Anfang Dezember lieferte der bayerische Innenminister Günther Beckstein der türkischen Tageszeitung "Hürriyet" unfreiwillig eine Steilvorlage ins braune Klischee: Eine Moschee passe einfach nicht in den Münchner Stadtteil Sendling, sagte der CSU-Politiker in einem Interview, wer das anders sehe, habe nicht "das Empfinden eines halbwegs normalen Menschen". Diese Wortwahl wecke "schreckliche Erinnerungen", kommentierte Münchens SPD-Oberbürgermeister Christian Ude als Befürworter des Moschee-Neubaus. Und Hürriyet bastelte aus dem Streit einen Seite-eins-Aufmacher mit der Schlagzeile: "Moschee-Hindernis mit Nazi-Mund". Daneben das Bild des schmallippigen Beckstein.
Da war sie wieder, die antideutsche Seite der größten türkischen Tageszeitung. In einem Kommentar war schon einmal zu lesen, die Türken seien "die Juden des heutigen Deutschland". Und noch vor gut fünf Jahren fühlte sich Cem Özdemir (Die Grünen) wegen türkeikritischer Äußerungen derart diffamiert, dass er gegen die Zeitung vor Gericht zog. In einem Beitrag für den Sender 3sat erklärte der Parlamentarier damals: "Es gäbe einen Aufschrei der Empörung, wenn die ‚Hürriyet' eine Woche lang jeden Tag auf Deutsch übersetzt werden würde."
Inzwischen aber hat Ertug Karakullukcu als Chef der Europaausgabe abgedankt - unter anderem auf Druck des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau - und drastische Aufmacher wie im Fall Beckstein sind seltener geworden. Sogar Özdemir bescheinigt der erneuerten Redaktion, der selbst verkündete Abschied vom Kampagnenjournalismus sei nicht nur Rhetorik gewesen. Faruk Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien (ZfT), erklärte, die Zeitung setze mehr auf Integration. Zu diesen Einschätzungen passt, dass "Hürriyet" (Freiheit) Anfang Dezember in Berlin eine Podiumsdiskussion mit einigen Frauenrechtlerinnen wie Seyran Ates veranstaltete. Die Rechtsanwältin und Buchautorin hatte sich nach eigenen Worten auch wegen Überschriften wie "Diese Anwältin ist verwirrt" einer "Hetzkampagne" durch das Massenblatt ausgesetzt gesehen. "Wir hetzen nicht gegen sie, wir haben lediglich andere zitiert", rechtfertigt Keram Caliskan, Chefredakteur der Europaausgabe, solche Zeilen. "Und: wir schreiben auch ausführlich, was sie sagt!" Gerne verweist Caliskan in diesem Zusammenhang auf die Mitte 2005 gestartete "Hürriyet"-Kampagne "Gegen häusliche Gewalt", die von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), unterstützt wird.
In Zeiten drastisch sinkender Auflagen setzen die Blattmacher allerdings im neuen, 25 Millionen Euro teuren Verlagsgebäude in Mörfelden-Waldorf im Großraum Frankfurt auf das bewährte Mittel der Überspitzung. Selbst dann, wenn der Neubau einer Moschee zu verteidigen ist. Bedeutsam ist das auch insofern, als das Blatt sich eigentlich den laizistischen Prinzipien von Republikgründer Atatürk verpflichtet fühlt. Sein Konterfei ziert die Kopfleiste der Zeitung, darunter die Parole: "Die Türkei gehört den Türken."
