Stadtentwicklung
Kann die Abwanderung aus den Innenstädten mit Geld oder Umbauten gestoppt werden?
Die demografische Entwicklung und das daraus resultierende Schrumpfen unserer Altstädte und Dörfer stellt für die Denkmalpflege in Deutschland die größte Herausforderung seit langem dar. Schon jetzt können wir feststellen, dass die sinkende Bevölkerung in manchen Gebieten zu erheblichen Leerständen und in der Folge zu erhöhten Abrissen der denkmalgeschützten Bausubstanz führt.
Dennoch besteht Einigkeit darüber, dass eine Stadtentwicklungspolitik der Zukunft unvorstellbar ist ohne die Bewahrung der Altbausubstanz in unseren Altstädten und Dörfern. Diese Quartiere sind für die Identitätsbildung und die Bildung eines Geborgenheitsgefühls im Sinne von Heimatgefühl von großer Bedeutung. Ohne sie verlieren unsere Orte ihre Individualität, die sie unverwechselbar machen.
Dabei können Lösungsansätze nur in integrierten Handlungskonzepten entwickelt werden, zu denen die Denkmalpflege ihren Teil beitragen kann. Insbesondere sind interkommunale Abstimmungsprozesse erforderlich. Nur so kann eine abgestimmte Anlage von Neubau- und Gewerbegebieten und eine geordnete Anpassung vorhandener Infrastruktur-Kapazitäten an die geringere Nachfrage und geänderte Bedarfsstrukturen erzielt werden.
Dies bedeutet in der Konsequenz einen Paradigmenwechsel vom "gesteuerten Wachstum" zum "geordneten Rückzug".
Dabei ist es erforderlich, die Lebensqualität in unseren Städten und ländlichen Gemeinden attraktiv zu halten. Als Stadtentwicklungskonzept der Zukunft gilt einvernehmlich eine Stärkung der Ortskerne mit ihrer vorhandenen Bausubstanz. Gleichzeitig ist damit ein ressourcenbewusster Umgang mit Freiflächen und umgebender Landschaft verbunden.
In weiten Bereichen ist nicht mit einem Anwachsen der Bevölkerung sondern vielmehr mit einem Einwohnerschwund zur rechnen. Die vorhandene Bausubstanz muss demzufolge nicht unbedingt durch Neubauten ergänzt werden, vielmehr sollte die Ausweisung von Neubaugebieten begrenzt werden. Es gilt, dem Eigenheimneubau auf der "Grünen Wiese" attraktive Alternativen gegenüberzustellen. Dazu gehören auch finanzielle Anreize, die eine "Abwanderungsprämie" - sprich die Eigenheimzulage - in eine "Bleibeprämie" umwandeln, damit die Innenstädte nicht veröden. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, den Altbaubestand den veränderten Bedürfnissen anzupassen.
Bauliche Eingriffe wie die Zusammenlegung von Wohnungen zum Beispiel, um größere Wohneinheiten für Familien zu schaffen. Oder die Förderung von Wohnmodellen für Senioren. Sie wollen oft auf ihr gewohntes Wohnumfeld nicht verzichten, benötigen zum Teil kleinere Wohnungen, auf jeden Fall aber kurze Wege zu den notwendigen Infrastruktureinrichtungen.
Zusätzliche Anreize entstehen durch eine Aufwertung des Wohnumfeldes. Hierzu gehören die Renaturierung von Gewerbeflächen, attraktive begrünte Innenhöfe und die Anlage von Bauerngärten in Dorfkernen, auch mit dem Verzicht auf nachrangige Nebengebäude.
Die klassische Aufgabe der Denkmalpflege ist die Umnutzung von Gebäuden. Kreative Ideen sind gefragt, um etwa Wirtschaftsgebäude, die aufgrund des Strukturwandels der Landwirtschaft nicht mehr benötigt werden, für eine zeitgemäße Nutzung aufzuschließen. Gleiches gilt für die Umwandlung von Industriegebäuden und den dazugehörenden Brachflächen oder die Konversion von Kasernenanlagen.
