Die Macht von Diktatoren basiert auf Unterdrückung und Gewaltherrschaft, aber auch auf ihrer Fähigkeit, Menschen für sich zu gewinnen und zu manipulieren. Wie Saddam Hussein dies gelang, lässt sich in dem Lebensbericht der Irakerin Zainab Salbi beispielhaft nachlesen. In "Zwischen zwei Welten. Die Jahre bei Saddam und meine Flucht aus der Tyrannei" erzählt sie ihre und die Geschichte ihrer Familie in den Herrschaftsjahren des Despoten von 1979 bis 2003. Spannend schildert sie, wie ihre Eltern, beide liberale aber unpolitische Mitglieder der Oberschicht, zunächst einer Bekanntschaft des Emporkömmlings Saddam Hussein systematisch aus dem Weg gehen, um letztlich aber immer tiefer in die Kreise jener Personen zu geraten, die zu den "Freunden" des neuen Machthabers gezählt werden. Salbi beschreibt diese Entwicklung aus der Sicht des damaligen Kindes und Teenagers und verzichtet fast gänzlich darauf, nationale sowie internationale politische Zusammenhänge in Bezug zu ihrem eigenen Erleben zu setzen. Der Leser erhält vielmehr Einblick in die Welt eines Mädchens, das einerseits das Leben einer Privilegierten mit Klavierstunden, Shoppen und anderen Annehmlichkeiten führt, gleichzeitig aber immer deutlicher die Angst spürt, die sich durch Saddam Hussein in ihrem direkten Umfeld ausbreitet - "wie ein Tropfen Tinte, den man ins Wasser gibt". Ihr Vater wagt es nicht, das Angebot auszuschlagen, Privatpilot von Saddam zu werden, und ihre Mutter zerbricht fast daran, dass ihr Leben und das ihrer Familie vom Willen eines Übermächtigen abhängen. Denn nur unter der Voraussetzung, dass der Vater Saddam Hussein seine Loyalität versichert, "rettet" dieser die Familie davor, ebenso wie Tausende anderer iranischstämmiger Iraker nach dem Ausbruch des Iran-Irak-Krieges (1980-1988) deportiert zu werden. Eine im Westen kaum beachtete Maßnahme, im Verlauf derer schätzungsweise 200.000 Schiiten praktisch über Nacht in den Iran geschickt wurden, und die vom Diktator selbst initiiert worden war. Von dem Mädchen Zainab wird erwartet, Saddam "Amo" (Onkel) zu nennen und ihre Familie hat über Jahre an Freizeitaktivitäten des Herrschers teilzunehmen. Dabei erlebt Zainab den Diktator - ohne ihn in irgendeiner Weise rehabilitieren zu wollen - als einschüchternd, aber auch als "unwiderstehlich" und "bezaubernd". Als eine Person, die mit ihrem "unentwegten zärtlichen Lächeln" allen das Gefühl geben kann, dass er gerade ihnen besondere Aufmerksamkeit schenkt. Als junge Frau wird Zainab schließlich indirektes Opfer der sexuellen Übergriffe des Tikrit-Clans, vor denen keine Frau im Irak sicher sein konnte und die nicht selten tödlich endeten. Zainabs Mutter fürchtet so sehr, dass ihre Tochter von Saddam oder seinen Söhnen vergewaltigt werden könnte, dass sie überstürzt eine Hochzeit mit einem wildfremden Mann in den USA arrangiert, der Zainab schließlich dort vergewaltigt. Sie flieht vor ihm und nach einigen Jahren in den USA gründet sie mit ihrem neuen Mann "Women for Woman International", einer Organisation zur Unterstützung weiblicher Kriegsopfer. Für ihr besonderes Engagement in Bosnien-Herzegowina wurde Zainab Salbi, die ihre Lebensgeschichte mithilfe der Co-Autorin und Pulitzerpreisträgerin Laurie Becklund verfasste, 1995 von Bill Clinton offiziell geehrt. Sie selbst macht keinen Hehl daraus, dass sie im Grunde mit ihrer sozialen Arbeit ihre eigene Geschichte aufzuarbeiten versuchte und gleichzeitig eine Art Stellvertreterkampf führte. Da sie sich vor Saddam Hussein auch im Ausland bedroht fühlte, äußerte sie sich jahrelang nicht über die Verhältnisse im Irak, sondern attackierte stattdessen Kriegsverbrecher wie Slobodan Milosevic. Ihr Buch behandelt im zweiten Teil, neben ihrer Auseinandersetzung mit der im Sterben liegenden Mutter, dann auch vornehmlich das Anliegen der Autorin, Frauen in Kriegshandlungen beizustehen. In eindringlicher Weise beschreibt sie am Beispiel der Vergewaltigungslager in Kroatien, dass es vor allem Opfer sexueller Gewalt sind, die jeden gesellschaftlichen Rückhalt verlieren. Damit gerät das Buch thematisch etwas auf Abwege, worüber man bei der zu denken gebenden Lektüre leicht hinwegsieht. Zeitgeschichtlich wertvoll wird das Buch durch den ersten Teil, der einen authentischen Eindruck von den spezifischen Eigenheiten des Gewaltherrschers Saddam Hussein sowie den gesellschaftlichen Mechanismen vermittelt, die seine Diktatur im Innersten zusammenhielten. Frappierend sind dabei Textstellen, die die Wirkungstiefe von Propaganda deutlich machen. So erfuhr die Autorin erst im Ausland, dass der Irak und nicht der Iran den ersten Golfkrieg begonnen hatte. Nicht zuletzt aufgrund solcher Passagen ist das Buch so erhellend und empfehlenswert. Es ermöglicht dem Leser einen Blick in das Leben jener Iraker aus gesellschaftlich höheren Kreisen, die sich in der Diktatur mit den Zwängen und Risiken zu arrangieren versuchten und dabei bald jede Freiheit im Denken und Handeln verloren, obwohl sie nicht - wie viele andere - im Gefängnis saßen oder umgebracht wurden.
Zainab Salbi, Laurie Becklund Zwischen zwei Welten. Die Jahre bei Saddam und meine Flucht aus der Tyrannei. Übersetzt von Gerlinde Schermer-Rauwolf und Robert A. Weiß. Hoffmann und Campe, Hamburg 2006; 349 S., 22 Euro.