Leben im Denkmal
Wer so wohnt, braucht gute Nerven und sollte Überraschungen mögen
Die "Krone" mitten im Dörfchen Bonfeld bei Heilbronn ist im 18. Jahrhundert erbaut und später zum Gasthof erweitert worden, mit einem großen Festsaal im ersten Stock.
Genau dieser Festsaal war es, in dem die frisch gebackene Eigentümerin Renate Brüggemann einen Schock bekam: Wochenlang hatte sie mühevoll in Gummihandschuhen mit Wattebäuschen und literweise Indus-triealkohol die Wände vorsichtig abgetupft, um einen modernen Anstrich nach dem anderen zu entfernen.
Dann stieß sie auf eine leuchtende Türkis-Farbschicht an den Wänden. Der Restaurator war überzeugt, damit sei die Originalbemalung frei gelegt. "Ich war kreuzunglücklich", erinnert sie sich, "und dann habe ich den Restaurator gebeten, ob er nicht ein bisschen weiter kratzen kann. Und er hat weiter gekratzt und kam auf einen himmlischen perlgrauen Wandton und Jugendstil-Fresken! Da habe ich gesagt, jetzt ist das Richtige gefunden!"
Solche Schrecken kennen viele Denkmalbesitzer. Denn die Konservatoren der Denkmalämter legen Wert darauf, möglichst viel Originales zu erhalten. Das heißt, dass man sich unter Umständen mit einem ochsenblutroten Fachwerk im Wohnzimmer anfreunden muss, mit für heutige Verhältnisse sehr kleinen Fenstern oder mit einem historischen Abort, der an der Außenwand klebt.
In aller Regel stellt so etwas aber kein Problem dar, denn: Wer sich bewusst dafür entscheidet, ein Denkmal zu sanieren und meist auch zu bewohnen, weiß, dass Improvisationstalent, Flexibilität und Kompromissbereitschaft dazu gehören. Die allerdings von allen Seiten. Und er tut gut da-ran, für Überraschungen offen zu bleiben, denn manches - wie die historischen Wandmalereien in der "Krone" - tritt unverhofft erst während der Sanierung zu Tage.
Ein paar hölzerne Keilrahmen, Pappe und viel Puste, mehr brauchte Bettina von Gilsa nicht, um den Konservator von ihrer Idee zu überzeugen. Sie wollte auf dem Flachdach ihres 30er-Jahre-Hauses in Tübingen Solarmodule installieren - zur Warmwasserbereitung.
Der Konservator befürchtete aber, dass die Module wegen ihrer 45-Grad-Neigung über die niedrige Brüstung lugen würden. Also recherchierte die gelernte Restauratorin nach geringer geneigten Fabrikaten und baute die erforderlichen Rahmen als Modelle auf der Dachterrasse auf. "Die habe ich dann hin und her geschoben, bin immer wieder vier Stockwerke nach unten auf die Straße gerannt, um zu überprüfen, ob man sie noch sieht. Dann ging's wieder ab nach oben und es gab erneutes Rücken um ein paar Zentimeter."
Als sie zufrieden war, bat sie den Konservator zum Ortstermin, und "innerhalb von fünf Minuten war das durch". Heute heizen 6,5 Quadratmeter Sonnenkollektoren im 30-Grad-Winkel 400 Liter Wasser für die vierköpfige Familie.
"Modernes Wohnen in einem alten Haus - keine Frage! Ein Haus ist, und wenn es 800 Jahre alt ist, so herzustellen, dass es zeitgemäß nutzbar ist, das ist ganz klar!" Der Schwäbisch-Haller Bauhistoriker Gerd Schäfer weiß, wovon er spricht. Er lebt und arbeitet im Denkmal und mit Denkmalen.
