Illegale Einwanderer sind überall. Sie putzen unsere Wohnungen, bauen und renovieren unsere Häuser, kochen in Bars und Restaurants oder tingeln als Musiker durch die Kneipen. Nicht nur Privatleute, auch Unternehmen nehmen ihre Arbeitskraft gerne an. Denn Illegale sind billig. Man muss keine Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge für sie zahlen und sie arbeiten immer, egal wie lange. Nie werden sie vor ein Gericht ziehen, wenn man sie um ihren Lohn prellt. Illegale sind faktisch rechtlos - denn eigentlich existieren sie gar nicht.
Der Migrationsforscher Klaus Bade spricht von einer "großen Scheinheiligkeit", wenn es um die Illegalen geht: "Sie werden hier im Regen stehen gelassen, ständig bekämpft, denunziert, mit Razzien bedroht und dergleichen mehr." Indirekt aber werde Illegalität toleriert, weil wir alle auf unsere Weise von ihr profitierten. "Zu jedem illegalen Beschäftigten gehört immer auch ein illegaler Arbeitgeber, sodass diese Leute in vielen Bereichen der Wirtschaft längst eine wichtige Position eingenommen haben."
Grobe Schätzungen, die das Katholische Forum "Leben in der Illegalität" auf seiner Internetseite veröffentlicht, gehen davon aus, dass Illegale am Umsatz bestimmter Branchen enorme Anteile haben: In der Baubranche etwa werden die durch sie erzielten Umsätze auf rund 6 Milliarden Euro geschätzt, bei der Beschäftigung in Haushalten sowie im Gaststätten- und Hotelgewerbe auf jeweils 2,5 Milliarden Euro. Genau überprüfbar sind diese Zahlen nicht, viele Forschungsinstitute sehen sie mit großer Skepsis. Gleiches gilt für Angaben darüber, welche wirtschaftlichen Schäden die illegale Einwanderung anrichtet: Laut aktuellem Forschungsbericht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge könnte der Anteil illegaler Migranten an der Schattenwirtschaft derzeit bei geschätzten 13 Prozent liegen. Dem Steuer- und Sozialversicherungssystem entgingen so knapp 18 Milliarden Euro jährlich.
Für den Staat steht, ungeachtet aller statistischen Grauzonen, fest, dass illegale Migration großen Schaden anrichtet. "Die illegale Migration mit ihren Auswirkungen auf die Kriminalitätslage, den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme in Deutschland ist eine der gegenwärtig größten Herausforderungen für unsere Gesellschaft", erklärte erst vor kurzem August Hanning, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, in einer Pressemitteilung. Im Juli 2006 stellte er in Berlin das "Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration" (GASIM) vor, dass in Zusammenarbeit mit allen beteiligten Behörden künftig gegen die Illegalen vorgehen soll. Mit dem GASIM, so der Staatssekretär, werde der "ganzheitliche Bekämpfungsansatz" weiter ausgebaut.
Dieser Kampfansage des Staates steht eine Tatsache gegenüber, vor der die Politik bislang wissend die Augen verschließt: Illegale Migration wird es in Deutschland und Europa immer geben, sie ist längst ein etabliertes Phänomen. Nicht nur, weil es tatsächlich einen Bedarf für die ebenso billigen wie willigen Arbeitskräfte gibt. Sondern auch, weil das reiche, westliche Europa für viele oft der einzige Ausweg ist, der Not im eigenen Land zu entkommen. Gerade mit Blick auf Afrika sagt Klaus Bade: "Wir sorgen selbst dafür, dass die Menschen ins Laufen kommen, denn wir haben wesentliche Beiträge in der Geschichte dazu geleistet, die Wirtschaften dort zu ruinieren."
Illegalität zu bekämpfen, kann also nicht die einzige Lösung sein - der Staat hat auch eine Fürsorgepflicht gegenüber den Menschen, die sich in ihm aufhalten, auch wenn sie das illegal tun. Darauf verweist immer wieder und besonders vehement die Katholische Kirche. In einem Positionspapier, das die deutsche Bischofskonferenz im Jahr 2001 veröffentlicht hat, fordert sie "eine differenzierte Sicht und Würdigung der Hintergründe und Motive" der Betroffenen und appelliert zugleich an die politisch Verantwortlichen: Der Staat habe, so die Kirchenvertreter, unabhängig von "allen notwendigen und berechtigten" Bemühungen, Illegalität zu begrenzen, auch eine Verpflichtung. Er müsse "allen hier lebenden Menschen ihre grundlegenden Menschenrechte gewährleisten". Dazu gehöre insbesondere ein Recht auf Bildung, das Recht auf Zugang zu erforderlichen medizinischen Leistungen und ein Anspruch auf den vereinbarten Lohn, der auch gerichtlich einklagbar sein muss.
