Sein rechter Fuß pflückt die Flanke herunter, eine Körpertäuschung lässt den Gegner ins Leere stürzen und dann zieht er mit links ab, sodass der Ball im kurzen Eck flach einschlägt. Aldin, 16, hat seine Harras Bulls ins Finale eines wahrhaft international besetzten Jugendturniers geschossen. Er stammt aus Bosnien, seine Mannschaftskameraden sind Serben, Kosovo-Albaner, Afghanen und Togolesen. Man spricht deutsch auf und neben dem Spielfeld einer Sporthalle in München.
Die Harras Bulls sind Keimzelle des Netzwerkes buntkicktgut, in dem 80 Teams organisiert sind, von Achtjährigen bis zu jungen Erwachsenenmannschaften. Ihr Betreuer und Trainer, Anwalt und Vater, Seelentröster und Organisator heißt Rüdiger Heid, 50. Er führt einen 20-Mann-Betrieb fast allein. Heid spricht gemäßigtes schwäbisch und wirkt wie eine moderne Mischung aus Don Quijote und Odysseus: Kampfeslust und List sind seine Tugenden. "Ich bin Feind bürokratischer Hemmnisse, da schaffe ich lieber gleich Tatsachen." Vor zehn Jahren hat er als "Pförtner mit Sonderaufgaben" in einer Flüchtlingsunterkunft die grenzüberschreitende Kraft des Fußballs entdeckt.
Das waren neuneinhalb Jahre vor der WM im eigenen Land und dem Integrationsgipfel bei der Bundeskanzlerin, neun Jahre ehe der DFB das Thema für sich entdeckt hat und drei Jahre bevor der Deutsche Sportbund "Integration durch Sport" ins Leben gerufen hat; eine Einrichtung, die sich auf mittlerweile fast 500 Stützpunkte im Land bezieht und vom Innenministerium mit jährlich rund 5 Millionen Euro finanziert wird. Der DFB unterstützt nun zudem mit 400.000 Euro ein Projekt, das Mädchen mit Migrationshintergrund zum Fußball verführen soll.
Während in manchen Altersklassen fast zwei Drittel ausländische Jungs in Sportvereinen organisiert sind und damit sogar Deutsche überflügeln, finden sich teilweise nur etwa drei bis sieben Prozent der Migrantinnen in Vereinen wieder. Der Hauptgrund liegt vor allem an unterschiedlichen Kulturvorstellungen: Für muslimische Eltern ist es undenkbar, dass sich ihre Tochter in Gemeinschaftsumkleidekabinen umzieht, oder sie haben Angst, sie alleine nach Hause gehen zu lassen. "Da gibt es viele Gründe", sagt Sportdidaktiker Ulf Gebken von der Universität Osnabrück, der das Projekt als Pilotversuch in Oldenburg gestartet hat. Nun wird es auf zehn Städte ausgedehnt, Duisburg und Berlin sind schon dabei.
Entscheidend ist, dass die Eltern mitmachen. "Erst wenn die Trainer in den Wohnzimmern gesessen haben, ist das Vertrauen da." Gebken geht bei seiner Arbeit von den Schulen aus. Er hat festgestellt, dass an Hauptschulen Fußball für die Mädchen die Nummer eins ist. Er sei nun einmal der schichten- und geschlechterübergreifende Mannschaftssport schlechthin. Eine Integration kann nach Gebkens Erfahrungen nur gelingen, wenn Schulen, Jugendämter und Vereine eng zusammenarbeiten. Die Botschaft ist: "Allein schafft man es nicht." Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass der neu geschaffene, ehrenamtliche Posten der Integrationsbeauftragten beim DFB seit Dezember mit einer Frau besetzt ist. Gül Keskinler, 43, sozialisierte Rheinländerin mit türkischem Hintergrund, wurde von der Staatsministerin für Integration Maria Böhmer empfohlen und hat sich gegenüber zwei Männern durchgesetzt. Seit vier Jahren leitet Keskinler zudem das Projekt "start" beim Landessportbund Hessen und bietet Schwimmen, Gymnastik und Tanz für Migrantinnen in Frankfurt an. Sie werden wie auch bei Gebken früh zu Übungsleiterinnen mit Verantwortung ausgebildet. "Meine Ausgangsüberlegung war, die Mädchen stärker ins soziale Leben einzubinden. Schließlich haben sie später als Mütter Vorbildfunktion." Andererseits sieht Keskinler in der deutsch geprägten Vereinskultur Veränderungsbedarf, um interkulturellen Ansprüchen zu genügen.
Der bayerische Landesverband des DFB bemüht sich um eine Kooperation mit buntkicktgut. Heid ist da vorsichtig, weil er sein Netzwerk nicht in den Vereinsstrudel reißen lassen will. "Das zeichnet ja Straßenfußball aus: der reine Spaß, das reine Spiel, die Abwesenheit von Trainingszwang." Auseinandersetzungen zwischen Gangs einzelner Stadtteile oder Türken und Afrikanern an Wochenenden im Bereich des Münchener Vergnügungsareals Kunstpark Ost haben seit zwei Jahren stark nachgelassen. "Die Jungs", sagt Heid, "schreiben das buntkicktgut zu." Die Heimat heißt nicht mehr Togo, Kosovo, Afghanistan, sondern buntkicktgut. Die einzige Frage ist, wie jemand spielt, nicht, woher er kommt.