Als Bauleiter ist er oft genug derjenige, der Besitzerwünsche und Behördenauflagen unter einen Hut bringen muss: "Im Schwäbischen sagt man, man kann aus einem ,Scheißhäusle' keine Turnhalle machen. Ich muss mit den zwei oder zwölf Räumen arbeiten, die da sind, und versuchen, mein Wunschprogramm dort unterzubringen. Und das klappt in der Regel auch." Und das trotz der oft "unmodernen" Raumhöhe, die Gerd Schäfer aber durchaus schätzt: "Die Räume sind halt nicht 2,35 m, sondern bloß 2,21 m. Und das sagt jemand, der zwei Meter lang ist und sich trotzdem durchaus wohl fühlt in niederen Räumen, weil man dort meist ohnehin nur sitzt oder liegt."
Denkmale sind Einzelstücke, die aus jeder Norm fallen, eben keine Gebäude von der Stange oder vom Reißbrett. Das verlangt Architekten, Bauleitern und Handwerkern einiges ab. Wenn das Dach - im Gegensatz zum Neubau - eben schon drauf ist, muss man umdenken, bestätigt Hubert Dengel.
Der Restaurator im Maurerhandwerk aus dem hohenlohischen Schöntal lässt, bevor er überhaupt mit einer Sanierung anfängt, das Gebäude bei einer ersten Begehung auf sich wirken: "Ich muss ein paar Mal darüber schlafen, dann wächst der Plan in mir. Man muss flexibel sein. Jedes Haus ist anders gemacht, hat einen anderen Handwerker gehabt, der anders gedacht hat. Da muss ich mich erst reinleben und -denken."
Denkmalgerecht sanieren bedeutet auch, dass die alten Handwerkstechniken kein Fremdwort sein dürfen. Ein Zimmerer in der Denkmalpflege sollte Balken verblatten oder verzapfen können, statt sie zu nageln, ein Maurer muss wissen, wie man selbst einen Mörtel anmischt oder einen Schlussstein anreißt. "Denkmalgeschützt" ist ein Wort, das manche vor alten Gebäuden zurückschrecken lässt. Horrorgeschichten von Behördenauflagen kursieren, die eine Sanierung ins Unermessliche verteuern und die Besitzer schikanieren.
Dabei sollen, sagt Denkmalpfleger Norbert Bongartz vom Regierungspräsidium Stuttgart, die Auflagen eine Anleitung sein für das Miteinander von Alt und Neu: "Überall dort, wo charakteristische Verhältnisse eines historischen Gebäudes bestehen, achten wir darauf, dass der Nutzer nicht alles kurz und klein schlägt. Unser Auftrag ist, bei unvermeidlichen Umbauten und Modernisierungen darauf zu sehen, dass nicht mehr als nötig kaputt geht. Es geht aber keinesfalls da-rum, dass ein staatlich bestellter Besserwisser immer recht haben muss."
Manche bestehen aber zuerst genau darauf. Das Ehepaar Sabine Tischer und Arnd Medert wollte in eine alte Mühle in der Nähe von Ulm ziehen. Der Dachboden unter dem mächtigen Satteldach brauchte aber, um bewohnbar zu werden, Fenster.
Dachgauben wollte der Denkmalpfleger ihnen zugestehen, aber die gefielen dem Ehepaar nicht, weil ihre Mühle so ihr Gesicht verloren hätte. Stattdessen schlugen sie Dachflächenfenster vor. Die waren aber wiederum dem Konservator nicht recht. Auch das Argument, man müsse diese Fenster ja nicht auf der Straßenseite einbauen, sondern nach hinten hinaus zum Mühlkanal, wollte erst nicht so recht fruchten, trotz der Begründung: "Da sieht es doch keiner!" Spontane amtliche Antwort: "Doch! Der liebe Gott und ich!" Einer der beiden muss ein Auge zugedrückt haben: Die Dachflächenfenster sind mittlerweile eingebaut - zum Mühlkanal hin. Heike Lüttich z
Die Autorin ist freie Mitarbeiterin des SWR in Heilbronn.