Zuwanderungsrecht
Die Union lobt den Regierungsentwurf, die SPD hat Bauchschmerzen. Und die Ausländer? Für die ändert sich einiges.
Es war wie so oft in den vergangenen Monaten, wenn die Große Koalition ein neues Vorhaben oder einen Gesetzentwurf präsentierte: Während eine Seite das Werk wahlweise als "Durchbruch", "Schritt in die richtige Richtung" oder generell als ganz große Sache feierte, litt die andere Partei sicht- und hörbar an dem, was sie allenfalls als "schwierigen Kompromiss" bezeichnen konnte.
Zu beobachten war dieses Phänomen auch am 26. April, als der Bundestag erstmals über den Regierungsentwurf ( 16/5065 ) für ein neues Ausländer- und Asylrecht beriet. Auf fast 500 Seiten soll darin das Zuwanderungsrecht neu geregelt und eine gesetzliche Regelung für den Umgang mit langjährig geduldeten Ausländern geschaffen werden. Damit sollen insgesamt elf EU-Richtlinien umgesetzt werden. Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) war sich bei der Vorstellung seines Werks sicher: Das Gesetz werde die Integration verbessern - nach dem Grundsatz "Fördern und Fordern".
In der Diskussion offenbarte sich allerdings die Kluft zwischen den Partnern: Erst verkündete der stellvertretende Sprecher der SPD-Fraktionsarbeitgruppe Migration und Integration, Michael Bürsch, in seiner Rede, der Gesetzentwurf halte eine Tatsache unmissverständlich fest: "Deutschland ist ein Einwanderungsland" - nur um wenige Minuten später von Stephan Mayer (CSU) korrigiert zu werden: "Deutschland ist kein Einwanderungsland."
Mit derart unterschiedlichen Ausgangspositionen war es schwer, zu einem Kompromiss zu finden - entsprechend waren Union und SPD nach jahrelangem Streit froh, überhaupt eine Lösung vorlegen zu können. Und in noch einem Punkt sind sich die Partner einig: dass es wichtig sei, in der strittigen Frage des Bleiberechts endlich zu einer gestzlichen Grundlage gefunden zu haben.
Die sieht vor, dass geduldete Ausländer, die am 1. Juli 2007 mindestens acht - oder, wenn sie Kinder haben, mindestens sechs - Jahre in Deutschland leben, ein Aufenthaltsrecht bekommen, das bis zum 31.12.2009 befristet ist. Bis dahin müssen sie in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen und müssen nachweisen, dass sie einen Dauerarbeitsplatz haben - nur dann kann ihre Aufenthaltserlaubnis verlängert werden. Davon betroffen sind derzeit etwa 180.000 Menschen in Deutschland. Sie sind aus Gründen religiöser oder politischer Verfolgung aus ihrer Heimat geflohen. Da sie keine anerkannten Asylbewerber sind, haben sie kein Bleiberecht auf Dauer, sondern werden aus humanitären Gründen geduldet - und das immer nur für kurze Zeit befristet.
Für den SPD-Innenpolitiker Rüdiger Veit ist damit der Ausbruch aus einem "Teufelskreis" gelungen: Bislang habe es geheißen "ohne Arbeit keine Aufenthaltserlaubnis, ohne Aufenthaltserlaubnis keine Arbeit". Mit Blick auf die frühere rot-grüne Regierung müsse er einräumen: "Besser waren wir auch nicht." Die Linke sieht in der Regelung eine "Mogelpackung", so ihre Abgeordnete Ulla Jelpke: Erst sei jahrelang ein Arbeitsverbot für die Geduldeten verhängt worden, nun wolle man diese Menschen abschieben, wenn sie keine Arbeit fänden. Das Gesetz sei mithin "ein Flüchtlingsabwehrrecht" mit "inhumaner Systematik". Auch Josef Winkler, der innenpolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grünen, artikulierte sein Missfallen. Der Entwurf sei "integrations-, frauen- und familienfeindlich" und enthalte "zahlreiche rechtstaatlich bedenkliche Verstöße".
Besonders bedenklich findet die Opposition etwa die Regelungen zum Familiennachzug. Der Entwurf sieht vor, dass Ehegatten, wenn sie nach Deutschland nachziehen wollen, mindestens 18 Jahre alt sein und in der Lage sein müssen, sich "zumindest auf einfache Art" in deutscher Sprache zu verständigen. Damit, so Schäuble, sollen Zwangs- und Scheinehen wirksamer als bisher verhindert werden.
