Drinnen im Europasaal mühen sich die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses in zäher Kleinarbeit bei den Zeugenvernehmungen ab. Ob ein Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Skopje, ob Vertreter des Polizeipräsidiums Schwaben in Augsburg, ob Bedienstete des Bundeskriminalamts (BKA) oder des Bundesnachrichtendienstes (BND): Wesentliches, gar Spektakuläres tragen sie - jedenfalls in öffentlicher Sitzung - nicht bei zur Klärung der Frage, ob deutsche Stellen bis hin zur Regierung in die rechtswidrige Verschleppung des fälschlicherweise unter Terrorverdacht geratenen Deutsch-Libanesen Khaled El-Masri durch die CIA von Mazedonien nach Afghanistan zwischen Januar und Mai 2004 verwickelt waren.
Draußen geht es dafür umso munterer zu. Das politische Fieber bei den Auseinandersetzungen um eventuelle dubiose Machenschaften bei der Terrorbekämpfung steigt. Die Schauplätze dieses Streits in diversen Gremien und in den Medien dürften sich künftig noch häufiger abwechseln. So werden sich Frank-Walter Steinmeier (SPD), Außenminister und unter Gerhard Schröder ehedem Kanzleramtschef, der frühere grüne Außenminister Joschka Fischer und Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) aller Voraussicht nach noch dieses Jahr vor dem Untersuchungsausschuss zur Affäre El-Masri erklären müssen. "Wir haben den Weg freigemacht", so SPD-Obmann Thomas Oppermann. Zudem ist nun entschieden, dass sich die Runde unter Vorsitz von Siegfried Kauder (CDU) ebenso wie der seinerseits zum Untersuchungsausschuss mutierende Verteidigungsausschuss mit dem Fall Murat Kurnaz befassen wird.
Für immer neue Schlagzeilen sorgt vor allem das Schicksal des in Bremen aufgewachsenen Türken Kurnaz, der unter offenbar falschem Terrorverdacht Ende 2001 in Pakistan verhaftet und über den Umweg eines US-Gefangenenlagers in Afghanistan nach Guantanamo gebracht worden war. Freigelassen wurde Kurnaz erst im August 2006. Er erhebt den Vorwurf, im Januar 2002 in dem auch von Angehörigen des Kommandos Spezialkräfte (KSK) bewachten afghanischen US-Stützpunkt von KSK-Soldaten misshandelt worden zu sein. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums kam es hingegen nur zu "verbalen Kontakten" zwischen KSK-Mitgliedern und Kurnaz. Der Verteidigungsausschuss will nun klären, was sich damals abgespielt hat. Die Recherchen könnten sich bis ins nächste Jahr hinziehen, meint der CDU-Abgeordnete Bernd Siebert.
Der Zeitpunkt der Information von Ministerien und Kanzleramt über das Schicksal von Kurnaz ist auch für die Kollegen vom anderen Ausschuss von Belang. Dieser Kreis will prüfen, ob sich deutsche Regierungsstellen im gebotenen Maß für den Deutsch-Türken engagiert haben. Wurden gar eventuelle Angebote der USA Ende 2002 ausgeschlagen, Kurnaz hierzulande aufzunehmen? Zunächst hieß es seitens des Verteidigungsministeriums, das KSK in Afghanistan habe Anfang Januar 2002 die hiesige militärische Führung über die Festnahme eines Deutschen unterrichtet, was jedoch nicht an die politische Führung des Ressorts weitergeleitet worden sei. Nach nicht dementierten Medienberichten, die sich auch auf den Verteidigungsausschuss berufen, soll indes schon Ende 2001 ein deutscher Verbindungsoffizier beim US-Einsatzführungskommando in Florida seine Vorgesetzten hierzulande auf einen verhafteten Deutschen am Hindukusch hingewiesen haben. Überdies soll die Botschaft in Washington am 4. Januar 2002 das Auswärtige Amt entsprechend informiert haben.
Angesichts dieser Wendungen bekommt der Fall Kurnaz für den grünen Parlamentarier Winfried Nachtwei "eine neue Qualität". Der SPD-Verteidigungspolitiker Hans-Peter Bartels meint, deutsche Stellen hätten alarmiert sein müssen. Wie Hans-Christian Ströbele von den Grünen will auch Max Stadler, FDP-Obmann im Untersuchungsausschuss, Steinmeier bei dessen Vernehmung nicht nur zu El-Masri, sondern auch zu Kurnaz anhören. In beiden Fällen stelle sich die gleiche Frage: "Was hat das Kanzleramt getan oder unterlassen?" Allerdings möchten CDU, SPD und Linkspartei zuerst den Komplex El-Masri abschließen.
Die Oppositionspolitiker wollen auch Licht in das Dunkel des Schicksals eines Deutsch-Ägypters bringen. Unter Verweis auf BND-Unterlagen heißt es in Medienberichten, der viele Jahre in München lebende Mann sei im Alter von 70 Jahren kurz nach dem 11. September 2001 in Bosnien von US-Amerikanern verhaftet und in einem Gefangenenlager in Tuzla schwer misshandelt worden. So habe eine mit Gewehrkolbenschlägen verursachte Kopfwunde mit 20 Stichen genäht werden müssen. Zur Befragung des deutschsprachigen Mannes gebetene BKA- und BND-Beamte hätten angesichts der Misshandlungen aber die Vernehmung verweigert. Ob dieses Thema bereits am 26. Oktober bei der Anhörung eines BKA- und BND-Vertreters im Untersuchungsausschuss eine Rolle spielte, ist unklar: Deren Befragung findet hinter verschlossenen Türen statt.
Auch bei anderen Vernehmungen bleibt manch Spannendes dem Publikum verborgen. So macht der Vorsitzende Kauder gegenüber Stefan Niefenecker vom Polizeipräsidium Schwaben, das nach einer Anzeige El-Masris vom Juni 2004 die Ermittlungen aufnahm, auf die damalige Vernehmung des Deutsch-Libanesen aufmerksam, in deren Verlauf er einen Zeugen für "Sam" erwähnt haben soll: Diese bislang unbekannte deutschsprechende Person war bei den Verhören El-Masris in Afghanistan zugegen. Doch Ausführungen zu dieser Zeugenbenennung macht Niefenecker nur nichtöffentlich. Oder: In Anwesenheit der Zuhörer erklärt Stefan Bernhard von der Einsatzgruppe Donau, in der diverse Polizeibehörden kooperieren, er könne einen Informationsaustausch zwischen Mitgliedern dieses Teams und US-Diensten in Sachen El-Masri ausschließen. Der Abgeordnete Wolfgang Nescovic von der Linkspartei spricht indes von einem Indiz über Kontaktversuche seitens der Amerikaner, doch diese Debatte läuft dann intern.
Gleichwohl ist Interessantes zu erfahren. So sagt Niefenecker, man sei "beeindruckt" gewesen, mit welch umfangreichen Detailkenntnissen über das Neu-Ulmer Multikulturhaus und das dortige islamistische Milieu der verschleppte El-Masri von US-Vernehmern in Afghanistan konfrontiert worden sei. Eine Erklärung für diesen weitreichenden Informationsstand liefern die Zeugen in öffentlicher Sitzung nicht. Von eigenständigen Ermittlungen seitens der US-Geheimdienste im Raum Neu-Ulm/Ulm wisse man nichts. Beide Polizeivertreter betonen mehrfach, sie könnten sich nicht vorstellen, dass Beamte der Einsatzgruppe Donau Erkenntnisse zu El-Masri an die Amerikaner übermittelt hätten. Über den Deutsch-Libanesen habe man ohnehin keine näheren Informationen gesammelt. Bernhard: "Bei uns wurde auch keine Akte geklaut." Über die gängigen Kontakte zwischen deutschen und US-Behörden im Einzelnen berät der Ausschuss wiederum hinter verschlossenen Türen.
Aber wieso wussten die US-Dienste genau Bescheid über die "Szenerie in Neu-Ulm", so ein häufig verwandter Begriff? Vielleicht, orakelt Bernhard, stammten deren Informationen ja zum Teil aus dem Medien: "Damals stand über das Multikulturhaus viel in der Presse."