Doch davon ist die Realität weit entfernt. Zwar haben Illegale auch hierzulande Rechte. Doch der Staat sorgt mit rigiden Bestimmungen im Aufenthaltsgesetz dafür, dass sie so gut wie nie wahrgenommen werden: Behörden, Schulen oder soziale Dienste müssen die Illegalen nämlich der Ausländerbehörde melden, wenn sie von ihrem Status erfahren.
De facto bedeutet das, dass Illegale nichts tun können, wenn ihr Vermieter sie von heute auf morgen aus der Wohnung wirft oder der Chef sie nicht bezahlt. Ihre Kinder können sie meist nicht zur Schule zu schi-cken, und auch einen Anspruch auf eine Kranken- oder Unfallversicherung haben sie nicht.
Was Letzteres für die Menschen bedeutet, weiß Adelheid Franz nur zu genau. Die Allgemeinmedizinerin leitet seit 2001 in Berlin die "Malteser Migranten Medizin", um den Kranken zu helfen, die sonst kein Arzt behandelt. Rund 6.000 Patienten kamen in den letzten fünf Jahren in ihre Praxis - oft waren sie am Ende ihrer Kräfte. Krankheiten und unerträgliche Schmerzen schleppten sie manchmal schon Wochen oder sogar Jahre mit sich herum, bevor sie endlich Hilfe suchten. "Fast 20 Prozent meiner Patientinnen sind schwanger", sagt Franz. "Manche sehe ich erst in der 39. Woche." Letztes Jahr seien sogar zwei hochschwangere Frauen zu ihr gekommen, die sich noch eine Woche vor der Entbindung prostituieren mussten, um nicht auf der Straße leben zu müssen.
Die deutschen Gesetze kennen auch in solchen Fällen kaum ein Pardon: Wenn Adelheid Franz den Frauen über die reine medizinische Behandlung hinaus hilft, ihnen Babysachen in die Hand drückt oder ihnen eine Notunterkunft vermittelt, macht sie sich strafbar. Und auch wenn Zwangsprostituierte vor ihren Peinigern flüchten, reagiert der Staat oft mit aller Härte: Nach dem Prozess droht ihnen Abschiebehaft und schließlich die Ausweisung. Nicht selten werden sie in ihren Heimatländern von den Familien verstoßen oder gar von den Menschenhändlern wieder aufgespürt - der Leidensweg der Frauen setzt sich dann fort. "Verstöße gegen das Ausländergesetz haben in Deutschland politisch Vorrang vor dem Schutz und den Hilfeleistungen für die Frauen", kritisieren die Bischöfe in ihrem Papier. Illegalität ist in Deutschland in erster Linie eine Straftat.
Illegale verstecken sich darum oft Jahre in schäbigen, baufälligen Wohnungen und wagen sich nur auf die Straße, um arbeiten zu gehen. Mit den Medien sprechen nur sehr wenige über ihre Erlebnisse, und wenn, dann mit größter Vorsicht. Wer es tut, hat sich bisweilen eine perfekte Fassade zugelegt, die schwer oder gar nicht zu durchschauen ist: Manche kommen im sauber gebügelten Hemd und blank geputzten Schuhen, sie erzählen, wie gut es ihnen geht und verneinen immer wieder, schlechte Erfahrungen gemacht zu haben.
Nur wer weiter recherchiert, findet bisweilen he-raus, dass ihre Erzählungen von Anfang bis Ende nicht stimmen. Dass die guten Klamotten aus der Kleiderkammer kommen, sie ihre Rechnungen tatsächlich über Monate nicht bezahlen können und dass sie immer wieder umziehen müssen, weil ihre Vermieter sie ständig vor die Tür setzen. Auch die Erfahrung, nach stundenlanger Maloche ohne Lohn nach Hause geschickt zu werden, haben alle schon mehr als einmal gemacht. Sprechen wollen sie darüber nicht, schon gar nicht in der Öffentlichkeit.
"Diese Menschen verschweigen die kränkenden Erfahrungen, die sie täglich machen", erklärt Adelheid Franz dieses Phänomen. "Das hat viel mit Scham zu tun. Sie haben Angst, ihr Gesicht zu verlieren, wollen ein Bild von sich präsentieren, das sie selbst gerne von sich sehen." Viele, sagt sie, fürchten auch die Familien zu Hause, in ihren Heimatländern: "Die Menschen wollen nicht, dass die wissen, wie es ihnen in Deutschland ergeht. Niemals würden sie zugeben, welches Leben sie hier tatsächlich führen."