Mehr Demokratie wagen" hatte Bundeskanzler Willy Brandt 1969 zur Maxime seiner Innenpolitik gemacht: Dementsprechend schickte sich die von ihm geführte neue SPD/FDP-Koalition an, Politikfeld für Politikfeld einer Prüfung zu unterziehen. Ob soziale Sicherung oder innerbetriebliche Mitbestimmung, Straf- oder Familienrecht - zahlreiche Reformen sollten künftig für mehr individuelle Freiheit und soziale Gerechtigkeit sorgen. Das galt auch für die Bildungspolitik: Es ging um Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem. Aus Mangel an finanziellen Mitteln sollte kein junger Mensch in Deutschland auf eine Hochschulausbildung verzichten müssen. Außerdem brauchte die Wirtschaft dringend hochqualifizierte Arbeitskräfte. "Aktivierung von Bildungsreserven" war das Schlagwort jener Tage.
Das geplante Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) sollte endlich neben Schülern auch Studenten und Auszubildende in eine bundeseinheitliche Förderung einbeziehen. Entsprechend groß waren die Erwartungen. Doch als Käthe Strobel, die damalige Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, den Gesetzentwurf im Juni 1971 vorlegte, hagelte es Protest von allen Seiten: Der Förderungshöchstsatz von 420 DM sei viel zu gering, kritisierte der Verband Deutscher Studentenschaften und fand sich in seltener Allianz mit der CDU/CSU-Opposition. Die beklagte, der Strobel-Entwurf sei nicht nur ein "Abklatsch", sondern sogar schlechter als die bisherigen Förderungsmodelle. Die CDU/CSU - und sogar einige SPD-regierte Länder - kündigten Widerstand im Bundesrat an, falls die Finanzierung des BAföG zu stark zu ihren Lasten gehen sollte. Heftige Kritik der Hochschullehrer rief vor allem der Plan hervor, künftig die Mittelvergabe den Studentenwerken zu entziehen und Ausbildungsförderungsämtern zu übertragen. Das sei ein Eingriff in die Autonomie der Universitäten, monierte darauf die Rektorenkonferenz. In einem Schreiben riet das Studentenwerk München seinen Studierenden, schon mal mit dem Sparen zu beginnen: Es könne bei einem "Wechsel der Zuständigkeiten im Oktober 1971 zu Verzögerungen der Auszahlungen" kommen.
Tatsächlich hatte Strobels Gesetzentwurf deutliche Schwächen: Er legte zwar die Grundlage für eine breitere Vergabe von Stipendien anstatt von Darlehen, aber die Leistungsverbesserung gegenüber dem Honnefer Model war nur minimal. Das Gesetz schaffte es nicht, die Ausbildungsförderung grundsätzlich familienunabhängig zu gestalten. Die Vergabe des BAföG sollte wie ehedem mit dem Einkommen der Eltern verknüpft sein. Auch die Förderung von Migrantenkindern blieb vorerst nur ein Forderung und wurde wegen zu hoher Kosten verschoben.
Am 26. August wurde das Bundesausbildungsförderungsgesetz verabschiedet, nach langen Diskussionen in Bundestag und Bundesrat und der Anrufung des Vermittlungsausschusses. Ein Ende der Aufregung, die angesichts der jetzigen BAföG-Praxis und Studiengebühren heute manchem wie ein Sturm im Wasserglas erscheinen mag, war damit aber noch nicht in Sicht.
Bereits zwei Jahre später gingen die Studenten wieder auf die Straße. Der Grund: Die Förderungssätze waren trotz steigender Inflationsrate nicht erhöht worden. "Der Spiegel" kritisierte die "materielle Misere" der deutschen Nachwuchsakademiker und zitierte den bildungspolitischen Sprecher der CDU/ CSU Anton Pfeifer, der ins gleiche Horn stieß: "Das ist ein Stück sozialer Rückschritt". Unisono forderten im November 1973 Opposition und Studentenverbände eine BAföG-Erhöhung, während Finanzminister Helmut Schmidt den "gestiegenen Förderaufwand" beklagte und anregte, die "Umstellung auf Darlehensformen zu erwägen."
Diesen Vorschlag griff jedoch 1982 erst die Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl auf und erntete dafür die wohl heftigsten Studenten- und Schülerproteste seit Bestehen der Bundesrepublik. In Bonn versammelten sich
im Dezember 1982 auf der Hofgartenwiese rund 60.000 Menschen, um gegen den bevorstehenden "sozialen Kahlschlag" zu demonstrieren. Der Präsident der Rektorenkonferenz George Turner fürchtete gar, dass sich Begabte aus Angst vor einem "Schuldenberg" vom Studium "abschrecken" lassen würden und nur noch die "zweite Garde" an die Hochschule käme - die, die es sich leisten könne. Alle Proteste halfen nichts: Elf Jahre nach seiner Einführung beschloss die Koalition aus CDU/CSU und FDP, das BAföG als Stipendium vollständig zu streichen und die staatliche Förderung auf Darlehen umzustellen. Vielen erschien dies als Abschied auf Raten vom einst erklärten Ziel der Chancengleichheit.