Es ist seit Theodor Heuss eine gute Tradition, dass der Deutsche Presserat dem jeweiligen Bundespräsidenten den Pressekodex vorlegt. So geschah es abermals mit der überarbeiteten Fassung am 20. November in Berlin. Der neue Kodex rüttelt natürlich nicht an den alten Grundsätzen. Mit ihnen haben sich Journalisten und Verleger selbst Regeln für einen fairen Journalismus gegeben. Sie verwirklichen damit den lapidaren Satz des Grundgesetzes zur Pressefreiheit: "Eine Zensur findet nicht statt." Stattdessen die freiwillige Selbstkontrolle.
Vor 50 Jahren kamen im Bonner Hotel "Bergischer Hof" fünf Verleger und fünf Journalisten zusammen, um dieses Organ der "Selbstachtung der Presse" (Theodor Heuss) zu schaffen. Beide Seiten von Anfang an gleichberechtigt und in einem Boot. Seither sitzt der Presserat in Bonn. Zunächst waren es nur Vertreter des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV). 1957 kam der Verband der Zeitschriftenverleger (VDZ) hinzu; 1960 die gewerkschaftlich orientierte Deutsche Journalisten-Union (dju). Ihnen war und ihren Nachfolgern ist bewusst, dass der Satz des "Alten Fritz" am besten von den Zeitungen selbst zu verwirklichen und zu schützen ist: Wenn die Zeitungen "nicht genieret werden dürfen", müssen sie sich selbst schämen, falls sie gegen ihre eigenen Regeln verstoßen. So beim "Interview" mit den Geiselnehmern von Gladbeck.
Der Presserat schlägt jedoch auch Alarm und versucht Einhalt zu gebieten, wenn Journalisten falsch bezichtigt werden oder ihre Freiheit bedroht ist: Von der Lex Soraya im Jahr 1958 über die Spiegelaffäre 1962 bis zur Cicero-Durchsuchung 2006.
Journalisten und Verleger im Presserat sind überzeugt, wie es der Vorsitzende seines Trägervereins, Hermann Neusser, Verleger und Herausgeber des Bonner General-Anzeigers, auf der Feier des 50. Geburtstages des Presserates im Berliner Museum für Kommunikation gesagt hat: "Nicht alles, was von Rechts wegen zulässig wäre, ist auch ethisch vertretbar."
Das ist die Grundlage des Pressekodex, bei dessen Durchsetzung Bundespräsident Horst Köhler noch mehr Energie verlangt. Köhler setzte sich auf der Geburtstagsfeier des Presserates für den Qualitätsjournalismus ein. "Es geht um die Frage, ob die Verlage infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten, auf die sie mit Personalkürzungen reagieren, überhaupt noch die Rahmenbedingungen für Qualitätsjournalismus gewähren können", sagte Köhler. "Verkaufen Sie das Wort nicht zu billig!" Köhler wandte sich aber auch gegen die Annahme, wirtschaftlicher Druck bedeute zwangsläufig schlechtere Qualität. Als schwerwiegende Gefahr für die journalistische Unabhängigkeit bezeichnete er die Schleichwerbung: "Ein Journalist, der bloß noch zur Garnierung oder vielleicht zur Tarnung von Werbebotschaften dient, der hat sich selbst aufgegeben", so das Staatsoberhaupt.
Das Jubiläum im Museum bedeutet nicht, dass die Regeln des Pressekodex museal wären. Im Gegenteil. Sie helfen Journalisten bei der täglichen Arbeit und sollten überall Teil der Volontärsausbildung sein. Jeder kann sich kostenlos beschweren, wenn diese Regeln verletzt werden. Guter Presserat ist nicht teuer. Hin und wieder wurde den Beschwerdeverfahren des Presserats nachgesagt, sie wirkten wie ein zahnloser Tiger. Aber dieser Tiger hat dennoch Biss, wenn er von seinen Sanktionsmöglichkeiten Gebrauch macht.
Die schwerwiegendste von ihnen ist die öffentliche Rüge mit Abdruckverpflichtung in der betroffenen Zeitung. Weil sich eine Boulevardzeitung nicht daran halten wollte, stellte der Presserat sogar zwischen 1982 und 1985 seine Arbeit vorübergehend ein. Er nahm sie nach der Gründung des Trägervereins 1985 erst wieder auf, als die Mehrheit der Verlage dem Abdruck von Rügen in den eigenen Publikationen zustimmte. Als weitere Sanktionsmöglichkeiten kommen in Betracht die nicht-öffentliche Rüge, bei der aus Rücksicht auf Opfer auf den Abdruck verzichtet wird, die Missbilligung und der Hinweis.
Wer Redaktionen von innen kennt, weiß, dass selbst die mildeste Sanktion wie eine Arznei wirken kann. Sonst würden sich manche Boulevardzeitungen nicht mit so großem juristischen Geschütz wehren oder gegen den Abdruck sträuben. Eine Satirezeitschrift zog sich einmal aus der Schlinge: "Wir drucken keine Rügen. Wir drucken nur Rügen von Caspar David Friedrich." Was mit dem Abdruck des berühmten Bildes geschah. Womit aber jeder Journalist wusste, dass Titanic wegen eines Rollenspiels im Beichtstuhl gerügt worden war.
Jahrbuch des Deutschen Presserats 2006: Inklusive CD-ROM mit der Spruchpraxis 1985-2005, UVK Verlagsgesellschaft, 2006; 330 S., 29 Euro