Der kalkulierte Ausbruch des Ministers galt den fast 2.000 amtlich in Berlin registrierten Lobbygruppen. Schätzungsweise sind 4.500 bis 5.000 Interessenvertreter rund um den Bundestag unterwegs. Allein um das Bundesgesundheitsministerium haben sich nach Angaben Steinbrücks 430 Lobbyverbände angesiedelt. In Brüssel sollen es sogar 10.000 bis 15.000 sein, die das Europaparlament, die Kommission und die EU-Behörden umschwirren. Lobbyisten, unter denen es dubiose Figuren gibt, haben ein miserables Image. Mangelndes Wissen, aber auch eigene Geheimniskrämerei haben einen Mythos bewirkt, der diese Berufsgruppe zu einem Objekt von Spekulationen, aber auch von der Literatur macht.
"Der Lobbyist hat das Ziel", erläutert einer der erfahrensten von ihnen, TUI-Repräsentant Wolf-Dieter Zumpfort, "die Rahmenbedingungen, die die Politik setzt, für das eigene Unternehmen so zu verändern, dass die Unternehmensaktivitäten durch diese politische Einflussnahme am wenigsten berührt werden." Jürgen Merschmeier, ein ebenfalls bewanderter Berater, hat diese Deutung parat: "Lobbying ist darauf gerichtet, politische Entscheidungsträger von der Richtigkeit bestimmter ideeller, wirtschaftlicher, administrativer oder gesetzgeberischer Maßnahmen zu über- zeugen."
Durch Lobbying, das an Bedeutung gewinnt, werde Einfluss und Macht ausgeübt, Lobbyismus vollziehe sich abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit und gefährde demokratische Transparenz. So lässt sich die gängige Kritik zusammenfassen.
Der Journalist Thomas Leif und der Politikwissenschaftler Rudolf Speth sowie weitere Autoren durchleuchten das Gestrüpp des Lobbyismus von verschiedenen Seiten. Anders als Cerstin Gammelin und Götz Hamann in ihrem stellenweise reißerischen Buch "Die Strippenzieher" sind hier Tatsachen und Deutungen nüchtern gegenübergestellt. So hat auch die These Platz, Lobbyismus sei eine berechtigte institutionalisierte Form der Interessenvermittlung, die der Konsensbildung diene und somit ins parlamentarische System passe. Allenfalls klare Verfahrensregeln seien nötig, um den Lobbyismus nicht jenseits eines demo- kratieverträglichen Rahmens wuchern zu lassen. Die Kernfrage lautet: Dient Lobbyismus einem partikularen Spezialinteresse oder dem Gemeinwohl? Und: Geht es um harmloses Beraten und Verhandeln oder um unzulässiges Einwirken auf Entscheidungsprozesse durch Druckmittel bis hin zu Bestechung?
Leif und Speth tragen wie schon Gammelin und Hamann dazu bei, Dunkelfelder aufzuhellen. Eines davon sind Abgeordnete, die Interessen wichtiger Unternehmen oder mächtiger Verbände vertreten - Interessenverquickungen, die freilich vom Prinzip des freien Mandats gewählter Abgeordneter gedeckt sind. Auch diesen Missstand zeigt das Buch auf. Zu einem wirklichen Problem werden Lobbyisten erst, wenn sie demokratische Regeln als Störfaktoren auszuschalten versuchen. Manchmal haben sie leichtes Spiel, auch das wird deutlich, wenn sie auf überforderte Parlamentarier und - besonders in Brüssel - auf eine weitgehend kontrollfreie Bürokratie treffen, die ihnen willig folgt. So sind in Brüssel wie in Berlin Geflechte entstanden, in denen auch Journalisten mitmischen, die sich einspannen lassen, um Informationen hin- und herzutragen und sich für interessengeleitete Kampagnen zur Verfügung stellen.
Etwas ratlos bleibt der von diesem Buch wohlinformierte Leser zurück, weil eine Definition nicht geliefert wird, vielleicht nicht geliefert werden kann: Wo die Grenzen zu ziehen sind zwischen Politikberatung, Public Relations, Lobbying, Public Affairs, Consultants, Rechtsberatern, Unternehmensberatung, hier und da auch noch vermischt mit Unternehmenskommunikation und Werbung. Es bleibt schwierig, diese schleierhafte Welt zu durchschauen.
Thomas Leif, Rudolf Speth (Hg.) Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006; 366 S., 19,90 Euro.