István Takacs hat einen Lieblingsspruch: "Jeder Mensch ist ein Abgrund. Es schwindelt einen, wenn man hinabsieht." Er stammt aus Georg Büchners "Woyzeck" und hat den 17-jährigen Rumänen tief beeindruckt: "Ich finde, das ist die gelungens- te Metapher, die je ein Mensch geschrieben hat." Der Schüler aus Klausenburg liebt die deutsche Sprache, weil sie so "ausdrucksstark und vielfältig" ist. István muss es wissen. Seit er ein Kind war, hat er sich mit Deutsch beschäftigt: Zunächst, indem er deutsches Fernsehen sah - Zeichentrickfilme oder Serien etwa. Als dann der Deutschunterricht in der 5. Klasse begann, konnten die Lehrer István nicht mehr viel Neues beibringen. Heute liest er Thomas Mann mit Begeisterung und ist vor allem aus einem Grund froh, Deutsch zu können: "So kann ich die Schriften deutscher Philosophen im Original lesen", sagt er stolz. István ist ein Fan von Kant - und im Übrigen einer der besten Deutsch-Schüler seines Landes.
Die Besten der Besten - 50 Schüler aus 17 Ländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa - waren bis 15. August in Berlin zu Gast, um das Land kennenzulernen, dessen Sprache sie schon nahezu perfekt beherrschen. In ihren Heimatländern haben die 15- bis 19-Jährigen bei so genannten Deutsch-Olympiaden, bei Grammatiktests, Übungen zum Hörverstehen und in Gesprächen gezeigt, was sie können. 40.000 Schüler nahmen insgesamt an diesen Wettbewerben teil. Die 50 Gewinner erhielten ein Stipendium für die dreiwöchige Sommerakademie in Berlin, deren Gastgeber die "Initiative Deutsche Sprache" ist. Gabriele Stiller-Kern, die Geschäftsführerin der Initiative, ist sich sicher: "Es ist schwer, Interesse für Deutsch zu wecken, wenn wir selbst ein unterkühltes Verhältnis zur eigenen Sprache haben." Deshalb will die Initiative vor allem Lust auf Deutsch machen: mit Wettbewerben, mit Lesungen und dem Stipendiatenprogramm "Wir können deutsch! Die Besten von Riga bis Belgrad". Das Engagement trägt bereits Früchte: Die Zahl der Schüler, die in Mittel-, Ost- und Südosteuropa Deutsch lernen, wächst wieder. Seit dem Beitritt der osteuropäischen Länder zur EU ist Deutsch sogar zur zweiten Fremdsprache in Europa geworden und hat damit Französisch überholt. Besonders groß ist das Interesse etwa in Polen und in der Slowakei, wo rund die Hälfte aller Schüler Deutsch lernen.
Inzwischen fand die Sommerakademie schon zum zweiten Mal statt. Und auch diesmal haben die Schüler in der deutschen Hauptstadt nicht nur einen klassischen Sprachkurs absolviert, sondern auch an besonderen Projekten gearbeitet: Einige haben Reportagen über das, was sie in Berlin erlebten, geschrieben, andere drehten einen Kurzfilm. Zusammen mit Musikern und Sprachkünstlern feilten sie zudem an einem Programm für die Abschluss-Gala: Den 150. Todestag des Dichters Heinrich Heine nahmen István und die anderen zum Anlass, um sich dessen Gedichten und Erzählungen auf unkonventionelle Weise zu nähern.
Die 15-jährige Warschauerin Agnieszka Soporowska spricht Deutsch sogar lieber als ihre Muttersprache. "Deutsch wird zu Unrecht als hart klingende Sprache gescholten", sagt sie. Und auch die 19-jährige Maria Külvja aus Estland schwärmt: "Es gibt so viele wunderschöne deutsche Worte, Morgengrauen zum Beispiel." Das Lieblingswort von Marko Kivila jedoch überrascht: Die "Bordsteinkante" hat es dem 18-Jährigen aus Talinn angetan. "Das klingt doch krass!", sagt er und wiederholt es Laut für Laut. Die "Bordsteinkante" hat sich mittlerweile zum Running Gag der Sommerakademie entwickelt. Sogar in einem der HipHop-Songs, den die Schüler getextet haben, hat sie sich zur Freude aller eingeschlichen. "Bordsteinkante" ruft Marko gleich noch mal. István und die anderen brechen in Gelächter aus.