Verpflichtende Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern sind unter den Bundesländern weiterhin umstritten. Einen Antrag der Länder Hessen, Saarland, Bayern und Bremen, der verbindliche Vorsorgeuntersuchungen für alle Kinder im Alter zwischen einem halben und fünfeinhalb Jahren fordert, hat der Bundesrat am 24. November zur weiteren Beratung in die Ausschüsse verwiesen.
Hessens Sozialministerin Silke Lautenschläger (CDU) verwies in ihrer Antragsbegründung auf die in jüngster Zeit diskutierten Fälle von Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern. Dem Staat komme im Rahmen des in Artikel 6 des Grundgesetzes gewährten Elternrechts eine Wächterfunktion zu, der Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern durch ihre Eltern vorzubeugen. Der bisher bestehende Grundsatz der Freiwilligkeit schließe gerade nicht aus, dass Kinder aus so genannten Risikofamilien unter Umständen jahrelang keinen Arzt aufsuchen, der Misshandlungen und Vernachlässigung ebenso erkennen könnte wie zum Beispiel Sprach- oder Entwicklungsstörungen. Daher sei eine gesetzliche Teilnahmeverpflichtung geboten.
Es sei ihr durchaus bewusst, so die Ministerin, dass dies kein Allheilmittel sei. Vielmehr benötige man ein Bündel an Maßnahmen. Ein erster Schritt sei es jedoch allemal. Schließlich könne ein Kinderarzt frühzeitig Zeichen von Vernachlässigung und Misshandlung erkennen. Wer sich der Pflichtuntersuchung entziehe, müsse mit dem Besuch des Jugendamtes rechnen, so Lautenschläger. Auch die schleswig-holsteinische Sozialministerin Gitta Trauernicht (CDU) sieht Pflichtuntersuchungen als zielführend an. Es werde ein lückenloses Netz gebraucht. Angesichts geschätzter 150.000 Fälle von Kindesmisshandlung in Deutschland seien systematische Maßnahmen nötig, um alle Kinder zu erreichen. Wichtig sei dabei eine bundeseinheitliche Regelung anstatt 16 verschiedener Lösungen.
Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte dies zuletzt anders bewertet und davor gewarnt, sich beim Kampf gegen Kindesmisshandlung auf die Pflichtvorsorge zu verlassen. "Wir dürfen uns nicht in einer falschen Sicherheit wiegen, wenn wir vor allem auf Zwangsuntersuchungen setzen", so von der Leyen. Auch Hamburgs Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) lehnte den Antrag ab. Pflichtuntersuchungen brächten nur eine "trügerische Sicherheit", und bedeuteten einen "erheblichen Eingriff" in die Privatsphäre der Familien.
Sinnvoller seien Aufklärung und Hilfestellung für Familien, die ihre Kinder nicht zur Vorsorgeuntersuchung brächten. Schnieber-Jastram sprach sich dafür aus, Daten der Familien, die Vorsorgeuntersuchungen nicht nutzen, den Behörden bekannt zu machen. Zuvor hatte der Hamburger Justizsenator, Carsten Lüdemann (CDU), den uneingeschränkten Zugriff der Jugendämter auf Daten aus dem Bundeszentralregister für Straftaten gefordert. Dadurch könnten die Behörden Informationen über Eltern einholen, wenn es Anhaltspunkte für Missbrauch oder Verwahrlosung gebe. Es sei wichtig, dass das Jugendamt über das nächste Umfeld eines Kindes Hintergrundwissen erhalte.
Anhaltspunkte für eine Bedrohungslage ließen sich verdichten, wenn das einschlägige strafrechtliche Vorleben von Bezugspersonen des Kindes oder Jugendlichen bekannt sei. Dann könne das Amt allgemeine Rückfallgefahren in seine Gefährdungsprognose einstellen. Die Kenntnis darüber, ob eine Bezugsperson für das Kind einschlägig vorbestraft ist, könne der erste Schritt zu erforderlichen, im Einzelfall sogar lebenswichtigen Schutzmaßnahmen für das Kindeswohl sein. Bisher ist es den Jugendämter lediglich möglich, ein Führungszeugnis der betroffenen Person zu erhalten. Nötig, so Lüdemann, seien dazu Regelungen auf Bundesebene. Datenschutzrechtliche Bedenken dürften dem nicht entgegenstehen. "Datenschutz darf nicht zum Täterschutz auf Kosten wehrloser Kinder werden. Das gilt umso mehr, als der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte vergleichsweise gering ist", sagte der Senator.