Nach einer eher trockenen Ausschusssitzung löste sich die
Stimmung im Sitzungsraum 4.400 des Paul-Löbe-Hauses am 31.
Januar um 16 Uhr schlagartig: Dieter Kosslick betrat den Saal. Der
Berlinale-Direktor herzte Claudia Roth, winkte Lothar Bisky und
schüttelte jedem im Raum die Hand. Unbeteiligte Zuschauer
hätten meinen können, die Berlinale habe bereits
begonnen. Obwohl noch kein roter Teppich ausgerollt war, huldigten
die Abgeordneten von SPD, Grünen und Linksfraktion Kosslick
schon einmal, als wäre er ein großer Filmstar.
Kosslick präsentierte den Parlamentariern in
schwäbelndem Denglisch gute Gründe zum Fröhlichsein:
Er komme nicht, um Geld zu erbitten, sondern um Erfolgsmeldungen zu
verkünden. Die Berlinale werde dieses Jahr wohl zum
wiederholten Mal keinen Verlust machen. Und die Stars kämen
trotz eines kleinen Budgets zahlreich - wohl nicht zuletzt wegen
Kosslick, der ihnen mit seiner "Küsschen hier, Küsschen
da"-Strategie das nötige Rampenlicht zur Vermarktung ihrer
Projekte anbietet. Neue Projekte wie der europäische Filmmarkt
blühten auf.
Doch nicht nur darüber konnte Kosslick berichten. Er
sichtet nicht nur Filme und umwirbt Sponsoren ebenso wie Sternchen,
sondern macht er auch Kulturpolitik. Zum Auswählen der Filme
für den Kinder- und Jugendteil der Berlinale kooperiert die
Berlinale mit 40 Schulen. Beim Besuch der Schulen bemerkte
Kosslick, dass die Schüler sich mehr und mehr von Fast Food
ernähren. Nun entwickeln 3-Sterne-Köche, die bereits
für den Programmteil "Kulinarisches Kino" angeheuert waren,
gleich noch neue Kost für die Schüler.
Keine Angst Außerdem will die Berlinale aufklären.
Staatliche Überwachung der Bürger ist ein Schwerpunkt der
"Panorama"-Sektion, in der Filme gezeigt werden, die nicht am
Wettbewerb um den goldenen Bären teilnehmen. Der englische
Film "Surveillance" behandelt bespielsweise die zunehmende
Verwendung von Überwachungskameras in Großbritannien.
Andere Filme lenken die Aufmerksamkeit auf vergessene oder
verschwiegene Regionen der Erde: "Bordertown" erzählt von
einer unfassbare Mordserie mit hunderten Opfern an der
US-mexikanischen Grenze.
"Das Haus der Lerchen" thematisiert den Genozid an den
Armeniern im Jahr 1915 in der Türkei - ein brisantes Thema,
nicht nur angesichts der Ermordung des armenisch-türkischen
Journalisten Hrant Drink und der Absage des türkischen
Literaturnobelpreisträgers Orhan Parmuk. Angst vor Extremisten
hat Kosslick gleichwohl nicht. Den Vorschlag der CDU, für die
Aufführung von "Das Haus der Lerchen" Polizeischutz
anzufordern, kommentierte er trocken: "Wir sind hier beim Film,
nicht bei der Oper."
Im Wettbewerb um den Goldenen Bären werden dieses Jahr 26
Filme gezeigt, darunter 19 Weltpremieren. Eröffnen wird die
Berlinale der französische Film "La vie en Rose" - eine
Dokumentation über die Chansonsängerin Edith Piaf.
Ebenfalls aus Frankreich kommt der letzte Film des Wettbewerbs:
"Angel" von François Ozon handelt vom Aufstieg und Fall
einer Schriftstellerin, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus
niedrigsten Verhältnissen in die Oberklasse der englischen
Gesellschaft vorstößt. Außer Konkurrenz wird
"Letters from Iwo Jima" von Clint Eastwood aufgeführt. Der
Film zeigt eine amerikanisch-japanische Schlacht zum Ende des 2.
