Manchmal verschwinden große Dinge ohne lautes Tamtam. Als etwa 1806 der Habsburger Kaiser Franz II. für immer die Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation niederlegte, da kam diese Abdankung allenfalls noch einer Fußnote in der europäischen Geschichte gleich. Das Alte Reich, das gut 850 Jahre die Geschichte Mitteleuropas beherrschte, hatte sich längst selbst überlebt.
Ein solches Ende hatte sich lange angekündigt. Bereits mit dem Ausgang des Dreißigjährigen Krieges und dem Westfälischen Frieden waren die kaiserlichen Urkunden oft nicht einmal mehr das Papier wert, auf dem die Habsburger seit der Krönung Friedrich III. stolz die Regentschaft über das Sacrum Romanorum Imperium verzeichneten. Das Zentrum war an die Ränder gerückt, und große Geschichte ging allenfalls noch von den zersplitterten Territorialstaaten aus.
Anlässlich des 200. Jahrestages dieses Endes ohne Aufsehen zeigt der Europarat im Kulturhistorischen Museum Magdeburg und im Berliner Deutschen Historischen Museum eine große zweiteilige Ausstellung. Diese verfolgt die Entwicklungsstränge des Heiligen Römischen Reiches von seinem Gründungsakt, der Krönung Ottos I. im Dom zu Magdeburg im Jahr 962, bis zu seinen kulturhistorischen Nachbeben im Laufe des 19. Jahrhunderts. Während dabei in Magdeburg unter dem Titel "Von Otto dem Großen bis zum Ausgang des Mittelalters" die ersten 500 Jahre des Reiches gewürdigt werden, untersucht die Berliner Ausstellung "Altes Reich und neue Staaten" seine Spätphase.
Zusammen dokumentieren sie präzise jene großen europäischen Fußstapfen, in die am Beginn des Zeitalters der Nationalstaaten niemand mehr recht treten wollte. In der napoleonischen Zeit mit seinem aufkeimenden bürgerlichen Bewusstsein erschien das vornationale Heilige Römische Reich samt seiner dualistischen Ordnung aus Wahlkönigtum und Reichsständen allenfalls noch als verzopfte Angelegenheit aus dunkler Vorzeit. Dennoch, so bezeugen die zwei Ausstellungen mit ihren jeweils mehr als 650 Exponaten: Das Reich war nicht nur prägend für das Gesicht Alteuropas; auch das zeitgenössische Europa trägt noch tiefe Spuren jener verschlungenen Zeitenläufe in sich, die vom Investiturstreit über die Reformation bis hin zur Aufklärung reichen. Die Kuratoren haben sich daher nicht darauf beschränkt, eine Chronik vergangener Ereignisse zu erstellen; vielmehr waren sie darauf bedacht, die komplexen sozialen und politischen Strukturen, die sich herausbildenden Rechtsordnungen und die sich wandelnden Symbole der Herrschaft zu dokumentieren. So bleibt aus dem großen Wust historischer Informationen am Ende mindestens eine im Gedächtnis haften: Das multi-ethnische und vielsprachige, das dezentrale und multi-konfessionelle Europa ist nicht zu verstehen, ohne einen ausführlichen Blick in seine lange Kinderstube.
Hinweis: Die Ausstellung "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 - 1806" ist noch bis zum 10.12. im Kulturhistorischen Museum Magdeburg und im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen.