Er hat die niederländischen Wähler also doch gerade noch rechtzeitig bezaubern können - der oft als biedere Harry-Potter-Version gescholtene Ministerpräsident Jan Peter Balkenende mit seinen Christdemokraten (CDA). Noch beim Ausruf der vorgezogenen Neuwahl im Sommer hatten ihn seine Landsleute abgeschrieben, und die Umfragewerte deuteten zwischenzeitlich auf einen klaren Sieg seines Widersachers, des charismatischen Matadors Wouter Bos von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei (PvdA). Doch wenige Wochen vor der Wahl wendete sich das Blatt zugunsten der Konservativen, und bei der Wahl vom 22. November schaffte es der CDA mit Balkenende als Galionsfigur wieder - wenn auch geschwächt. Balkenende dürfte damit zum vierten Mal Regierungschef werden. Die PvdA unter Bos dagegen landete abgeschlagen auf Platz zwei.
Der auch mit 50 Jahren noch jungenhaft wirkende Balkenende ist der Mann der Stunde: verlässlich, solide, unermüdlich gegenseitigen Respekt und Anstand predigend. Ihm gelang mit Hilfe des sich in den Niederlanden wie in den anderen europäischen Ländern festigenden Wirtschaftsaufschwungs, was Gerhard Schröder vor einem Jahr bei den vorgezogenen Wahlen in Deutschland nicht schaffte: Balkenendes Spar- und Reformkurs werden von vielen inzwischen als Erfolg gewertet, der sich in niedrigen Arbeitslosenzahlen und einem Wachstum von rund drei Prozent niederschlägt.
Balkenendes Partei, der CDA, holte 41 Sitze (2003: 44) und blieb so die stärkste Partei, doch können die Christdemokraten weiter nicht allein regieren - für die Mehrheit sind 76 der 150 Sitze nötig. "Das Ergebnis ist kompliziert", räumte Balkenende denn auch unverzüglich ein: Die Bildung einer Koalitionsregierung dürfte nämlich äußerst schwierig werden, Beobachter sagen wochenlange, zähe Verhandlungen voraus. Wegen der Verluste für beide reicht es nicht einmal für eine Große Koalition mit der PvdA. Letztere holte 32 Sitze (2003: 42 Sitze) - dabei hatte sie noch im März bei den Kommunalwahlen zulasten des CDA zugelegt. Profitiert von den Verlusten der Großen haben die Parteien rechts und links, jenseits der Mitte. PvdA-Chef Bos sprach am Wahlabend von einem "Schlachtfeld", das sich den Wählern bald offenbaren werde.
Als große Verlierer standen neben der PvdA die Rechtsliberalen des bisherigen Koalitionspartners VVD da, der Partei der umstrittenen Integrationsministerin Rita Verdonk. Sie kamen nur noch auf 22 ihrer bisher 28 Sitze. Über der VVD war Balkenendes Koalition im Sommer zerbrochen: Die linksliberale D66 verließ aus Protest gegen Verdonk die Koalition. Die Ministerin hatte zunächst ihrer Parteifreundin Ayaan Hirsi Ali die Staatsangehörigkeit aberkennen wollen, weil die Islamkritikerin und Vorkämpferin für die Rechte muslimischer Frauen bei ihrer Einreise in die Niederlande einen falschen Namen angegeben hatte. Hirsi Ali verließ letztlich das Land in Richtung USA - mit niederländischem Pass. Verdonk hatte ihr zuvor eine Art Ehrenerklärung ausgestellt. Die Integrationsministerin war so in den Augen der D66 ein zweifelhaftes Geschäft um ihres politischen Vorteils willen eingegangen.
Rechts außen sorgte - für viele Niederländer höchst unerfreulich - die Freiheitspartei des Populisten Geert Wilders für eine Überraschung, als sie aus dem Stand auf neun Sitze kam. Wahlkampf hatte Wilders vor allem mit antimuslimischer Polemik gemacht. Die Sensation dieser Wahl aber ereignete sich ganz links mit dem starken Abschneiden der Sozialisten von der SP, die sich vor allem als Gegnerin der in den Niederlanden wie in Frankreich gescheiterten EU-Verfassung profilierte. Die SP mit ihrem als volksnah bejubelten Chef Jan Marijnissen gilt als neue Protestpartei und sieht sich als Anwältin der zu kurz Gekommenen. Mit 26 Sitzen überholte sie VVD als dritte Kraft, dabei hatte sie noch 2003 mit neun Sitzen keine große Rolle gespielt. Ihr starkes Abschneiden - auf Kosten der Sozialdemokraten - könnte der PvdA Kompromisse in möglichen Koalitionsverhandlungen mit Balkenende zusätzlich erschweren. Die Niederlande haben gewählt, aber wohl noch lange keine neue Regierung.