Auf der Getränkekarte befinden sich mehr Cocktails als Teesorten, gleichwohl beginnt der Tag im "Tea Room" bereits um 15 Uhr. Susan Hannaford bestückt die Kuchenvitrine mit selbstgebackenen Muffins und Keksen. Nur wenige Gäste finden zur klassischen Teatime gegen fünf Uhr nachmittags den Weg in die Marienburger Straße in Berlin. Die gemütliche angelsächsische Tradition, die gegenwärtig in London und New York als Gegenkonzept zur hektischen Kaffeekultur eine Renaissance erlebt, ist noch nicht ganz bis in den Prenzlauer Berg vorgedrungen. "Das Abendgeschäft mit chinesischem Dim-Sum-Gebäck läuft wesentlich besser", versichert Hannaford.
Die gebürtige New Yorkerin kam 1999 zum ersten Mal nach Berlin. Im Big Apple hatte sie zuletzt in der Musikrechteklärung beim Discovery Channel gearbeitet und die Songs für die Teenager-Dokusoap "Outward Bonds" ausgewählt. Als ihr Vertrag auslief, folgte sie einer Einladung eines amerikanischen Freundes nach Berlin. Und blieb. "Ich hatte eigentlich vor, nur für sechs Wochen zu kommen", sagt Hannaford. "Doch Berlin, vor allem der Ostteil, hat mich an das New York der frühen 80er-Jahre erinnert, an die Dynamik, Fantasie und Spontaneität."
Damals hatte sie dort berühmte Veranstaltungsorte mitbegründet, die zu Treffpunkten der Alternativkultur avancierten. In dem noch heute existierenden "Irving Plaza" traten zu jener Zeit alle namhaften Musiker auf, von Blondie über Patti Smith bis zur Punkband Dead Kennedys. Den im Künstlerviertel East Village gelegenen "Club 57", wo Hannaford Themenpartys veranstaltete, nutzten zeitgenössische Künstler wie Klaus Nomi, Keith Haring und Joey Arias zu schrill-schrägen Performances. Heutige Berliner Clubs wie die "Kulturbrauerei" oder der "Pfefferberg" ähneln diesen Orten.
Nach Berlin gekommen war Susan Hannaford mit der Idee für ein Start-up: "Ich suchte nach Partnern für einen Club, wo Musik und Videos per Streaming aus anderen Locations laufen sollten. Ich wollte ein Netzwerk von Clubs gründen, die über das Internet verbunden sind." Solche Technologie-Ideen lagen bei Risikokapitalgebern Ende der 90er- Jahre hoch im Kurs. Und tatsächlich konnte Hannaford genügend Partner und Geldgeber von der Idee überzeugen. Die Anschläge auf das World Trade Center im September 2001 und der Börsencrash der New Economy vereitelten jedoch die Pläne. Die amerikanischen Investoren sprangen wieder ab.
Unverdrossen entschied sich Susan Hannaford, zusammen mit einigen Freunden einen "Tea Room" zu betreiben. Im August vergangenen Jahres war Eröffnung. Eine mehrjährige Vorbereitungszeit ging dem voraus - die liebe deutsche Bürokratie. Firmengründung, Schankkonzession, Mietvertrag und Privatkredit: Alles erforderte Unmengen von Anträgen und Formularen. Erst mit der unbegrenzten Aufenthaltsgenehmigung, die man nach fünf Jahren bekommt, wurde Hannaford kreditwürdig. "Die Papierstapel, die man durcharbeiten und ausfüllen musste", sagt Hannaford, "türmten sich bis zur Decke."
Mit dem Teesalon hat sie noch einiges vor. Das Sortiment an feinen Teesorten soll noch erweitert und im Sommer um Bubble Tea ergänzt werden. Diese asiatische Spezialität basiert auf Geleekugeln aus Tapioka-Stärke, die zusammen mit grünem oder schwarzem Tee und Fruchtsäften ein erfrischendes Getränk ergeben. In New York ist das bereits ein großer Hit. Außerdem will die Gastronomin auch kulturelle Leckereien in ihrem "Tea Room" auftischen, etwa einen Poetry-Wettbewerb, bei dem junge Autoren selbstverfasste Prosa und Poesie zum Tee reichen. Dass dafür ein von einem Kristallkronleuchter beschienener Nichtraucherraum zur Verfügung steht, versteht sich für eine New Yorkerin von selbst.
Susan Hannaford führt in Berlin das Leben einer typischen amerikanischen Migrantin. Sie verkehrt in einer größtenteils aus Amerikanern bestehenden Community. Mit ihrem Freund, der sie 1999 nach Berlin einlud, ist sie seitdem liiert. In die Verlegenheit, deutsch zu sprechen, kommt sie - außer bei Einkäufen und Behördengängen - nicht so schnell. Denn jeder Einheimische ist glücklich, seine Englischkenntnisse bei ihr anzubringen. Ohnehin ist in der Künstlerbohème am Prenzlauer Berg Englisch längst eine Lingua franca geworden. Wie selbstverständlich begrüßen die Gäste sie mit einem "Hi". Ob sie in Deutschland etwas vermisst? Die Antwort fällt nicht schwer: "Ein richtig gutes Pastrami-Sandwich."