Ulrich Böhme
Der Mann hat eine Passion: Er will gefährdete Gotteshäuser vor dem Einsturz retten und sie für die Nachwelt bewahren. Seine Hartnäckigkeit und sein Organisationstalent stammen noch aus DDR-Zeiten.
Wer Ulrich Böhme in seinem Heimatdorf Kleinröhrsdorf in der Nähe von Dresden besucht, wird mit offenen Armen, einem freundlichen Lachen und einer verwirrenden Frage empfangen: "In die gute Stube -oder in die Höhle des Löwen?" Die Höhle ist Böhmes kleines Arbeitszimmer im ersten Stock der Doppelhaushälfte aus den 30er-Jahren, ein herrlich vollgestopfter Raum mit Büchern, Bildern und Andenken aus einem bewegten Leben - und mit dem alten Stehpult in der Mitte, an dem der Oberkirchenrat im Ruhestand am liebsten seinen Gedanken nachgeht. Der 68-Jährige Bauingenieur und Kirchenmann gehört zu jener selten gewordenen Spezies von Männern, die einen Gast mit Herzlichkeit umgarnen und mit Sachverstand beeindrucken, so dass man ihren gewandt erzählten Geschichten stundenlang zuhören kann. Vermutlich gehört diese einnehmende Art zum Geheimnis des Erfolges, mit dem der ehemalige Baureferent der evangelischen Landeskirche Sachsens seit 25 Jahren für die Rettung vieler vom Verfall bedrohter Kirchen eintritt.
Das Nationalkomitee für Denkmalschutz hat Böhme für sein Engagement Ende vorigen Jahres im Weimarer Stadtschloss die "Silberne Halbkugel" verliehen - den renommierten Deutschen Preis für Denkmalschutz. Böhme zählt zu den Gründern der Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler (Stiftung KiBa) und ist bis heute Schatzmeister des Fördervereins. Doch seine Mission für den Erhalt der sächsischen Gotteshäuser begann schon Anfang der 80er-Jahre, als er mit den DDR-Oberen um manches Material für ein kaputtes Dachgestühl ringen musste.
Rund 1.600 Kirchen stehen in Sachsen, viele davon waren jedoch marode. "Egal in welche Richtung man ging", sagt Böhme, "unsere Sorgenkinder standen überall." Allein die Löcher in den Dächern waren immens. "Da reichten keine Eimer mehr zum drunterstellen, da brauchten wir oft Badewannen", erinnert sich der frühere Oberkirchenrat. Seit 1981 mühte er sich, die schlimmsten Schadensfälle zu beheben. Seine Liebe zu den Gotteshäusern, sagt Böhme, sei daher Drama und Heldengeschichte gleichermaßen: "Hatte eine Kirche einen Dachschaden, mussten wir zuerst überlegen, woher das Holz oder die Biberschwänze kommen." Schließlich oblagen Baustoffe den VEB-Betrieben. Zwar konnten Gemeinden dafür Anträge stellen, doch die wurden Jahr für Jahr abgelehnt. Unterstützung für die Sammelbecken der Andersdenkenden durfte man eben nicht erwarten. Böhme erzählt: "Die haben uns gefragt: Sollen wir Wohnungen und Krankenhäuser bauen - oder etwa eure Kirche reparieren?"
Gab es mal Ware, war das meist "der letzte Husten", sagt Böhme und zählt auf: "Ziegel, die nicht frostbeständig waren; Wellbit, das mit Asbest getränkt war. Aber für uns galt: Lieber so als gar nicht." Und zur Not wurde das Material auch mal auf fast archaische Weise beschafft: Der Pfarrer fällte dann mit Gleichgesinnten im Kirchwald Bäume und ließ sie heimlich im Sägewerk zurecht schneiden.
Da war die Erlaubnis zum Bauen noch das kleinere Problem. "Der SED-Staat hat uns in Grenzen respektiert - die wollten nicht auch noch den Kampf mit der Kirche aufnehmen", meint Böhme und fügt mit kritischer Miene hinzu: "Heutzutage sind die Genehmigungsverfahren manchmal schlimmer." Für die Arbeit selbst fanden sich dann Freiwillige in der "Feierabendprojektierung". Oder die Landeskirche schickte ihre Baubrigade los - eine Truppe, die Baureferent Böhme während seiner Amtszeit weiter ausgebaut hat.
