Seine Gefühle vermöge er schlecht zu zeigen, gestand Bernhard Heisig einmal. Nur die Wut, die könne er richtig gut malen. Schreiende Köpfe, zerschundene Leiber, wildes Getümmel, Kampf - immer wieder zeugen die farbgewaltigen Bilder des Künstlers, der in der DDR zu den bedeutendsten Malern und Grafikern gehörte, von diesem Gefühl. Seine Werke bewahrten nicht die kühle Distanz wie bei Gerhard Richter oder hätten die Eleganz der Werke seines Leipziger Malerkollegen Werner Tübke, schrieb die "Die Zeit" anlässlich Heisigs 80. Geburtstag im vergangenen Jahr. Heisig befände sich stets im "Nahkampf mit der Kunst".
Krieg und Leid, Wut und Entsetzen sprechen auch aus dem Bild, das Heisig 1998/99 für den Deutschen Bundestag malte. In der Cafeteria des Reichstagsgebäudes nimmt es fast die gesamte Stirnseite des Raumes ein. Auf einer knapp sechs Meter breiten und eineinviertel Meter hohen Leinwand hat Heisig ein Schreckenspanorama der preußisch-deutschen Geschichte gemalt. Eine expressionistische Szenenfolge, voller Anspielungen auf Täter, Opfer und Mitläufer, die mit dem Siebenjährigen Krieg 1756 beginnt und bis in die jüngste deutsch-deutsche Vergangenheit reicht.
Es ist ein großer historischer Bogen, den Heisig damit schlägt - und eine auf den ersten Blick kaum überschaubare Fülle von Motiven: Die schwarz-rot-goldene Fahne der Revolution von 1848, eine Bismarckbüste, Friedrich der Große, an dem ein menschlichen Skelett zerrt, während der König sich an einen Totenschädel klammert. Daran schließen sich Motive aus dem brandenburgischen Domizil des Künstlers an: ein Adlerwappen oder das abgestürzte Fluggerät Otto Lilien-
thals. Dieses Motiv erinnert zugleich auch an den Ikarus-Mythos, der für viele Künstler der DDR zum Sinnbild der gescheiterten Utopie und Sehnsucht nach Freiheit wurde.
Für Heisig hat der Ikarus jedoch noch eine weitere, brisante Bedeutung: 1977 malte er im Auftrag der DDR-Führung ein Bild für den Palast der Republik. Heisig wählte damals den Mythos des Ikarus als Motiv. Gut 20 Jahre später, als der Auftrag des Bundestages kam, für das neugestaltete Reichstagsgebäude ein Werk zu schaffen, schlugen die Wogen der Empörung in Medien und Öffentlichkeit hoch. Ein früherer Funktionärskünstler der DDR, der "immer auf der Schleimspur der Macht" gekrochen sei, sollte nun wieder zu Staatsehren kommen? Auch für viele ehemalige DDR-Oppositionelle war das ein Affront. Doch der Kunstbeirat des Bundestages blieb bei seinem Auftrag. Ausschlaggebend für Heisigs Nominierung sei seine "engagierte Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte", so begründete der Kunstbeirat im März 1998 seine Entscheidung. "Es ist das Interessante an seinen Bildern, dass er das Spannungsverhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Staat thematisiert", findet auch Andreas Kaernbach, Kurator der parlamentarischen Kunstsammlung. "Zeit und Leben" sei deshalb geradezu ein Selbstporträt. "Und nicht nur, weil er sein eigenes Porträt in das Bild hineingemalt hat", sagt Kaernbach.
Heisig stellt sich mit seinen Bildern der Vergangenheit, auch der eigenen. Die Erinnerungen an den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg prägten etwa seine düsteren Untergangsbilder zur "Festung Breslau". Heisig hatte den Kampf um Breslau erlebt - als 16-Jähriger meldete er sich 1942 freiwillig zur SS-Panzerdivision "Hitlerjugend" und wurde ausgerechnet zur Verteidigung seiner Heimatstadt eingesetzt. Auch sonst waren es immer wieder die historischen Stoffe, die den Maler anzogen: So schuf er etwa in den 1950er Jahren Zeichnungen und Lithographien zur Revolution von 1848 und zur Pariser Kommune von 1971. In den 1970er Jahren kam für Heisig der Durchbruch in der DDR. In der Bundesrepublik nahm eine breite Öffentlichkeit dagegen erst von ihm Notiz, als dieser von Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt 1986 den Auftrag erhielt, ihn für die Porträtsammlung im Bundeskanzleramt zu malen.
Nach der Wende standen Person und Werk Heisigs im Zentrum einer heftigen Diskussion um die Hinterlassenschaft der DDR-Kunst. Heisig hatte sich da schon längst von der DDR distanziert, Auszeichnungen und Preise zurückgegeben. Ein Neuanfang? In der Kunst zumindest suchte der Künstler ihn stets: Zum Beispiel indem er seine Bilder übermalte. Dafür ist Heisig bis heute berühmt-berüchtigt. 2004 soll er eines seiner Bilder im Leipziger Bildermuseum nachträglich korrigiert haben. Das Gemälde im Bundestag jedoch blieb von solchen Korrekturen verschont. In der vielbesuchten Cafeteria hätte Heisig wohl auch kaum eine Chance dazu.