Ich definiere mich als Russe, der in Deutschland lebt", beschreibt Wladimir Kyskow-Strewe sein Selbstbild. Die Identität spiegle ja sogar sein Doppelname, sagt der intellektuell wirkende Mann, der in beiden Welten zu Hause ist. Der Soziolinguist aus dem damaligen Leningrad kam 1990 mit einem Postgraduiertenstipendium zunächst nach Hamburg und eroberte sich dort schnell die Wissenschaftsszene. Weil sein russischer Doktortitel in Deutschland nicht anerkannt wurde, war ihm die Forscherkarriere verbaut. "Ich musste in diesem titelversessenen Land neue Perspektiven entwickeln", sagt der 44-Jährige inzwischen ohne Bitterkeit.
Dank einer Zusatzausbildung qualifizierte sich Wladimir bald als Trainer für Kommunikation, Moderation und Personalführung und begab sich auf diesem hart umkämpften Markt auf die Suche nach einer Nische.
"Es war Anfang der 1990er-Jahre und die Zeit des Aufbruchs vieler deutscher Unternehmen nach Osteuropa", erinnert er sich. Durch einen Glücksfall ergab sich, dass die Firma Bosch, die damals in der Wolga-stadt Saratow investieren wollte, ihn und die deutsche Trainerin Silvia Schroll-Machel um ein interkulturelles Training für ihre Manager bat.
In Berlin hat sich Wladimir das Wandeln zwischen den Welten seither zum Beruf gemacht. Er berät deutsche Unternehmen dabei, welche kulturellen Unterschiede sich in der Zusammenarbeit auswirken könnten. Zum großen Schatz persönlicher Erfahrungen sind längst wissenschaftliche Betrachtungen über Interkulturalität hinzugekommen. Große Unternehmen wie Volkswagen gehören heute ebenso zu Wladimirs Kundenstamm wie das Auswärtige Amt.
Besonders wichtig ist Wladimir in seinen Seminaren, den Teilnehmern die eigene und die fremde Kultur bewusst zu machen und ihnen nahezubringen, dass sie die Unterschiede wertschätzen. "Deutsche zeigen in ihrem Verhalten gegenüber anderen Kulturen einen verdeckten Kulturimperialismus", merkt er sehr vorsichtig an. "Deutsche kommen immer mit der Annahme, etwas besser zu wissen." Diese Grundhaltung führe schnell dazu, dass Menschen aus anderen Kulturen gekränkt reagierten. "Bescheidenheit bringt da häufig sehr viel mehr", ist Wladimirs Erfahrung, die er in seinen Seminaren gerne weitergibt. Nach Unterschieden gefragt, differenziert Wladimir zwischen den emotionalen, personenbezogenen Kulturen Osteuropas und der Sachbezogenheit von Deutschen. "Die deutsche Seite nimmt an, wenn wir gut zusammenarbeiten, dann mag man sich." In Osteuropa werde das meist genau andersherum gesehen: "Wenn wir uns mögen, dann arbeiten wir auch gut zusammen." In der Kommunikation zwischen Deutschen und Russen seien dadurch viele Missverständnisse programmiert. Während der Deutsche gewohnt sei, Probleme direkt zu äußern, tendierten Russen zumeist dazu, Dinge eher indirekt anzusprechen und zwischen den Zeilen zu lesen. "Viele Geschäftsbeziehungen sind schon an solchen Unterschieden zerbrochen."
"Integration erfordert, dass Du Deine eigenen Kulturstandards aufgibst", ist Wladimir fest überzeugt. Er selbst habe im Laufe der Jahre in Deutschland vieler seiner russischen Eigenschaften abgelegt, so sei beispielsweise die Spontaneität längst einer größeren Bereitschaft zu planen gewichen.
Wladimir hatte in seiner Jugend über seine musikalische Schulausbildung den Zugang zur deutschen Sprache gefunden. "Nun komme ich zurück zu meiner Kernkompetenz", sagt der vielseitige Intellektuelle. Seine jüngste Traineridee ist es, deutsche Opernsänger dabei zu unterstützen, russische Liedtexte phonetisch richtig zu singen. Und umgekehrt, mit russischen Sängern das deutsche Repertoire so einzustudieren, dass der starke russische Akzent nicht mehr die Wagner-Arie stört. Für den beigeisterten Opernliebhaber eine neue Herausforderung, die sich nahtlos an die bisherigen Erfahrungen anschließt.