Im Jahr 2000, zur vollen Blüte der New Economy, hatte Altkanzler Gerhard Schröder eine gute Idee. Gezielt ließ er indische Software-Programmierer anwerben, um den akuten Mangel an etwa 50.000 IT-Fachkräften zu decken, und lockte mit einer "Green Card". Der Erfolg dieser Aktion blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Bis Ende 2004, als die gesetzliche Regelung für das Sofortprogramm auslief, hatten sich knapp 18.000 Ausländer für eine Arbeitserlaubnis beworben, davon 3.000 unmittelbar nach einem Studium in Deutschland.
Neben dem Kollaps der New Economy ist der Grund für das Scheitern der Aktion in einer Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage zu suchen. Laut einer Expertise des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) suchen Migranten sich Länder nach eigenen Vorlieben und Maßstäben aus. Dabei spielen die Einkommensdifferenz zwischen Herkunfts- und Zuwanderungsland, aber auch Faktoren wie Schulbildung und Sozialmilieu eine Rolle. "Dies hat Auswirkungen auf die Gestaltung einer steuernden Einwanderungspolitik", heißt es in der Studie. "So kann der Fall eintreten, dass die Nachfrage eines Landes nach Migranten nicht mit dem selbstselektierten Angebot an Migranten korreliert."
Die Ausgangslage in den meisten EU-Ländern ist ähnlich: Aufgrund demografischer Faktoren wie geringer Geburtenrate und daraus resultierender Schwierigkeiten bei der Versorgung der Rentensysteme sind die europäischen Staaten auf Einwanderung angewiesen. Mit 1,37 Kindern pro Frau hat Deutschland europaweit eine der geringsten Geburtenraten. Schätzungen von Rainer Münz zufolge, Professor für Bevölkerungswissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität, könnte sich die Einwohnerzahl von heute 82 Millionen im Jahr 2050 auf 58 bis 60 Millionen reduzieren.
Um den Rückgang der Bevölkerung auszugleichen, lautet eine Strategie, gezielt Migranten anzuwerben. Für einen vollständigen Ausgleich wären jedoch jährlich rund 700.000 Zuwanderungen erforderlich. Der Ausländeranteil würde sich von heute neun auf geschätzte 45 Prozent im Jahr 2050 steigern. Eine weder politisch vorstellbare noch kulturell sonderlich verträgliche Option. Hält man sich vor Augen, dass es im Grunde weniger um Population als um wirtschaftliche Effektivität und die Sicherung der Sozialsysteme geht, liegt die Lösung auf der Hand: Hoch qualifizierte und gut ausgebildete Zuwanderer braucht das Land.
Eine wirtschaftstheoretische Faustregel besagt: Je höher die Qualifikation von Migranten, desto größer deren positiver Effekt auf das Bruttoinlandsprodukt. Qualifizierte Einwanderer sorgen sogar rückwirkend für einen größeren Bedarf an Arbeitskräften in den Niedriglohnsektoren. Unqualifizierte Einwanderer dagegen konkurrieren häufig mit den ohnehin von Arbeitslosigkeit bedrohten einheimischen Arbeitern und sorgen unter jenen für sozialen Unmut. Daher ist laut einer Studie der Deutsche Bank Research weltweit "in den kommenden Jahren mit einem intensiven Schönheitswettbewerb der betroffenen Länder um Humankapital zu rechnen".
Innerhalb der EU setzt dieser "war for talents" - hierzulande aktiv vom neuen Zuwanderungsgesetz unterstützt - vor allem eine Migrationsbewegung Hochqualifizierter von Ost nach West in Gang. Für die Zielländer hat das einen "brain gain" zur Folge, den Zuwachs an Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftlicher Prosperität. Dagegen leiden die Herkunftsländer verstärkt unter einem "brain drain", dem Wegzug der klügsten und innovativsten Köpfe. Nicht allein osteuropäische Länder sind davon betroffen, sondern auch ein von hoher Arbeitslosigkeit gekennzeichnetes Land wie die Bundesrepublik. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Demographie versucht bereits jeder siebte deutsche Doktorand sein Glück im Ausland. Ohnehin sind im Segment der Hochqualifizierten die Arbeitsmärkte internationalisiert. Attraktive und gut dotierte Wirtschaftsposten und das vielfach bessere Renommee ausländischer Forschungsinstitute locken Bewerber scharenweise in die USA. Auch Großbritannien, wo derzeit ein eklatanter Facharbeitermangel herrscht, ist für Ingenieure und Naturwissenschaftler sehr attraktiv geworden. Rund 13.000 Deutsche, meist gut ausgebildet, sind im Haushaltsjahr 2005/2006 auf die britischen Inseln gelangt.
Das Gros der Einwanderer innerhalb der Union machen indessen gering qualifizierte Migranten aus. Mehr als 380.000 Arbeitsgenehmigungen wurden laut Migrationsbericht 2005 in Deutschland ausgestellt, drei Viertel davon an Polen, die sich überwiegend als Saison- und Gastarbeiter in grenznahen Orten verdingen. Auch Großbritannien verzeichnet einen starken Zuzug von Osteuropäern, von denen nur jeder Dritte gut ausgebildet ist. Dennoch schätzt man auf der Insel die volkswirtschaftlichen Vorteile. Denn die vermehrte Zuwanderung von billigen Arbeitskräften hilft, das Lohn- und Preisniveau stabil sowie die Zinsen niedrig zu halten. Unterm Strich springt dabei sogar ein leicht steigendes Wirtschaftswachstum heraus. Sorge bereitet den Briten und vielen anderen Nationen allenfalls der Anstieg illegal Eingereister und auf dem Schwarzmarkt Tätiger. In Großbritannien wird deren Zahl auf 570.000 geschätzt, in Spanien sogar auf eine Million.
Eine ganz andere Rechnung machte die Unternehmensberatung McKinsey auf einem Bildungskongress im Oktober 2005 auf. Das Beratungsunternehmen schrieb der "Deutschland AG" ins Stammbuch, für mehr Bildungsqualität und Chancengerechtigkeit im eigenen Land Sorge zu tragen. McKinsey forderte ein milliardenschweres Investitionsprogramm im Bereich frühkindlicher Bildung. Die Zukunft der Wissensgesellschaft hänge davon ab, inwieweit Begabung gefördert werde. Besonderes Augenmerk gelte sozial benachteiligten Familien und Kindern ausländischer Eltern. "Der Import von Hochqualifizierten", so Sprecher Holger Fischer, "ist keine Lösung."