Weltkriegs auf der Insel Iwo Jima aus der Perspektive der Japaner.
In "Flags of our Fathers" hatte Eastwood dieselbe Schlacht bereits
aus Sicht der Amerikaner dargestellt.
Keine Sorgen um deutschen Film Aus Deutschland sind dieses
Jahr drei Filme im Rennen. "Yella" von Christian Petzold
erzählt die Geschichte einer Frau aus Brandenburg, die nach
Hannover geht und sich dort nicht aus dem
Ost-West-Spannungsverhältnis zwischen ihrer alten Heimat und
dem neu gefundenen Glück lösen kann. Stefan Ruzowitzky
hat mit "Die Fälscher" einen Film über die Insassen des
KZ Sachsenhausen gedreht, "bei dem einem das Lachen im Halse
stecken bleibt", sagte Dieter Kosslick. Auch der in den USA
gedrehte "When a man falls in the forest" mit Sharon Stone ist eine
Produktion deutschen Ursprungs. Und obwohl dieses Jahr ein
deutscher Film weniger als im vergangenen Jahr im Wettbewerb
vertreten ist, macht sich Dieter Kosslick um die heimische
Filmlandschaft keine Sorgen. "Der deutsche Film ist so präsent
wie nie", verkündete er voller Stolz und verwies auf deutsche
Schauspieler wie Moritz Bleibtreu und Julia Jentsch, die mit
internationalen Produktionen im Wettbewerb dabei sind.
Zum 25. Todestag von Rainer Werner Fassbinder wird am
Alexanderplatz im neuen Kino Cubix "Berlin Alexanderplatz -
Remastered" als Weltpremiere gezeigt. Die von Fassbinder fürs
Fernsehen gedrehte Serie wurde digital überarbeitet und soll
im "Berlinale Special" mehr als 15 Stunden am Stück
laufen.
Der Film von morgen Ein Hauptaugenmerk liegt auch dieses Jahr
wieder auf der Zukunft des Films. Zu dem 2007 bereits zum
fünften Mal stattfindenden, einst von Kosslick
eingeführten "Talent Campus" kommen dieses Jahr auch die
Auszeichnung des besten Erstlingswerkes mit 50.000 Euro und die
"Berlinale Keynotes" hinzu. Hier diskutieren Vertreter von
bekannten Filmproduktionsfirmen wie Sony Pictures oder den Lionhead
Studios mit Internetunternehmern von Google Videos und MySpace
über künftige technologische Entwicklungen im
Filmgeschäft.
Junge Filmemacher aus aller Welt treffen sich auch dieses Jahr
auf dem "Talent Campus". Sie lernen mit Experten - in den
vergangenen Jahren kamen so illustre Gäste wie Michael
Ballhaus, Roland Emmerich oder Wim Wenders -, tauschen gegenseitig
Ideen aus und versuchen sich an eigenen Projekten. Fast 3.700
Bewerber aus 129 Ländern - darunter zum ersten Mal Barbados,
Marokko und Ruanda - bewarben sich dieses Jahr für die 350
Plätze. Inzwischen ist die Idee des "Talent Campus" auch auf
andere Festivals nach Capetown, Delhi oder Buenos Aires exportiert
worden.
Für die Moderation der Eröffnungsgala und die
Preisverleihungen der Bären hat Kosslick mit der
Grimme-Preisträgerin Charlotte Roche prominente
Unterstützung gewonnen. Roche, die bei dem Musiksender VIVA
ihre Fernsehkarriere begann, drehte gerade ihren ersten Film und
soll dieses Jahr möglichst viele hochkarätige Gäste
wie Cate Blanchett, Jennifer Lopez und Clint Eastwood sowie knapp
4.000 Pressevertreter bei Laune halten. Denn, das betont Kosslick:
"Gute Stimmung ist das Wichtigste."
Mehr zur Berlinale im Internet unter:
www.berlinale.de