Eine meiner Schülerinnen wurde seit ihrem neunten
Lebensjahr von ihrer Mutter gezwungen zu arbeiten. Die konnte sich
gar nicht auf das Lernen konzentrieren." Roswitha Spanknebel-Betz,
stellvertretende Leiterin von "Nachschlag", einem Projekt zur
Qualifizierung und Lebensberatung von Schulabbrechern in
Berlin-Charlottenburg, kennt viele Gründe, warum junge Leute
keinen Abschluss machen. Lernschwächen, kaputte Familien und
eine geringe Frustrationstoleranz gehören dazu. Eine besondere
Problemgruppe bilden dabei die Immigrantenkinder der zweiten und
dritten Generation. "Die erste Generation kam aus dem gefes-tigten
Wertekanon ihrer Kulturen. Die jüngeren sind da rausgefallen,
müssen sich hier aber integrieren", so Spanknebel-Betz.
Die Initiative der Bundesministerin für Bildung und
Forschung, Annette Schavan (CDU), bis 2012 die Zahl der
Schulabbrecher zu reduzieren, begrüßt sie prinzipiell.
Allerdings hält sie sie für "wenig realistisch".
Ländersache Ähnlich skeptisch zeigten sich viele
Mitglieder des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung in ihrer Sitzung am 31. Januar, als
ein Regierungsvertreter fünf Bereiche vorstellte, in denen das
Ministerium mit Hilfe der Bundesländer aktiv werden will. Zwar
lobte die CDU-Fraktion das Projekt und betonte, 80.000
Schulabbrecher pro Jahr könnten nicht länger hingenommen
werden. Wirtschaft und Politik müssten zudem jährlich
rund 3,4 Milliarden Euro aufwenden, um sie
nachzuqualifizieren.
SPD, FDP, Grüne und Linke waren kritischer. Das Ziel,
schon 2012 halb so viel Schulabbrecher wie heute zu haben, sei sehr
ambitioniert, denn es bedeute, sich auf heute Elfjährige -
also Kinder, die schon lange eingeschult seien - zu konzentrieren.
In der Bildungsforschung, die die Regierung fördern will,
müsse man daher unbedingt auf pädagogische
Handlungsforschung setzen, sonst erreiche man die Zielgruppe nicht.
Die FDP bezweifelte, dass der Bund viel ausrichten könne, da
die Länder im Wesentlichen für die Schulbildung
zuständig seien. "Die eigentlichen Instrumente haben sie sich
mit der Föderalismusreform aus der Hand geschlagen", meinte
auch die Bündnisgrünen.
Ein Bereich, auf den sich die Regierung konzentrieren will,
ist der Kindergarten. Die Grünen forderten, Kinder
müssten schon früher gebildet werden. "Wir haben die
EU-Ratspräsidentschaft und die EU hat die Empfehlung
ausgesprochen, die Zahl der Schulabbrecher zu halbieren. Jetzt sagt
es eben auch eine deutsche Ministerin", zweifelte Die Linke die
Ernsthaftigkeit der Initiative an. Grundlegende Änderungen und
ein Konzept könne man aus den bisherigen Ideen nicht
erkennen.
Berufspraxis Die Bundesregierung hatte neben der
frühkindlichen Förderung auch mehr Berufspraxis in den
letzten Schuljahren angekündigt, eventuell durch Kooperationen
von Schulen mit überbetrieblichen Bildungsstätten.
Berufsvorbereitende Maßnahmen sollten zudem als "Bausteine"
in der Karriere und nicht als "Warteschleifen" angesehen werden. Um
an die Problemgruppe der Ausländerkinder heranzukommen,
sollten ihre Eltern stärker in der Schule miteinbezogen
werden.
Für Roswitha Spanknebel-Betz, die seit über 20
Jahren mit Schulabbrechern arbeitet, liegt die Lösung beim
Fachpersonal - Sozialpädagogen und Psychologen müssten
ihrer Meinung nach mehr an Schulen und in Familien gehen. Denn:
Viele Familien böten nicht mehr genügend Halt. Dazu
kämen oft Alkohol, andere Drogen oder sexueller Missbrauch.
"Lehrer müssen Menschenbildner sein, aber das können sie
bei der heutigen Situation nicht leisten."