Ein gutes Jahr konnte Ex-Innenminister Otto Schily nicht mehr im Rampenlicht stehen. Jetzt aber drängeln sich TV-Kameraleute und Fotografen vor dem Saal, um den SPD-Politiker ins Blickfeld zu nehmen. Drinnen packt er lässig aus seinen Aktentaschen Unterlagen aus, für ein nochmaliges Blitzlichtgewitter bleibt genügend Zeit. Ja, nonchalant schlendert Schily, das hat noch kein anderer Zeuge getan, sogar zum Vorsitzenden Siegfried Kauder (CDU), um ihm zur Begrüßung jovial die Hand zu drücken. Der Untersuchungsausschuss, der eine eventuelle Mitwisserschaft und Involvierung deutscher Behörden und der Regierung in die von der CIA bewerkstelligte rechtswidrige Verschleppung des Deutsch-Libanesen Khaled El-Masri von Mazedonien nach Afghanistan zwischen Januar und Mai 2004 prüft, erlebt mit diesem Promi-Auftritt seinen bisherigen Höhepunkt.
So locker geht es dann bei der Befragung des Ex-Ministers indes nicht immer zu, der Auskunft zum Zeitpunkt und zu den Umständen seiner Unterrichtung über den Fall El-Masri sowie über sein Verhalten in dieser Affäre geben soll: Immerhin hatte Schily seine Informationen eineinhalb Jahre für sich behalten. Zuweilen ist die Stimmung etwas gereizt - etwa dann, wenn Kauder den Zeugen ermahnt, er solle seine Aussagen nicht ins Spaßige abgleiten lassen. Auf Kauders Frage, wann er seinen für Terrorfragen zuständigen Fachmann Gerhard Schindler zur Teilnahme an einem für den 31. Mai 2004 anberaumten Gespräch mit US-Botschafter Daniel Coats gebeten habe, hat Schily zuvor trocken geantwortet, das sei jedenfalls vor diesem Treffen gewesen. Kauder und vor allem die Oppositionsabgeordneten Max Stadler (FDP), Wolfgang Nescovic (Linkspartei) und Hans-Christian Ströbele (Grüne) zeigen sich auch immer mal wieder verärgert, dass der SPD-Politiker häufig auf seine "eingeschränkte Aussagegenehmigung" verweist: Deretwegen will Schily Näheres über die Begegnung mit dem US-Gesandten, der ihn damals an einem Pfingstmontag über das Kidnapping El-Masris informierte, partout nur in nichtöffentlicher Sitzung preisgeben.
Der frühere Minister beharrt darauf, über die Festnahme El-Masris erstmals etwas von Coats erfahren zu haben: Alles andere sei "kompletter Unsinn". Zu Beginn der Sitzung haben Stadler, Nescovic und Ströbele vor Journalisten die Frage aufgeworfen, ob der SPD-Politiker vor der Freilassung des Deutsch-Libanesen Ende Mai 2004 zuvor bei Reisen nach Afghanistan und in die USA inoffiziell in die Entführungsaktion eingeweiht und das Gespräch mit Coats als "Alibiveranstaltung" (Nescovic) zur Tarnung arrangiert worden sein könnte. Diesen Vorwurf einer Inszenierung dementiert Schily energisch. Vor dessen Auftritt weist der Zeuge Günter Krause, Leiter der Polizeiabteilung im Innenressort, solche "abwegigen Spekulationen" ebenfalls zurück: "Da müsste Schily ein großer Schauspieler sein, und das ist er nicht."
Das, was Coats damals mitteilte, hört sich nach Schilys Schilderungen zunächst nicht sonderlich dramatisch an: Der Botschafter bezeichnete El-Masris Verhaftung als Fehler, der Terrorverdacht gegen den auf einer "Warnliste" vermerkten Mann habe sich nicht bestätigt, die US-Seite habe sich entschuldigt und Geld an den Betroffenen gegen dessen Zusage gezahlt, Stillschweigen zu wahren. Über die Dauer der Verschleppung und über das Land der Inhaftierung machte Coats danach keine Angaben, wohl auch nicht zu Verhörmethoden.
