Mahnung
Der ZDF-Moderator Michael Opoczynski sieht schwarz für Deutschlands Zukunft. Und verlangt ein Umdenken.
Herr Opoczynski, wann war Deutschland jenes Wunderland, das - wie der Titel ihres Buches verrät - abgebrannt ist und wie sah es aus?
Deutschland war ein Wunderland, als jeder einen Arbeitsplatz bekommen und jeder sein Häuschen bauen konnte und alle dachten, dass es ihnen heute gut, morgen aber besser gehen würde. Von Mitte der 50er- bis Ende der 70er-Jahre war Deutschland ein Wunderland.
Was sind die Gründe dafür, dass dieses Wunderland abgebrannt ist?
Es gibt viele Gründe. Ein Grund ist das Geringschätzen der Bildung in Deutschland. Es wird viel Geld in das Konsumieren und in die Bezahlung von Rentnern und Sozialleis-tungen gestopft, was auch sein muss. Es bleibt allerdings kein staatliches Geld mehr übrig, um Kinder in Krippen, Jugendliche in Schulen oder Studenten in Universitäten richtig auszustatten. Da wird gespart, das ist ein ganz schwerer Fehler. Wir investieren nicht in unsere Zukunft, sondern in unsere Vergangenheit.
Ein zweiter Grund ist, dass wir alle etwas zu behäbig geworden sind, weil wir im Wunderland gut lebten. Die Welt aber änderte sich um das statische Deutschland, und wir wurden von Ländern überholt, in denen vieles besser geht. Wir haben vieles ignoriert, was wir hätten ändern müssen. Jetzt gibt es ein böses Erwachen. Das Schlimme ist, dass jetzt wieder die Arbeitslosigkeit sinkt und der Impuls zum Handeln verloren geht. Deutschland geht es nur scheinbar besser. Der Mangel an qualifiziertem Personal wird übertüncht von guten Wirtschaftszahlen, doch die strukturellen Probleme sind noch genauso scharf wie vor 18 Monaten als wir über fünf Millionen Arbeitslose hatten.
Die Spaltung der Gesellschaft in arm und reich bezeichnen Sie als eine Konsequenz des Niedergangs Deutschlands. Wer spaltet die Gesellschaft und welche Interessen verfolgt derjenige?
Es gibt keinen Spalter. Letztlich sind die Bürger in Deutschland, die konsumieren, alle zugleich Täter und Opfer. Wer in einem Elektronikmarkt einen DVD-Player für 30 Euro kauft, spaltet Deutschland, weil er ein Produkt kauft, das unter Bedingungen hergestellt wird, zu denen kein Deutscher mehr arbeiten möchte. Das gleiche gilt für jene, die einen Aktienfonds kaufen, der ethische Bedingungen nicht berücksichtigt und in solche Firmen investiert, die keinen Wert auf ethische Arbeitsbedingungen legen. Wir sind die Opfer, wenn wir nur noch Jobs bekommen, die schlecht bezahlt sind und die alle Löhne und Tarifbewegungen der letzten Jahre unterschreiten…
… und die Elektronikmärkte, die diese Produkte zu Tiefstpreisen anbieten, sind keine Spalter? Wenn diese die Ware nicht anböten, könnten wir sie nicht kaufen.
Wenn es Media-Markt nicht anbietet, böte es die Firma Müller an. Wir sind eine freie Gesellschaft, so einfach ist es nicht. Sie müssten dafür sorgen, dass bestimmte Produkte nicht mehr nach Deutschland importiert werden und dass bestimmte Löhne gezahlt werden. Ganz schön schwierig, wir wären eine Insel, und ich glaube, dem Land würde es nicht gut gehen.
Sie beziehen sich in einem Fall auf den rapiden Anstieg der Arbeitslosenzahlen in den 60er-Jahren und heben die wirksame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unter Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller während der ersten großen Koalition hervor. Warum gelang der Politik damals, was ihr heute scheinbar nicht mehr gelingt?