Mit der Rückkehr der bürgerlich-liberalen "Sabah" auf den deutschen Markt im vergangenen Jahr hat sich die Konkurrenz verschärft. Die besteht aus nunmehr sechs türkischsprachigen Zeitungen mit eigenständiger Deutschlandausgabe. Der kränkelnde Marktführer "Hürriyet" findet an den Kiosken täglich nur noch etwas mehr als 33.000 Käufer - und liegt damit nicht mehr weit vor "Zaman" (27.000), die größtenteils im Abonnement bezogen wird. Im Münchner Moscheenstreit hätten jene, die die Zeitung als islamis-tisch verkennen, eine flammende Stellungnahme zugunsten der Moschee-Befürworter erwarten können. Stattdessen fanden sich die Ereignisse auf Seite 17 neutral dargestellt. "Zaman" (Zeit) wurde vor 20 Jahren von dem islamischen Friedensbotschafter Fethullah Gülen gegründet. Rein weltlich orientierte Türken verulkten sie in einem Umkehr-Wortspiel gerne als "Namaz" - "Gebet". Inhaltlich hat die politisch liberal-konservative Zeitung (Motto: "Mit der Zeit wird sich die Wahrheit zeigen") jedoch nichts mit Propaganda für den Islam zu tun. Sie bemüht sich um Ausgleich und Integration und setzt auf ein gebildetes und demokratisches Publikum. Schon von der seriös-ästhetischen Aufmachung her erinnert sie an die frühere "Woche". "Hürriyet" dagegen gemahnt mit ihren großen Lettern, zumindest von der Frontseite her, eher an "Bild", mit der sie tatsächlich kooperiert. Chefredakteur Kai Diekmann sitzt im Beirat der "Hürriyet", und wenn es sein muss, zeigen er und sein Istanbuler Kollege Ertugrul Özkök schon einmal gemeinsam Flagge, wie im Karikaturen-Streit Anfang 2006. Da riefen sie gemeinsam in "Bild" zu Völkerverständigung auf.
Um den Leserschwund zu stoppen, plant "Hürriyet" Caliskan zufolge, im Frühjahr erneut mit einer wöchentlichen Beilage im Großformat auf Deutsch zu erscheinen. "80 Prozent der jungen Generation spricht hervorragend Deutsch", glaubt Caliskan, "und nur noch schlecht Türkisch." 100.000 Leser wie zu Monopolzeiten der 40 Jahre währenden Deutschlandpräsenz wird die Zeitung schon wegen des Generationenwandels aber nie mehr erreichen. Daran werden sicherlich auch Themen wie "Erstes Altersheim nur für Türken in Berlin eröffnet" nichts ändern. Oder die Tatsache, dass das Blatt immer wieder als Ratgeber bei Fragen zu Renten- oder Krankenversicherung auftritt und alljährlich in der Service-Serie "Der Weg in die Heimat" die Urlaubsreise in die Türkei erleichtert.
Auch eine aktuelle Untersuchung des ZfT deutet darauf hin, dass sich der Auflagentrend nicht umkehren wird. Laut ZfT lesen von 1.000 Befragten nur noch 58 Prozent türkischsprachige Zeitungen, 40 Prozent lesen auch oder nur deutschsprachige Zeitungen. Dafür wird umso ausgiebiger ferngesehen: Über 90 Prozent sehen via Satellit und Kabel ebenso türkische Sender wie deutsche. Zur Auswahl stehen neben dem staatlichen TRT, das verstärkt mit dem ZDF kooperiert, fast ein Dutzend kommerzieller Privatsender. Populärste Radiostation in Deutschland ist längst nicht mehr der WDR mit der muttersprachlichen 40-Minuten-Migrantensendung "Köln-Radio", sondern "Radiyo 94,8 Metropol fm", das rund um die Uhr Unterhaltung und Politik auf Türkisch funkt. Dirk Holm, Autor der Medienstudie des ZfT, folgert aus der Tatsache der Vielfachnutzung in beiden Sprachen: "Die türkische Community verfügt über Medienkompetenz und Urteilsfähigkeit. Türkische Medien werden überwiegend komplementär genutzt." Auch wenn man nicht Medienwirkung, sondern Mediennutzung erforsche: Von Parallelgesellschaft könne keine Rede sein.
Der Nachwuchs ist ganz zu Hause im Internet. Am populärsten ist die Netz-Zeitung "vaybee!" (Neudeutsch etwa: "Whow!"). Die Kölner Kulmac-Brüder und ihr Schwager Ufuk Senay wollten mit dem Nachrichten- und Lifstyle-Portal nach eigener Aussage "die türkische Community europaweit miteinander vernetzen und ihren Informationsstand erhöhen". Das Besondere: Ein Klick, und Texte etwa zum Thema "Deutschland braucht mehr türkische Lehrer" erscheinen auf Deutsch. Viele der offenbar jungen, türkischen Leser kommentieren auf Deutsch. Ein "jale2004" etwa schreibt: "boa ey, dat regt mich wieder so wat von auf." "Vaybee!" nennt sich im Untertitel "Seite der neuen Generation". Das klingt wie eine Kampfansage an die Zeitungstraditionalisten aus Frankfurt. Von Moscheen und Nazis kein Wort.
Christian Bleher ist freier Journalist und Dozent an der Journalistenschule in München.