Ick versteh nicht, warum die dit bloß mag, dit Tuch in ihrem Haar", so rappt die junge Frau, in Jeans, Rock und Kapuzenshirt. Die Kamera zoomt auf ihr Gesicht: dunkle Augen, große runde Ohrringe. So weit ein ganz normales Musikvideo, trüge die Rapperin nicht Kopftuch und sänge Zeilen wie diese: "Hey Girli, du bist genau wie man dich haben will! Bloß mein Mann sieht mich wie ich will, ich muss nicht posen in der U-Bahn - enge Hosen an, nach'm Motto ,Seht mich ruhig an'".
Sahira Awad ist Berlinerin aus einer palästinensischen Familie, gläubige Muslima, Rapperin und alleinerziehende Mutter. Was für andere ein Gegensatz ist, vereinbart die 27-Jährige scheinbar ohne Probleme. Ihr Ziel: Sie will die deutsche R'n'B-Szene erobern. Unter dem Label "Imanimusic", zu deutsch: Glaubensmusik, vertreibt sie ihre erste eigene CD "Frei Schnauze". Die hat sie selbst geschrieben und produziert. "Eigentlich geht es in meinen Songs um Frauen und Männer, um Liebe", sagt Sahira mit einem breiten Lächeln. Doch sie untertreibt: Auf ihrer Platte finden sich durchaus sozialkritische Töne zu Drogen, Jugendlichen ohne Perspektiven - und eben der Song "Dit Tuch", der Sahira viel Aufmerksamkeit beschert hat. Prangert die junge Muslima darin westlichen Körperkult und Machotum an. Auch die Feministin Alice Schwarzer, die das Kopftuch als Symbol der weiblichen Unterdrückung kritisiert, bekommt hier ihr Fett ab. Nicht Frauen mit Kopftuch, das Sahira lieber "Haartuch" nennt, sind die tatsächlich Unterdrückten, sondern die Mädchen, die in engen Jeans oder Minirock um die Aufmerksamkeit der Männer buhlen. Das Kopftuch sei Zeichen der weiblichen Selbstbestimmung, findet Sahira: "Ich entscheide, wer mich und meinen Körper zu sehen bekommt."
Im gutbürgerlichen Berlin-Wilmersdorf wuchs Sahira auf. "Mit Vorgarten, guten Schulen, allem pipapo", sagt Sahira. Ihr Vater kam vor fast 40 Jahren nach Deutschland, um zu studieren. Doch zu Hause in Palästina war Krieg und Sahiras Vater blieb. Er holte schließlich seine Frau nach, die ihr Jurastudium abbrach, um ihren Mann nach München zu folgen. Als er sein Ingenieursstudium abgeschlossen hatte, zogen die Awads nach Berlin. Mit Absicht nicht nach Kreuzberg, sondern nach Wilmersdorf, in einen "guten Bezirk".
Offen und liberal werden sie und ihre Geschwister erzogen und: "Bildung war für meine Eltern sehr wichtig", erzählt Sahira. Die acht Kinder sollten unbedingt Abitur machen - auch Sahira, die aber eigentlich nur eins wirklich wollte: Singen, Musik machen. Schon als Zwölfjährige steht Sahira das erste Mal in einem Studio. Es war Sahira, die sich vor drei Jahren für das Kopftuch entschied: "Als Jugendliche habe ich manchmal schon darüber nachgedacht, aber meine Mutter war immer dagegen. Sie wollte, dass ich mir sicher bin, wenn ich es trage."
Doch die Situation ist nun eine andere: Sahira hat selbst einen Sohn. Die Beziehung zu dessen Vater ist beendet, dafür hat sich die zum Islam intensiviert: "Geliebt habe ich Gott schon immer, ich habe mich auch als Muslima gefühlt", sagt Sahira. Doch erst 2001 begann sie, den Koran zu lesen. Der Auslöser: Die Angriffe auf das World Trade Center und der Beginn des amerikanischen Kampfes gegen den islamistischen Terror. "Das gesellschaftliche Klima wurde auch in Deutschland schlagartig ungemütlich", erinnert sich Sahira. Jeder arabisch aussehende Muslim sei schräg angesehen worden. "Ist der etwa auch ein Terrorist?"
Mit dem Lesen des Korans wollte sie sich vergewissern, dass dort keine Terror verherrlichenden Hinweise versteckt sind, andererseits wollte sie sich ernsthafter mit ihrem Glauben beschäftigen. "Ich bin Muslima, aber ich wollte das nicht einfach so dahin sagen, sondern wissen, wovon ich rede." Das Kopftuch war der letzte Schritt, Glauben und Leben in Einklang zu bringen. "Die Moral hatte ich schon vorher, nur hat man mir es nicht angesehen", sagt Sahira. Heute fühlt sie sich wohler mit Tuch als ohne. Auch wenn es nicht immer einfach ist, eines zu tragen: Einen Aushilfsjob in einem Kaufhaus bekam sie nicht, als sie sich weigerte das Kopftuch abzunehmen, und auch manche Musiker und Produzenten beäugten skeptisch ihr bedecktes Haar. "Ich glaube, das Tuch macht vielen Leuten Angst", sagt Sahira. Doch sei das kein Grund, es wieder abzunehmen. Ihren Durchbruch als Sängerin wird sie auch mit Kopftuch schaffen, daran glaubt Sahira ganz fest. Vielleicht wird er ihr auch gerade deswegen gelingen. Sie ist jung, hübsch, sagt, was sie denkt. Für viele muslimische Mädchen in Berlin ist Sahira schon jetzt ein Vorbild. Eines, das ihnen bislang fehlte, eines mit Kopftuch.