Das Grüppchen der Demonstranten war nur klein und die Organisatoren aus dem rechten politischen Lager auch nicht repräsentativ für die traditionell gastfreundlichen Tinerfeños, die Bewohner Teneriffas. Doch dass im vergangenen Herbst überhaupt erstmals auf den Kanarischen Inseln ein Aufmarsch gegen die illegale Einwanderung stattfand, zeigt die Brisanz, die das Thema erreicht hat. Rund 25.000 zumeist aus Afrika stammende Immigranten trieben in den vergangenen Monaten in umgerüsteten Fischerbooten, so genannten Cayucos, an die Küsten der Kanaren. Obwohl die Zentralregierung in Madrid die Ankömmlinge nach der medizinischen Erstversorgung und der Registrierung bei der Polizei meist zügig auf das Festland ausflog, kam sie dem Ansturm kaum hinterher. Fast täglich erreichten weitere Boote den Hafen Los Cristianos im Süden Teneriffas, Gran Tarajal auf Fuerteventura, Gran Canaria oder auch die entfernten Inseln La Palma, El Hierro und La Gomera. Die für bis zu 5.000 Menschen ausgerichteten Aufnahmelager waren schnell überfüllt. Zeltstädte wurden errichtet und ehemalige Kasernen umfunktioniert. "Wir befinden uns in einer Situation des Notstands", klagte der Ministerpräsident der Kanaren, Adán Martín, und warf der Regierung in Madrid Unfähigkeit vor. "Jeden Tag erleben wir es, dass die Rekordzahl der Ankömmlinge vom Vortag übertroffen wird. So kann es nicht weitergehen."
Illegale Einwanderung ist auf den Kanaren kein neues Phänomen. Seit Spanien vor Jahren mit Hilfe von EU-Mitteln begann, die Südküste des Festlands fast lückenlos durch das elektronische System SIVE zu überwachen, wagten immer mehr Illegale die weitere und gefährlichere Reise über den Atlantik auf die vor Afrika gelegenen Kanaren. Deren Bewohner hatten meist Verständnis für deren Situation. Waren doch Tausende ihrer Vorfahren vor Dürre und wirtschaftlicher Aussichtslosigkeit noch in den 60er-Jahren Richtung Mittel- und Südamerika geflohen. Auf einfachen Segelschiffen, mit denen die beschwerliche Reise oft vier Wochen dauerte. Ein Visum hatten diese Seefahrer freilich nicht. Auf La Palma hat fast jede der einheimischen Familien Verwandtschaft in Übersee. Und die, die von dort nach Jahren zurückkamen, pflanzten als Zeichen ihres wirtschaftlichen Erfolgs eine Palme in den Vorgarten.
Doch das Verständnis weicht einer zunehmenden Besorgnis, wohin die Einwanderungswelle führen wird. Es sind nicht immer nur die Hinweise auf eine "humanitäre Katastrophe" mit jedes Jahr vermutlich mehreren Tausend Ertrunkenen, mit denen Madrid und auch die EU zum Handeln aufgefordert werden. Nicht wenige haben Angst um den Ruf der Inseln als Ferienparadies, das jedes Jahr zwölf Millionen zahlende Gäste beherbergt. Die illegalen Einwanderer könnten ein "negatives Licht auf die Insel werfen", sagt ganz offen Juan José Cardona, für Tourismus zuständiger Inselrat auf Gran Canaria. Die Touristen suchten schließlich Erholung. Sie wollten "nichts sehen, was ihnen Probleme und Sorgen bereiten könnte". Erschöpfte, ausgehungerte und nach oft siebentägiger Reise halb erfrorene Afrikaner von der Aussichtsterrasse des Fährterminals in Los Cristianos zu begutachten, gehört nicht zu den Vorstellungen der Tourismusverantwortlichen von einem erholsamen Urlaub. Der seit Jahren zu beobachtende Rückgang der Urlauberzahlen wird gern und schnell in Zusammenhang mit den Illegalen gebracht - auch wenn die Hauptursache dafür bei Billigangeboten für neue Ferienziele oder einer gestiegenen Unlust an reinem "Sonne-und-Sand-Urlaub" zu suchen sein dürfte.
Jedenfalls tun die Inselregierungen alles, um die Touristen von den ungebetenen Gästen abzuschirmen. Das Aufnahmelager La Hoya Fría, unweit von Teneriffas Hauptstadt Santa Cruz gelegen, umgeben vier Meter hohe, mit Scheinwerfern und Lautsprechern bewehrte Betonmauern. El Matorral, die zum Lager umfunktionierte ehemalige Kaserne auf Fuerteventura, bemerken nur Eingeweihte auf dem Weg vom Flughafen zu ihren Urlaubsorten. Bis zu 40 Tage dürfen die illegalen Einwanderer hier festgehalten werden. Wenn bis dahin ihre Nationalität nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann oder keine Rückführungsabkommen zwischen Spanien und ihren Herkunftsländern bestehen - was meist der Fall ist -, werden sie nach Ablauf der Frist mit der Aufforderung freigelassen, das Land unverzüglich zu verlassen. Doch wer sein Leben aufs Spiel gesetzt hat, um nach Spanien zu gelangen, hat nichts weniger im Sinn.