Seinen Ausgangspunkt nahm seine Karriere als Schutzlöwe alter Kirchen in seinem Heimatdorf. Vater Walter Böhme hatte in Kleinröhrsdorf in eine Dorfweberei eingeheiratet - dem neuen Arbeiter- und Bauernstaat galt er als Ausbeuter. Die Perspektive für Arthur Ulrich war damit denkbar düster. Nur dank glücklicher Umstände und einer erzwungenen Zeit in der NVA durfte Sohn Ulrich die Technische Universität Dresden besuchen. Er wurde Bauingenieur und spezialisierte sich auf Verkehrsplanung, er promovierte und habilitierte sich. In der Freizeit half der Familienvater immer wieder, Kirchbauten instand zu halten. Die Landeskirche wurde auf ihn aufmerksam und ließ ihn nicht mehr aus den Augen. Als Böhmes Vorgänger in den Ruhestand ging, klopften die Oberen beharrlich an die Tür. Beim dritten Besuch kündigte der Präsident des Landeskirchenamtes persönlich und unmissverständlich an, er werde erst wieder gehen, wenn Böhme Ja gesagt habe. "Da bin ich dann umgekippt - der liebe Gott schien es so zu wollen", so Böhme.
Es wurde eine Zeit, in der der Ingenieur nicht nur in technischen Fragen gefordert war, sondern auch als Seelsorger. "Wir mussten die ums Bauen Bemühten immer wieder ermuntern, auf dem dornenreichen Weg nicht aufzugeben", erläutert der Kirchenmann. Erst mit dem Mauerfall wendete sich das Blatt: Euphorie brach aus, bis 1993 bauten die Kirchen wie die Weltmeister. Doch der Wohlstand währte nur kurze Zeit. "Seit 1994 kippte das", sagt Böhme. Er organisierte in Dresden eine Tagung aller Landeskirchen aus Ost und West und drängte auf eine stetige und verlässliche Finanzierungsquelle, um bedrohte Gebäude vor dem Verfall zu retten. 1997 wurde daraufhin die Stiftung KiBa zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler aus der Taufe gehoben, im September 2000 ein eigener Förderverein gegründet.
Die Stiftung startete mit einer Umlage aller Landeskirchen von damals zehn Millionen D-Mark und konnte ihr Kapital dank mittlerweile 1.600 Fördermitgliedern und vielen Spenden kontinuierlich erhöhen. Allein in diesem Jahr schüttet die Stiftung KiBa aus den Erträgen mehr als 2 Millionen Euro an bundesweit 99 Gemeinden aus. "Und wir stecken noch in den Kinderschuhen", meint Böhme optimistisch. Dabei gehe es nicht nur um das Denkmal Kirche, sondern um den Versammlungsort für die Gemeiden. "Wir stehen für alle, die sagen: Die Kirche muss im Dorf bleiben."
Die Stiftung hat inzwischen einige prominente Fürsprecher gefunden, unter ihnen auch die Fernsehmoderatorin Sabine Christiansen. Wa-rum sie sich engagiert, ist auf der Internetseite der Stiftung nachzulesen: "Kirchliche Baudenkmäler sind Zeitzeugen, sie erzählen Geschichten, erinnern, mahnen - und machen Freude, trösten, schenken Geborgenheit und Zuversicht. Die Stiftung KiBa leistet einen großen Beitrag, damit das in dieser schnelllebigen Welt so bleibt."
Der KiBa-Förderverein gibt Unternehmen und Privatpersonen die Möglichkeit, aktiv an der Erhaltung gefährdeter Kirchengebäude mitzuwirken. Als Vorstandsmitglied des KiBa-Fördervereins treibt Ulrich Böhme die Arbeit voller Elan weiter voran, schreibt Briefe an potenzielle Förderer, bereitet Vorträge und Reisen vor, publiziert. Die Höhle unter dem Dach in Kleinröhrsdorf ist dem Oberkirchenrat im Unruhestand dafür grad der rechte Ort.
Der Autor ist freier Journalist in Dresden.
www.stiftung-kiba.de