Nach dem Foltertod eines 20-jährigen Häftling durch drei 17- bis 20-jährige Zellengenossen in der Siegburger Justizvollzugsanstalt (JVA) und einem weiteren Fall von Gewalt unter Häftlingen in der JVA Siegen ist Nordrhein-Westfalens Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) politisch unter Druck geraten. Der 56-jährigen Richterin und politischen Seiteneinsteigerin werden Untätigkeit, mangelnde Sensibilität und ein miserables Krisenmanagement vorgeworfen. Die SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag forderte den Rücktritt der Ministerin und behält sich die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses vor: "Die Ministerin trägt die politische Verantwortung für die Umstände unter denen dieser Foltermord geschehen ist", sagte der stellvertretende SPD-Fraktionschef Ralf Jäger. Die Fraktionschefin der Grünen Sylvia Löhrmann spricht von "groben handwerklichen Fehlern". Dagegen stützen die Koalitionsfraktionen CDU und FDP die Ministerin, während NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers schweigt.
Vor der Presse räumte die Ministerin "eine Justizpanne". Gleichzeitig betonte sie aber auch: "Ich kann eigene persönliche Fehler im Moment nicht erkennen". Einen Rücktritt lehnt sie weiter ab. Sie werde den Fall lückenlos aufklären, beteuerte die Ministerin. Tatsache ist, dass sie sich erst drei Tage nach der Tat, die zunächst für Selbstmord gehalten und erst bei der Obduktion des Opfers als Tod durch Folter erkannt wurde, vor Ort informierte. Während einer Sondersitzung des Rechtsausschusses konnte sie auf drängende Fragen keine Antworten geben. Die Siegburger Haftanstalt ist zu 117 Prozent ausgelastet. In der Tatnacht waren dort nur vier Beamte für die Überwachung von 267 Häftlingen eingeteilt. Bei Staatsanwälten soll die JVA seit Jahren als "Drogenknast" und "Kaderschmiede für kriminelle Karrieren" gegolten haben. Der ehemalige Gefängnispfarrer Rudolf Hebeler erklärte, die JVA-Leitung habe die Zustände geduldet. Die Ministerin will jetzt mit entschiedenem Durchgreifen gegen Bedienstete der JVA und mit Maßnahmen zur Entlastung der NRW-Gefängnisse ihr Amt retten. Sie untersagte im Jugendstrafvollzug die dreier- und vierer Belegung der Zellen. Der Leiter der JVA Siegburg Wolfgang Neufeind (57), der nach dem Vorfall zu einer zweitägigen Fortbildung gefahren war, wurde mit sofortiger Wirkung versetzt. Erstmalig in Deutschland will NRW für den Strafvollzug einen weisungsungebundenen Ombudsmann berufen.
Die von Müller-Piepenkötter bereits weitgehend personell bestimmte Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission stößt bei den Grünen allerdings auf Kritik. Ruth Seidl (Bündnis 90/Grüne) und Mitglied des Rechtsausschusses macht klar: "Die Mitglieder dieser von uns angeregten unabhängigen Kommission muss das Parlament bestimmen, nicht die Ministerin." Für die Finanzierung der Sofortmaßnahmen hat das Landeskabinett zusätzlich 5 Millionen Euro bewilligt. Der 20-jährige Hermann H., der wegen Drogen bedingten Diebstahls bis März 2007 einsitzen sollte, war am 12. November zwölf Stunden lang von Mithäftlingen gedemütigt, sexuell missbraucht und getötet worden, ohne dass die diensthabenden Wärter Verdacht schöpften.
Fast zeitgleich kam auch Sachsens Justizapparat in die Bredouille. Die Empörung über die spektakuläre Flucht des Sexualstraftäters Mario M. auf das Dach der Dresdener Justizvollzugsanstalt ist mittlerweile der sachlichen Aufarbeitung von Fehlern bei Justiz und Polizei gewichen. Außer den Rechtsbeiständen des Opfers wollte ohnehin niemand den Justizminister Geert Mackenroth (CDU) zum Rücktritt auffordern.
Der hatte es als "Panne" bezeichnet, dass der Mann, der eine 13-jährige Schülerin fünf Wochen sexuell gequält hatte, seinen Bewachern im Gefängnishof entkommen konnte. Zerknirscht gab sich der Minister im Landtag vor allem in Hinblick auf die verheerenden Auswirkungen der 20-stündigen Dachflucht mit Fernsehübertragung auf die Psyche des Opfers und seiner Familie. Doch gleichzeitig mochte er niemanden gravierender Versäumnisse beschuldigen. Zahlreiche minderschwere Fehler hätten sich aneinandergereiht und diesen schweren Vorfall ermöglicht, räumte auch der justizpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Jürgen Martens, nach der Befragung des Ministers im Rechtsausschuss des Landtages ein. Dazu gehörten unvollständige Akten über den Untersuchungshäftling, der bei früheren Gefängnisaufenthalten bereits seine Kletterkünste vorgeführt hatte. Justizminister Mackenroth kündigte eine Untersuchung der sächsischen Haftanstalten auf bauliche Mängel und organisatorische Verbesserungen an. Die Linksfraktion kritisierte die Sparpläne des Ministers und die Verhältnisse im sächsischen Strafvollz. Mackenrohts Rücktritt forderten auch sie nicht - denn man wolle nicht, dass M. den Justizminister zu Fall bringe.