Zankapfel Shoppingmalls
Denkmalpfleger beklagen bereits einen "Fassadismus". Die Städte sind hin- und hergerissen.
Mit Pauken und Trompeten hat Braunschweig den Wiederaufbau seines Schlosses in der Innenstadt gefeiert. Der Oberbürgermeister der niedersächsischen Stadt, Gert Hoffmann (CDU), sprach von einem geschichtlichen Tag. Das Ereignis hat tatsächlich historische Bedeutung, denn es ist die ECE, die Betreibergesellschaft der neuen Shoppingmall, die das Schloss rekonstruiert hat. Sie musste sich dazu verpflichten, um den Zuschlag für den Bau von 30.000 Quadratmetern Ladenfläche im ehemaligen Schlosspark zu bekommen.
Der gesamte Baukomplex kostet den Investor damit 200 Millionen Euro, die Stadt beteiligt sich lediglich mit 13,5 Millionen Euro an den historischen Fassaden. Braunschweigs Stadtbaurat Wolfgang Zwafelink kann die Freude über den Coup kaum verbergen. Er betont zugleich, dass das Schloss und das Einkaufscenter zwei getrennte Komplexe seien, von denen das Schloss ausschließlich für kulturelle Zwe-cke genutzt werde. Die bauliche Verzahnung mit dem ECE bezeichnet er als gelungenen Dialog zwischen Mall-Architektur und Historismus. "Es geht uns nicht darum, einen Beitrag zum Denkmalschutz zu leis-ten, wir wollen die Stadtidentität stärken", betont Zwafelink.
Die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger betrachtet solche Entwicklungen mit Sorge. Ihr Sprecher Siegfried Enders beklagt einen zunehmenden "Fassadismus". Man dürfe nicht his-torisierende Formen benutzen, um Käufer anzulocken, sagt er. "Das denkmalpflegerische Ziel ist die Erhaltung von historischer Originalsubstanz", sagt er. Diese Substanz sieht er gefährdet, weil Shoppingmalls unaufhaltsam in historische Stadtzentren drängen, die mit Leerstand und schwächelndem Einzelhandel zu kämpfen haben. Die riesigen Bauten veränderten Infrastruktur, Grundrisse, Dachlandschaften und Stadtbilder.
Bundesweit hat die ECE 73 Center errichtet, elf weitere sind im Bau, "soviel wie noch nie", schwärmt ihr Sprecher Christian Saadhoff. Die Investoren analysieren die Lage, kaufen Grundstücke und legen fertige Projekte zur Genehmigung vor. Die Gemeinden trifft solch ein Vorhaben oft unvorbereitet. Viele sind hin- und hergerissen zwischen wirtschaftlichen und denkmalpflegerischen Interessen.
Im "Arbeitskreis historische Stadt- und Ortskerne Nordrhein-Westfalen" ist man sich nicht einig. "Wir können uns nicht grundsätzlich gegen eine Shoppingmall sperren", erklärt Friedhelm Mellies von der Stadtentwicklung in Detmold, "weil wir im wirtschaftlichen Wettbewerb mit anderen Städten stehen". Almut Schmersahl, Planungsamtsleiterin aus Lemgo, entgegnet: "Die Altstädte sind das Pfund, mit dem wir wuchern." Sie ist überzeugt davon, dass es notwendig ist, andere Wege zu finden, "um sie zu beleben".
Landauf landab sind die Shoppingmalls zum politischen Zankapfel geworden. In Celle musste die Verwaltung zähneknirschend das Großprojekt absagen, weil die neue Ratsmehrheit dagegen gestimmt hatte. In Oldenburg ist gerade die neugewählte schwarz-grüne Koalition an dem Thema zerbrochen. Die CDU hatte vor der Wahl gegen den Bau des ECE gestimmt und nach der Wahl den Investoren grünes Licht gegeben.
In Hameln sind die Bagger schon unterwegs. Hier baut die ECE die Stadtgalerie mit 20.000 Quadratmetern, als Dankeschön saniert sie das denkmalgeschützte Kreishaus. "Kein Denkmal wird abgerissen", beteuert Pressesprecher Thomas Wahmes. "Trotzdem hat Hameln einen massiven Geschichtsverlust erlitten", kontert Martin Thumm, Professor für Baudenkmalpflege in Hildesheim. Er argumentiert: "Die Stadt ist das Zentrum der Weserrenaissance und hat einen mittelalterlichen Stadtgrundriss. Der wird von ECE überbaut und ausradiert."
Denkmalpfleger Enders wird lakonisch. "Jede Stadt hat das Aussehen, das sie verdient", sagt er. Die Denkmalpflege habe dem kommerziellen Druck in diesen Tagen wenig entgegenzusetzen, ist sich Professor Thumm sicher. "Sie hat keine Lobby mehr und muss sich neu definieren, wenn sie nicht von der Entwicklung überrollt werden will", betont er.
Unterdessen planen die 400 Architekten und Ingenieure der ECE weiter und betreiben ihre Form der Denkmalpflege. "Die Kunden wollen heute ein sinnliches Einkaufsvergnügen in schönem Ambiente", erklärt Unternehmenssprecher Saadhoff und fügt hinzu: "Also müssen wir künftig Unikate entwickeln, die zum Stadtbild passen." Welche Auswirkungen die neuen Handelsriesen auf die Stadtentwicklung haben, ob sie zum Fluch oder Segen der Innenstädte werden, das soll eine Studie zeigen, die das Institut für Urbanistik in Berlin jetzt erar-beitet.