Für den Grünen-Innenpolitiker Volker Beck ist das ein klarer Grundrechtsverstoß: Die Regierung erweise sich hier als "Totengräber" des Artikel 6 des Grundgesetzes, der die Familie unter besonderen Schutz stellt. Es sei gut und wünschenswert, wenn Ausländer bereits vor der Einreise nach Deutschland die deutsche Sprache lernten. Es dürfe aber keinesfalls die Gewährung von Grundrechten daran gebunden werden. Auch Sevim Dagdelem (Linksfraktion) zeigte sich angesichts dieser Regelung empört: Man lerne Deutsch am besten in Deutschland. Die "soziale Selektion", die der Gesetzentwurf vornehme, sei nicht hinnehmbar.
Der SPD bereitet dieser Teil des Kompromisses ebenfalls Bauchschmerzen. Rüdiger Veit zweifelte daran, dass es verfassungskonform sei, den Ehegattennachzug an den Spracherwerb zu koppeln. Man habe jedoch "Zugeständnisse an den Koalitionspartner" machen müssen, die "eigentlich nicht unserer Überzeugung entsprechen." Für die Union waren diese Einlassungen kein Grund zur Freude. "Etwas mehr Begeisterung", so Reinhard Grindel (CDU) habe er sich vom Koalitionspartner schon "gewünscht". Er sah in den Regelungen zum Ehegattennachzug das "Kernstück" des Entwurfs, das "doch einleuchten" müsse: Bislang sei der Familiennachzug oft eine "Umsiedlung in eine Parallelgesellschaft" gewesen. Nur Frauen, die sich verständigen könnten, seien auch in der Lage, Hilfsangebote wahrzunehmen. Zudem, so Grindel: "Wer in der Lage ist, Zwangsehen zu arrangieren, wird wohl auch Deutschkurse arrangieren können."
Wichtig ist für die Union auch, dass das Angebot an Integrationskursen verbessert werden und es gleichzeitig Möglichkeiten geben soll, Sanktionen gegen Migranten zu verhängen, die diese Angebote nicht wahrnehmen. Mayer betonte, Integration sei nicht nur Anspruch, sondern auch Verpflichtung und man könne von den Ausländern "erwarten", dass sie sich dabei "selbst in die Pflicht nähmen", so Grindel.
Für Ulla Jelpke ist diese Haltung Ausdruck eines "abgrundtiefen Misstrauens der Regierung gegen die Einwanderer". Wer nur einen "Funken Menschlichkeit" in sich hätte, könne diesem Entwurf nicht zustimmen. Auch Volker Beck hatte für die Koalition nur einen Vorschlag: Sie solle das Gesetz "in den Papierkorb" werfen. Weniger Kritik äußerte die FDP. Für die Liberalen bezeichnete Hartfrid Wolff den Kompromiss als einen "kleinen Schritt in die richtige Richtung, er sei aber nicht die notwendige nachhaltige Lösung". Es sei ein gravierender Mangel, dass die bürokratischen Hürden für die Einstellung ausländischer Fachkräfte und Hochschulabsolventen "deutlich zu hoch" seien. Gemeinsam mit dem Gesetzentwurf überwies der Bundestag diverse Anträge zum Ausländer- und Asylrecht der Linken ( 16/4487 , 16/4907 , 16/5109 , 16/5108 ), der Grünen ( 16/3198 , 16/5103 , 16/5116 ) und der FDP ( 16/4609 , 16/4739 ) in den Innenausschuss. Dass der Weg bis zur Verabschiedung des Gesetzes die Koalition weiterhin auf eine harte Probe stellen wird, ist programmiert: Bis zum Ende der vorigen Woche lagen dem Bundesrat, der sich mit dem Gesetzentwurf voraussichtlich im Juni beschäftigen wird, bereits 90 Änderungsanträge der Länder vor.
Der Verfassungsrechtler Ulrich Karpen (Universität Hamburg) erwartet, dass auch das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet wird. Die Regelung, dass Ehepartner nur nachziehen dürfen, wenn sie schon Deutsch sprechen, könnte unter Umständen verfassungswidrig sein, sagte er im Interview mit dieser Zeitung. Deutschkennntisse seien zweifellos wichtig - aber nachziehende Ehepartner müssten genauso behandelt werden wie Ausländer, die sich bereits legal in Deutschland aufhielten. Tue man dies nicht, könne Artikel 3 des Grundgesetzes verletzt sein, der die Gleichheit vor dem Gesetz garantiert. Es sei sinnvoll, dieses Problem zu klären, so Karpen: "Ich bin mir ganz sicher, dass sich jemand findet, der das nach Karlsruhe trägt."