Wie hat der deutsche Soldat an der Front und unter der Führung des NS-Regimes den Zweiten Weltkrieg erfahren und welche Wirkungen sind von dieser Erfahrung ausgegangen? Dass etwa 20 Millionen Wehrmachtsangehörige prägende Jahre ihres Lebens in den Streitkräften verbrachten und als Kriegsgeneration den Aufbau der Bundesrepublik bestimmten, demonstriert die Relevanz der Frage. Zwingende Voraussetzung für die Analyse der Erfahrungen von Soldaten ist jedoch das Vorhandensein einer sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Quellenbasis. Feldpostbriefe können eine solche Quelle sein. Obwohl die Ausnahmesituation Krieg das Verfassen von Briefen als Mittel des Selbsterhaltes weltweit zu einem Massenphänomen machte, sind geschlossene Quellenkörper selten. Allzu häufig liegen sie von Angehörigen streng gehütet oder vergessen auf privaten Dachböden - unerreichbar für die Forschung. Um so interessanter scheinen die vorliegenden Editionen der Korrespondenz des protestantischen Stuttgarter Arztes Adolf B. aus seiner Verwendung als Militärarzt während des Vernichtungskrieges in der Sowjetunion und die Auszüge aus den Feldpostbriefen des Gefreiten Albert Frank, ebenfalls mehrheitlich vom Kriegsschauplatz Sowjetunion.
Die Edition der Briefe Adolf B.'s verdankt sich dem Herausgeber Ingo Stadler, der den Trödelmarktfund mit verknappten historischen Einordnungen der Öffentlichkeit zugänglich macht. Die Edition und Kommentierung der Briefe und biografisch geprägten Essays des jüngeren Albert Franks hingegen sind dem Bedürfnis Walter Franks geschuldet, seinen gefallenen Bruder vor dem Vergessen zu bewahren. Franks Widmung "all jenen, die Frieden lieben" offenbart die Moral, die hier erzählt werden soll, aber auch die Gefahr der Plattitüde, die dieser Edition innewohnt.
Die beiden Wehrmachtsoldaten Adolf B. und Albert Frank stammen aus unterschiedlichen sozialen Milieus. Beide zwingt der Ausbruch des Krieges aus einer zivilen in eine soldatische Existenz. Der Übergang - so legen es die Quellen nahe - gelingt beiden irritierend störfrei, beide drängen in den raschen Einsatz und begreifen Pflicht und Gehorsam als soldatische Tugenden. Sie erleben und benennen die Schrecken der deutschen Kriegsführung als notwendiges Übel, ohne sie jedoch zu beschreiben. Adolf B. etwa liefert eine Begründung der Umsetzung den Kommissarbefehl Hitlers ("Das Leben unserer Truppen kann nur gesichert werden durch erbarmungslose Ausrottung artfremder Heimtücke und Grausamkeit") und Albert Frank interpretiert analog: "Hier stehen zwei Weltanschauungen gegenüber. Hier kämpft stark aufstrebende Jugend gegen Unterwelt und Abschaum der Menschheit." Eine Wiedergabe der offiziellen NS-Doktrin in der Feldpost war unnötig. So spricht manches dafür, dass hier Zeugnisse von Soldaten vorliegen, die sich mit dem Weltanschauungskrieg im Osten identifizieren konnten. Gewissenskonflikte oder Zweifel daran, in wessen Dienst das eigene Tun gestellt ist, sind nicht erkennbar.
Die Briefe beschränken sich im wesentlichen auf die Vermittlung von Privatem und Standardthemen - Essen, Gesundheit, Vorfreude auf Urlaub - ohne allgemeinere Reflexionen, was die Lektüre bald reizarm macht. Die Sprache dieser Briefe bestätigt erneut, dass Feldpost typischerweise verharmlost, beschönigt, phraseologisiert und selten vermittelt, was bei den Daheimgebliebenen und den Autoren selbst Unruhe oder Besorgnis wecken könnte. In dem, was diese Briefe verschweigen, bereiten sie jenes Verschweigen vor, das den Umgang in der späteren Bundesrepublik mit dem Dritten Reich kennzeichnete.
Dies zu erkennen, lohnt die Lektüre. Einen historisch nicht gebildeten Leser verführen sie jedoch leicht, das verharmlosende Bild von Kriegswirklichkeit der beiden Autoren nicht zu hinterfragen. Schlechtestenfalls setzen diese Editionen damit ein in Wirklichkeit widerlegtes Wehrmachtsbild fort.
Ingo Stadler (Hrsg.): Ihr daheim und wir hier draußen. Ein Briefwechsel zwischen Ostfront und Heimat Juni 1941 - März 1943. Böhlau Verlag, Köln 2006; 247 S., 24,90 Euro.
Walter Frank: Verführt, verheizt..., Auszüge aus den Feldpostbriefen meines Bruders Albert. Scribeo-Verlag, Kassel 2006; 254 S., 16,90 Euro.