Einen Anlass für Nachfragen sah Schily nicht. Er habe gegenüber dem Botschafter diesen Fall jedoch als "ernsten Vorgang" bezeichnet, der scharf zu missbilligen sei. Überdies, so der SPD-Politiker, habe er auch später die US-Seite aufgefordert, die hiesigen Ermittlungen in dieser Angelegenheit zu unterstützen. Allerdings bestätigte das FBI lediglich den Eingang eines deutschen Ersuchens, ansonsten gab es keine Reaktion. "Unser Bemühen hatte nur begrenzten Erfolg", bilanziert Günter Krause.
Warum aber behielt Schily sein Wissen für sich, bis Ende 2005 US-Medien über die Unterredung mit Coats berichteten, der Schily um Vertraulichkeit gebeten hatte? Die Situation, die sich seit Juni 2004 darbietet, mutet schließlich merkwürdig an. So stellt sich das Schicksal El-Masris rasch weitaus brisanter dar, nachdem dessen Anwalt einen Brief an das Kanzleramt und das Auswärtige Amt geschickt hatte. Obendrein startet die Staatsanwaltschaft in Bayern aufgrund einer Anzeige des Deutsch-Libanesen ihre bis heute nicht abgeschlossenen Ermittlungen. Der Kreis derer, die über das Treffen Schilys mit Coats eingeweiht sind, vergrößert sich: Gesprächsteilnehmer Schindler zieht seinen Vorgesetzten Krause ins Vertrauen, und dann werden auch die Vizepräsidenten des Bundeskriminalamts (BKA) und des Bundesamts für Verfassungsschutz informiert. Vor dem Ausschuss spricht Krause von einer "intelligenten Interpretation" der Vertraulichkeitszusage Schilys gegenüber dem US-Gesandten. Der Ex-Minister: "In der Retrospektive ist das nicht zu tadeln."
Die Staatsanwaltschaft, das Polizeipräsidium Schwaben und einzelne BKA-Beamte mühen sich mit schwierigen Recherchen ab, und ganz oben bleibt das Wissen in dieser sensiblen Affäre unter Verschluss: Das Innenressort sei "keine Ermittlungsbehörde", meint Krause, man habe ja auch gesehen, dass die beauftragten Dienststellen "nicht auf den Holzweg geraten". Die Ermittlungen seien jedenfalls durch das von Schily versprochene Stillschweigen nicht behindert worden. Der SPD-Politiker selbst stellt sein Verhalten in größere Zusammenhänge. Bei der Abwehr von Bedrohungen durch den Terrorismus sei man auf eine enge Kooperation mit den US-Sicherheitsbehörden und auf einen entsprechenden Informationsfluss angewiesen. Dies dürfe man nicht gefährden, indem man Vertraulichkeitszusagen breche. Nach der Anhörung des Promi-Zeugen tritt SPD-Obmann Thomas Oppermann offensiv vor Kameras und Mikrophone: Bei Schilys Befragung sei die Konstruktion der Opposition, über den Innenminister sei die Regierung in die Verschleppung El-Masris eingebunden worden, "wie eine Seifenblase zerplatzt". Vor dessen Freilassung sei die Regierung nicht über diese Entführung unterrichtet gewesen und habe deshalb auch nicht zugunsten des Deutsch-Libanesen intervenieren können. CDU-Obmann Hermann Gröhe meint ebenfalls, Schily habe überzeugend den Verdacht widerlegt, vor der Unterredung mit Coats etwas über das Kidnapping gewusst zu haben.
Vehement moniert hingegen Ströbele, dass der Ex-Minister eineinhalb Jahre lang den Ermittlungsbehörden, der Regierung und dem Bundestag seine Kenntnisse vorenthalten habe. Die Vernehmung des SPD-Politikers habe zwar die Vermutung, er sei frühzeitig über den Fall El-Masri unterrichtet worden, nicht bestätigt. Doch bleiben aus Sicht des Grünen Zweifel und Ungereimtheiten. Den Verdacht, das Treffen mit Coats sei ein Alibi gewesen, sieht Wolfgang Nescovic nicht ausgeräumt. Er fragt etwa, warum Schily zu der Begegnung seinen Terrorismusexperten hinzuzog, obwohl doch über den Gesprächsinhalt vorab angeblich nichts bekannt gewesen sei. Oder warum wegen der vergleichsweise harmlos klingenden Schilderung der Verhaftung El-Masris durch den US-Botschafter das Treffen mit Schily so dringlich an einem Feiertag stattfinden musste. Solche und andere kritische Aspekte erörtert der Ausschuss mit Schily noch. Allerdings geheim hinter verschlossenen Türen.