Das Jahr 2006 hatte die Europäische Kommission zum "Europäischen Jahr der Arbeitsmobilität" ausgerufen. Sie wirbt auf diese Weise für mehr Flexibilität bei den europäischen Bürgern. Denn bislang sind es nach der offiziellen Statistik gerade einmal zwei Prozent der EU-Bürger, die in einem anderen Mitgliedsland arbeiten. Damit zeigen sich die Europäer bislang weit weniger mobil als beispielsweise die US-Bürger. Selbst nach der Osterweiterung im Mai 2004 liegt dieser Wert nur unwesentlich höher, bestätigt Elmar Hönekopp, Mirgrationsforscher am Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung. Doch die schön klingende politische Formel von der "Arbeitsmobilität" betont einseitig die beruflichen Chancen.
Dabei sind es häufig Armut und Arbeitslosigkeit, die Menschen zum Aufbruch aus ihrer Heimat bewegen. Das Wort Arbeitsmigration hat deshalb einen etwas weniger optimistischen Klang. So bietet sich für Bewohner der benachteiligten Gegenden Europas, sei es in Mecklenburg-Vorpommern, in Nordböhmen oder der Ostslowakei oft nur ein einziger Ausweg: Die Abwanderung in Gegenden, wo die Wirtschaft boomt, sei es nach Prag, Bratislava oder Richtung Bayern. Vor allem an den Rändern der Europäischen Union klafft ein starkes Wohlstandsgefälle.
"Arbeit ist anderswo" heißt ein künstlerisches Projekt, das sich den verschiedenen gelebten Realitäten von mobilen Arbeitnehmern in Europa widmet. Gefördert von der EU zogen im Sommer 2006 mehr als 30 Autoren und Fotografen los, um Arbeitsmigranten eine Weile zu begleiten. Anhand von 16 Lebensgeschichten ist eine eindrucksvolle Wanderausstellung entstanden, die derzeit im Hauptbahnhof von Prag zu sehen ist und ab 1. März im U-Bahnhof Alexanderplatz in Berlin gezeigt wird. Die Initiatoren, das Multikulturelle Zentrum Prag, der Berliner Verein Rejs, die Prager Hochschule für Film und Fernsehen sowie die Universität Ostrava wollen so einen Beitrag zu einer öffentlichen und kritischen Debatte über Arbeitsmobilität leisten. "Wanderarbeit kann eine Chance sein, sie kann aber auch Menschen und deren Beziehungen zerstören", meint das Kooperationsteam.
Erzählt wird unter anderem die Geschichte der 49-jährigen Ukrainerin Ludmila, für die Tschechien längst zum dritten zu Hause geworden ist. Seit elf Jahren lebt und arbeitet sie im tschechischen Olomouc und besucht ihre Verwandten in der Ukraine und Russland nur noch einmal im Jahr. "Arbeiten, essen und schlafen, wir wussten noch nicht einmal, wo wir waren"; erinnert sich Ludmilla an die erste Zeit Anfang der 90er-Jahre als Putzfrau in Tschechien. Ein Schlepper hatte sie dort hingebracht und später, als sie die Arbeitsgesetze des fremden Landes besser verstand, wurde es besser.
Durch die Heirat mit einem Tschechen schaffte sie schließlich den Sprung aus der illegalen Beschäftigung. Wie Ludmilla suchen viele Ukrainer eine Chance in der EU. Schon jetzt ist die illegale Arbeitsmigration über die Grenze groß. Billigarbeiter aus der Ukraine haben seit Mitte der 90er-Jahre vor allem Tschechien als Ziel. Nach Schätzungen sind dort mehr als 40.000 ukrainische Migranten in schlecht bezahlten Jobs tätig, die Einheimische ablehnen. Vor allem in der Baubranche, in Teilen der Industrie und in der Landwirtschaft ist die Nachfrage groß. Daran hat auch der EU-Beitritt Tschechiens im Mai 2004 wenig verändert.
Polen hat die höchste Arbeitslosigkeit in der EU. Kein Wunder also, dass viele Polen die Koffer packen und ihr Glück woanders suchen. Nach Schätzungen sind mindestens eine Million Polen seit 2004 auf der Suche nach Lohn und Brot in den Westen gefahren, das sind rund fünf Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung. Es zieht sie vor allem nach Großbritannien oder nach Irland, wo die Gewerkschaften um polnische Arbeitnehmer werben.
Die irische Billig-Fluglinie Rynair fliegt acht polnische Städte an. In der Heimat ist der Wegzug schwer zu verkraften. Warschau erwägt deshalb eine Saisonarbeiterregelung für Ukrainer, um aus dem verarmten Nachbarland jenseits der EU-Grenze billige Arbeitskräfte zu gewinnen. In den Gegenden, wo die Leute wegen der Arbeitssuche im Ausland weggegangen sind, nimmt die Hoffnungslosigkeit vielerorts noch eher zu. Die Großeltern ziehen die Kinder auf, während die Eltern im Ausland arbeiten.
Viele Orte sind überaltert. Häufig sind es die Frauen, die gehen und ihre Männer zurücklassen, die in den Alkohol fliehen. Vor allem immer mehr Ärzte und Krankenschwestern arbeiten im Ausland, sodass es dem örtlichen Gesundheitssystem an Spezialisten fehlt. Trotz solcher Erscheinungen ist dieses Phänomen der "Kettenreaktion" nach Einschätzung des Nürnberger Migrationsforschers Elmar Hönekopp noch nicht ausreichend untersucht.