Für Murat Kurnaz war es eine Art Generalprobe. Anfang nächsten Jahres soll er mit seinem Anwalt Bernhard Docke im BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages aussagen. Am 22. November hörte ihn der CIA-Sonderausschuss des Europaparlaments in Brüssel an. Der 24-jährige Deutschtürke war 2001 bei einer Pilgerreise nach Pakistan von amerikanischen Soldaten in ein Gefängnis ins afghanische Kandahar verschleppt worden und hatte danach mehr als vier Jahre im US-Gefangenenlager Guantanamo verbringen müssen.
Zu Beginn der Anhörung berichtete Anwalt Docke, der im September schon einmal vom Ausschuss gehört worden war, die neuesten Entwicklungen in dem Fall. Sein Mandant habe sich nach der Rückkehr aus Kuba Ende August zunächst ganz von der Öffentlichkeit zurückgezogen. Im Oktober habe er aber der Zeitschrift "Stern" und in der ARD-Sendung "Beckmann" jeweils ein Interview gegeben. Dabei machte Kurnaz detaillierte Angaben über zwei deutsche Soldaten, die ihn im Gefängnis von Kandahar gedemütigt hätten. Einer habe seinen Kopf auf den Boden geschlagen und gesagt: "Wir sind die deutsche Kraft - KSK." Aufgrund dieser Aussage, so Docke, seien Ermittlungen gegen Unbekannt aufgenommen worden. Der Verteidigungsausschuss des Bundestages befasse sich mit dem Fall.
Vor dem EU-Ausschuss wiederholte Murat Kurnaz seine Vorwürfe. "Ich habe diesen deutschen Soldaten ins Gesicht geguckt. Ich dachte, dass sie mir Fragen stellen werden und mir helfen können." Doch die Soldaten hätten ihn aufgefordert, auf den Boden zu blicken und ihm erklärt, er habe sich die falsche Seite ausgesucht. An der Sprache und der deutschen Flagge auf der Uniform habe er erkannt, dass es Deutsche waren. "Einer hat mich getreten. Dann lachten sie alle, sie fanden es lustig."
Wie schon bei seinem Fernsehauftritt im Oktober trug der Bremer Haare und Bart bis zur Taille. Zunächst musste er sich offensichtlich auf die ungewohnte Situation einstellen, in mehreren Sprachen befragt zu werden. Doch Kurnaz fand bald zu der sachlichen Ruhe zurück, die er auch bei dem Fernsehauftritt gezeigt hatte. Er beantwortete die Fragen präzise, wog dabei die Worte sorgfältig ab und sprach so nüchtern, dass die Ungeheuerlichkeit seiner Haftbedingungen sich den Abgeordneten meist aus beiläufigen Randbemerkungen erschloss. Auf die Frage, ob er bei den Befragungen durch deutsche Beamte in Guantanamo anders behandelt worden sei als bei Befragungen der Amerikaner, antwortete Kurnaz: "Ja, das Verhör mit den Deutschen war anders. Ich wurde nicht geschlagen." Er sei von den Amerikanern manchmal wochenlang nicht verhört worden, dann wieder tagelang am Stück. "Wenn ein Vernehmer müde ist, kommt der nächste. Das kann durchgehend drei Tage dauern." Er habe in Guantanamo mehrere Mitgefangene getroffen, die wie er offenbar für Kopfgeld an die Amerikaner verkauft worden seien. Ein englischer Ingenieur sei in Afrika bei Montagearbeiten gefangen worden. "Es mag sein, dass einige der Gefangenen Krieger gewesen sind. Aber nicht die, mit denen ich mich unterhalten habe." Nur einmal reagierte Kurnaz etwas heftiger, als er von der Abgeordneten Ewa Klamt gefragt wurde, warum er überhaupt nach Pakistan gereist sei. Es seien schließlich nicht alle Pakistani Terroristen. "Ich bin dorthin gereist, um meinen Glauben näher kennenzulernen." Der Ausschussvorsitzende Carlos Coelho lobte die Zusammenarbeit seines Ausschusses mit dem BND-Ausschuss des Bundestages. Dessen Vertreter Hellmut Königshaus (FDP) nahm an der Sitzung teil und beurteilte das Gehörte an-schließend als glaubwürdig. Die Bundesregierung, so Coelho, sei aber nicht kooperativ und habe sich bisher überhaupt nicht zu dem Fall geäußert.