhafte Lösung, gerade für die Hobby-Tierhalter stelle sie ein Problem dar. Nach den Worten des holländischen Experten gibt es im Nachbarland eine lückenlose Registrierung, jedes geimpfte Tier bekomme einen Fußring. Eier und Fleisch geimpfter Tiere könnten in der EU frei vermarktet werden.
Auch nach Auffassung von Michael Starp vom Deutschen Bauernverband ist die bisher verfolgte Keulstrategie nicht zukunftsfähig. Eine Impfstrategie müsse allerdings von den Verbrauchern und vom Handel akzeptiert werden, und es müssten geeignete Impfstoffe zur Verfügung stehen. Detlef Breuer von der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands forderte eine breit angelegte Studie über die Übertragungswege der Vogelgrippe. Auch müsse die EU-Kommission ihre Impfpolitik ändern, damit das Fleisch notgeimpfter Tiere frei handelbar wird.
Gegen eine Impfung des Geflügels sprach sich Matthias Voss vom Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft aus. Derzeit gebe es keine Impfstoffe, die wirksam genug seien. Daher wäre eine Verschleppung der Viren in andere Bestände nicht auszuschließen. Es sei die Position der deutschen Geflügelwirtschaft, dass eine Impfung gegen Vogelgrippe derzeit nicht flächendeckend etabliert werden sollte, selbst dann, wenn geeignete Impfstoffe zur Verfügung stünden. Die Geflügelwirtschaft wolle eine enge Zusammenarbeit mit der staatlichen Tierseuchenbekämpfung, sagte Voss.
Professor Erhard Kaleta von der Justus-Liebig-Universität Gießen betonte, ein Impfstoff müsse die Verschiedenheit der Viren berücksichtigen. Es gebe keine ernsthafte Chance, das Virus aus den Wildvogel-Populationen herauszudrängen. Die Verbreitungswege seien unterschiedlich. In Asien sei der Handel mit lebendem Geflügel weit verbreitet, sodass Kontakte dort immer wieder auftreten. Immunität sei Wunschdenken, so Kaleta, keine realistische Möglichkeit.
Der ostwestfälische Tierarzt Manfred Pöppel nannte die Zahl von 25 bis 35 Millionen Euro, welche die Geflügelhalter durch die Keulungsaktionen verloren hätten. Auch er sieht zurzeit "keine vernünftige Impfstrategie". Eine Notimpfung empfahl er nur dann, wenn die jetzige Bekämpfung der Vogelgrippe durch Keulen "uns überrollen würde". Pöppel plädierte dennoch dafür, an Strategien weiterzuarbeiten. Bei einem hohen "Infektionsdruck" werde es nicht ausreichen, einzelne Tiere zu töten. Vor allem die EU müsste ihre Einstellung zur Tierseuchenbekämpfung überdenken.