Quedlinburg
Das kulturhistorische Erbe bringt zwar Aufmerksamkeit - ist aber oft auch eine Last.
Mit dem Charme einer Märchenprinzessin schien Quedlinburg den langen Schlaf überdauert zu haben, als nach der Wende eine nicht kleine Anzahl von Prinzen kam, um die Stadt wach zu küssen. Schnell standen die Fachwerk-Altstadt rund um den Schlossberg und die Industrie- und Villenbauten des späten 19./frühen 20. Jahrhunderts im Fokus deutscher Denkmalpflege. Allen voran bemühte sich Professor Gottfried Kiesow, Präsident der Stiftung Denkmalschutz, um die Wiedererweckung des Ortes, an dem der Sachse Heinrich I. die deutsche Königskrone annahm, und in der seine Nachfahren, die kaiserlichen Ottonen, mehr als fünf Dutzend Reichstage abhielten.
Heute liegt Quedlinburg immer noch auf der Intensivstation, obwohl viel Geld und Initiative mobilisiert wurde. Das hat vor allem zwei Gründe: Es ist die schiere Überfülle von 1.300 denkmalgeschützten Gebäuden, die das kulturhistorische Erbe der Stadt ausmachen, davon 800 Einzel- und 500 Ensemble-Denkmäler. Und es geht dem modernen Quedlinburg nicht gut. Von über 30.000 auf um die 22.000 Einwohner geschrumpft, jeder Vierte arbeitslos, blieb der Ort an der Bode schwer erreichbar und startete mit Gewerbeflächen in die Marktwirtschaft, die in SED-Zeiten windgünstig richtig im Osten der Stadt geplant wurden - aber über uraltes Siedlungsgebiet.
Da verwundert es nicht, dass zeitweise Verzagtheit aufkam und Nerven blank lagen - zumal, als sich der errungene Status als Weltkulturerbe nicht nur als Spot erwies, der die Aufmerksamkeit der Nation und des Auslands auf den Ort lenkt, sondern Neubauvorhaben erschwert. Mittlerweile haben sich alle Beteiligten - Stadt, Land und private Unterstützer - in einem Beirat zusammengefunden, der die Vorhaben moderieren wird. Und Quedlinburgs Chancen, in einem zweiten Anlauf an einem wirtschaftlichen Aufschwung teilzuhaben, steigen. Die Ost-West-Magistrale der B6 wird in diesem Jahr fertig, was zu verstärkten Nachfragen nach Gewerbeflächen führt, wobei Investoren von der Kostenübernahme für vorherige archäologische Grabungen seitens der Stadt befreit sind. Und der Kampf um den Sitz des Finanzamts wurde gewonnen, was 200 neue Arbeitsplätze bedeutet - ein wichtiger Impuls für den Baudezernenten Rolf Langhammer, der betont: "Wir wollen kein Museum werden, sondern eine lebendige Stadt bleiben."
Dennoch wird es noch lange dauern, bis Quedlinburg kein Sorgenkind mehr ist. Für die Landesdenkmalpflegerin Dr. Ulrike Wendland ist klar, dass man die erhaltensfähigen Gebäude in größtmöglichem Umfang sichern und ihre endgültige Restaurierung dann späteren Generationen anvertrauen muss. Dazu gehören auch Überlegungen, die Standards für private Sanierer sinnvoll herunterzuschrauben. Auch die Stadt hilft, wo sie kann, beispielsweise bei der Eindeckung der hochgiebeligen, mehrgeschossigen Dächer mit den traditionellen Linkskremper-Ziegeln. Das interessierte auch die zwei Busladungen älterer Kölner, die sich nach einer Zeitungsinitiative in der Stadt umgeschaut haben. Sie würden gern in einem derartigen Ambiente rund um die Akropolis mit Schloss und Stiftskirche heimisch werden.
Der Autor ist freier Journalist in Wachtberg.