Der Abriss sollte die letzte Möglichkeit sein, sorgfältig erwogen in einem ausführlichen Klärungsprozess. Der Altbaubestand ist keine nachwachsende Ressource. Wir müssen lernen, auf den Gebäudeleerstand gelassener zu reagieren. Eine einfache Sicherung der Substanz bei gleichzeitig gepflegtem Umfeld schafft "Reserveraum" für noch nicht erkannte Nutzungsmöglichkeiten. Wie oft haben wir es erlebt, dass vermeintlich aufgegebene Gebäude doch noch Interessenten gefunden haben.
Der Umgang mit dem Leerstand und der Vermarktung wird sich am besten durch ein gezieltes Boden- und Immobilienmanagement steuern lassen. Die Denkmalpflege kann bei der Stadtentwicklungsplanung eine wichtige Aufgabe übernehmen. Die sichtende und wertende Bestandserhebung ist ein wesentliches Moment zur Steuerung der Entwicklungsplanung. Daraus können beispielsweise "Gestaltungsfibeln" für einen sachgerechten Umgang mit vorhandener Bausubstanz erwachsen, die im Zusammenhang mit entsprechenden Förderprogrammen nützlich sind. Anregungen wie die Darstellung von Umnutzungsbeispielen wären für Bauherren hilfreich. Die Expertengruppe "Städtebaulicher Denkmalschutz" des Bundesbauministeriums hat hierzu grundsätzliche Leitlinien formuliert.
Darin heißt es unter anderem: "Im Ergebnis des Dialoges aller Partner beim Entscheidungsprozess muss es möglich sein, das Unverzichtbare zu schützen und andererseits belanglose Bausubstanz durch qualitätsvolle Neubauten zu ersetzen." Damit soll die Rettung der historischen Altstadt erleichtert werden.
Weiter heißt es: "Priorität müssen bei der Erhaltung immer Baudenkmäler und alle Bauten haben, die für die Geschlossenheit der Straßen- und Platzwände bedeutsam sind. Es muss verhindert werden, dass es durch Abbrüche zur Perforierung des Ortsbildes insbesondere in den historischen Innenbereichen kommt."
Für die Abgrenzung der unverzichtbaren von der belanglosen Bausubstanz hat die deutsche Denkmalpflege Kriterien entwi-ckelt. Demnach sollte ein Gebäude zur Geschichtlichkeit des Ortes beitragen und auch unter neuer Nutzung Identität mit seinem Umfeld stiften.
Grundsätzlich wächst die Erkenntnis, dass die Sicherung des Bestandes der beste Beitrag zu einer nachhaltigen ökologisch orientierten Entwicklung ist. Dazu gehört auch eine maßvolle energetische Instandsetzung der Denkmäler als Beitrag zur Minderung der klimaschädlichen Co2-Emissionen. Der gegenüber dem Neubau sehr viel komplexere Altbaubestand erfordert aber eine auf den Einzelfall bezogene Energieberatung.
Mit Normen, die für den Neubau entwickelt wurden, und dementsprechend pauschalierten Datenerhebungen lässt sich der Denkmalbestand nicht sinnvoll energetisch ertüchtigen. Städtebau, Nachhaltigkeit und Denkmalschutz gehören zusammen.
Sie können ein von dem Münchner Architekten und Stadtforscher Peter Zlonicky so genanntes "magisches Dreieck" bilden: "Städtebau kann sich in der Verantwortung für den Ort, für physische Bestände, soziale Strukturen und nachhaltige Entwicklungen entfalten." Nachhaltigkeit - das bedeutet für Peter Zlonicky "die Sicherung von Ressourcen und von sozial, kulturell und ökonomisch verträglichen Lebensverhältnissen für alle möglichen Generationen, sie ist auf bauliche Bestände angewiesen.
Denkmalschutz und Denkmalpflege können mit dem Erhalt der Bestände kulturelle und soziale Identität stützen, nachhaltige Entwicklungen fördern und einen städtebaulich innovativen Gebrauch ermöglichen
Der Autor ist Professor für Kunstgeschichte an der Universität Frankfurt/Main, Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen und Vorsitzender der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in Deuschland.