Das Parlament: Herr Professor Mertens, Sie haben eine Arbeit über die Gesetzeskunst geschrieben. Wie schreibt man gute Gesetze?
Bernd Mertens: Das ist die Gretchenfrage. Ich kann dafür natürlich auch kein Patentrezept liefern. Aber meine Arbeit ist die erste Arbeit, die sich grundlegend mit Fragen der Gesetzgebungstechnik aus historischer Sicht beschäftigt. Wir haben erst seit etwa 30 Jahren in Deutschland so etwas wie eine Gesetzgebungslehre. Das ist eine neue Entwicklung. Bisher herrschte dabei oftmals der Eindruck vor, wir müssen beim Nachdenken über gute Gesetzgebungstechnik bei null anfangen. Das ist ein Irrtum und den versuche ich aufzuzeigen. Ich beschreibe, über welche Gesetzgebungspraktiken man sich bereits früher Gedanken gemacht hat. Die Gesetzgebungspraxis hält schon lange sehr ausdifferenzierte Instrumente bereit, wie man gute und nachhaltige Gesetze machen kann.
Das Parlament: Konkret, was ist wichtig für gute Gesetze?
Bernd Mertens: Ein wichtiger Punkt ist der Faktor Zeit und Sorgfalt. Da hapert es oft. Gesetze kann man nicht übers Knie brechen. Schnell verabschiedete Gesetze haben meist Defizite. Gerade in der Vorbereitungsphase braucht man genügend Zeit, um Stellungnahmen einzuholen. Außerdem ist es wichtig, diese Stellungnahmen von Sachverständigen und Betroffenen wirklich ernst zu nehmen und sie nicht nur pro forma, sozusagen als Ritual einzuholen.
Das Parlament: Wollen wir zu viel mit Gesetzen regeln?
Bernd Mertens: Der Vorwurf ist populär und stimmt auch. Wir haben zu viele Gesetze. Aber dennoch muss man die Haltung etwas relativieren. Die Leute, die diese Weisheit an den Stammtischen immer wieder verkünden sind häufig dieselben, die an anderer Stelle nach neuen Gesetzen rufen. In unserer Gesellschaft herrscht die Mentalität vor, der Staat sei für alles zuständig, dann darf man sich über die Gesetzesflut nicht wundern.
Das Parlament: Eine Berufsgruppe, die ins Gesetzgebungsverfahren eingreift und oft gescholten wird, sind die Lobbyisten. Richten Lobbyisten so viel Schaden an, wie man ihnen nachsagt?
Bernd Mertens: Lobbyisten erfüllen in unserer Demokratie eine wichtige Aufgabe. Man kann ihnen auch nicht vorwerfen, dass sie interessenbezogen argumentieren. Genau das müssen sie nämlich. Wenn man als Gesetzgeber Stellungnahmen von Lobbyisten bewertet, muss man im Hinterkopf haben, dass dies keine neutralen Sachverständigenäußerungen sind. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie unbrauchbar oder gar falsch wären.
Das Parlament: Was läuft bei uns in der Gesetzgebung falsch?
Bernd Mertens: Wir nehmen uns manchmal nicht nur bei der Vorbereitung zu wenig Zeit, sondern auch bei der Gesetzeswirkung geben wir zu wenig Zeit. Jedes Gesetz braucht eine Weile bis es Wirkung entfaltet und sich in der Praxis erprobt. Zudem werden auch die von dem Gesetz Betroffenen stark verunsichert, wenn sie alle halbe Jahre mit einer neuen Gesetzeslage konfrontiert werden.
Das Parlament: Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Bernd Mertens: Nehmen Sie die Steuergesetzgebung. Vor ein paar Jahren hat man die Steuersätze für gut Verdienende heruntergefahren und heute führt man eine so genannte Reichensteuer ein. Das mag man inhaltlich bewerten wie man will. Methodisch ist so ein Vorgehen jedoch ein Problem, weil es für den Gesetzesadressaten eine Politik des Hü und Hott ist. Heute wird so entschieden und zwei Jahre später wieder anders. Da fehlt die klare Linie.
Das Parlament: Ist der Gesetzgeber zu populistisch?
Bernd Mertens: Es ist generell das Problem in einer Demokratie, die von relativ kurzen Legislaturperioden gekennzeichnet ist, eher kurzfristige Ziele in den Vordergrund zu stellen. Das ist ein strukturbedingtes Verhalten.
Das Parlament: Durch die Europäische Union werden die nationalen Traditionen in der Gesetzgebung immer unwichtiger. Wie kann man sich auf europäischer Ebene einigen? Was kann Ihre Arbeit dazu beitragen?
Bernd Mertens: Wir stehen vor dem immensen Problem einer Rechtsangleichung in der EU. Natürlich geht es zunächst um Inhalte. Man darf aber nicht vergessen, dass es auch immer um Methoden und Techniken geht. Wie mache ich solche Gesetze? Wie führe ich Rechtsmassen der verschiedenen europäischen Länder zu einem einheitlichen Rechtskörper zusammen? Dabei ist es wichtig, dass man sich vergewissert, wie man das früher gemacht hat. Wo kommen wir her? Gibt es gemeinsame Wurzeln? Für diesen Prozess kann meine Arbeit sicher nützlich sein.
Das Parlament: Wie schafft man es, ein gemeinsames Rechtsverständnis mit den osteuropäischen Ländern aufzubauen?
Bernd Mertens: Die osteuropäischen Länder sind nicht das große Problem. In vielen Ländern ist die Angleichung des Rechtsgebungsprozesses schon seit Jahren in Gang. Die größeren Probleme bestehen in der Angleichung der Denkmodelle von Kontinentaleuropa und angloamerikanischem Recht. In Großbritannien herrscht die Tradition eines nur in Randbereichen kodifizierten Rechts, das heißt, die Rechtsordnung war vor allem vor dem EU-Beitritt durch Richterrecht geprägt. Das englische Recht ist ein so genanntes case law, das sich auf Tradition und Präzedenzfälle stützt. In Kontinentaleuropa haben wir hingegen seit mehreren Jahrhunderten ein sehr stark kodifiziertes Recht, also geschriebene Gesetzbücher. Natürlich hat auch England mittlerweile viel geschriebenes Recht, schon deshalb, weil es die EU-Rechtsvorschriften übernehmen muss. Aber nach wie vor bestehen hier kulturelle Unterschiede, die man nicht zu gering einschätzen soll.
Das Parlament: Was bedeutet Ihnen die Verleihung des Wissenschaftspreises des Deutschen Bundestages?
Bernd Mertens: Es ist eine große Ehre und Ansporn für künftige Forschungsarbeiten.
Das Parlament: Viele Wissenschaftler führen ein Nischendasein. Erhoffen Sie sich auch eine Medienöffentlichkeit?
Bernd Mertens: Ja, schon. Das ist gerade in meiner Fachrichtung ein wichtiger Faktor. In den Geisteswissenschaften ist es nicht leicht, Forschungserfolge angemessen zu vermitteln, da es Ergebnisse sind, die man nicht unmittelbar anfassen oder deren Geldwert messen kann. Deshalb sind solche Preise auch eine sinnvolle Art, Forschungsergebnisse der breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Das Interview führte Annette Rollmann