Damals waren die Verhältnisse noch relativ einfach und ein Land konnte noch selber seine Probleme lösen. Wir sind heute in den grundsätzlichen Fragen der Produktnormierung eingebunden in die Europäische Union. Das heißt, ein deutscher Politiker hat beispielsweise überhaupt nicht mehr die Macht zu sagen, wir setzen jetzt die Zinsen herauf. Die Macht ist längst abgegeben an eine europäische Regierung, die nicht so richtig demokratisch entsteht. Direkte Durchgriffe, wie sie damals Schiller und andere machen konnten, sind heute nicht mehr möglich. Außerdem existieren heute nicht nur die klassischen Industrienationen von damals, sondern überall neue, hungrige Länder.
Sie kritisieren die Berufspolitiker und die Ich-Bezogenheit in der Gesellschaft. Hat die Politik die Gemeinwohlorientierung verloren?
Man stellt ihnen eine konkrete Frage und sie weichen aus oder antworten mit gestanzten Formeln. Ich mache mir darüber große Sorgen, weil ich denke, dass die Leute dies zunehmend merken. Die Wahlbeteiligung sinkt nicht zufällig. Ich kritisiere Politiker, die nur mit Sätzen wie "Wir werden das schon richten" oder "Wir machen eine neue Reform und danach wird alles besser" auftreten. Seit Jahren machen wir die Erfahrung, dass das nicht stimmt.
Vielleicht sollten Politiker probieren zu sagen: "Achtung, es gibt Probleme und die sind nicht mit einer Reform zu lösen, sondern können nur grundsätzlich angegangen werden".
Infolge der rasanten technischen und logistischen Entwicklung werden zunehmend Arbeitsplätze nach Osteuropa oder Asien verlagert. Wo bleibt die Verantwortung der Unternehmer, die diesen Prozess vorantreiben?
Zunächst einmal gibt es nicht "die Unternehmer". Ich kenne viele Unternehmer, gerade aus dem Mittelstand, die verhalten sich nicht so. Ein Beispiel ist der Dübelhersteller Fischer. Der ist mit einer Rendite von sieben Prozent im Jahr zufrieden. Diese Rendite erzielt er unter den Bedingungen in Deutschland und ist mit seinen Angestellten im Reinen.
Es gibt aber auch jene Investoren, und das ist ein Punkt, den ich attackiere, die irgendwo an der Westküste Amerikas sitzen und entscheiden, dem übernommenen Betrieb in Deutschland, der gute Qualitätsprodukte herstellt aber nur sieben Prozent Rendite liefert, den Hahn zuzudrehen. Der nimmt das Markenzeichen, das deutsche Qualität verspricht, und produziert dort, wo es billiger ist. Das empfinde ich als unverantwortlich. Es darf nicht nur die Rendite im Vordergrund stehen.
Was denken sie, wie die Politik darauf reagieren sollte?
Ich würde mir wünschen, dass Deutschland und die EU sagen würden, es werden nur Produkte importiert, die unter gewissen Mindeststandards hergestellt werden. Das kann man machen, wir sind mit 300 Millionen Einwohnern in Europa ein großer Markt. Es wäre ein gewaltiger Schritt, solche Standards zu verlangen. Ferner könnte man auch die Transportwege thematisieren und was mit einem Containerschiff auf die Natur bezogen angerichtet wird. Umweltzerstörung kostet Geld. Schon deshalb müssten die Transportwege teurer werden, dann könnten europäische Arbeitnehmer wieder konkurrieren. Das sind ganz vernünftige Ideen, die man umsetzen sollte.
Sie sprechen von einem anständigen Lohn. Wäre ein einheitlicher Mindestlohn eine Lösung, um dem Armutsproblem in Deutschland zu begegnen?
Ich bin unbedingt für Mindestlöhne. Ich finde es ganz schlimm, wenn es Menschen gibt, die volle Kraft die ganze Woche arbeiten und am Ende der Woche nicht genug Geld haben, um davon zu leben. In Amerika habe ich das schon vor Jahren gesehen und mich gewundert über eine Gesellschaft, die es hinnimmt, dass Menschen mehrere Jobs machen müssen. Und nun steuern wir auch in diese Richtung.
Eine mögliche Lösung für die Arbeitsmarktkrise räumen Sie dem Bürgergeld ein. Demnach sollte jeder Bürger im Schnitt 1.200 Euro pro Monat vom Staat bekommen. Wie soll das finanziert werden?
Ja, das ist die Idee des Drogerieunternehmers Götz Werner, ein anthroposophischer Unternehmer, der seine Leuten auch nicht ausbeutet. Es ist natürlich eine ungewöhnliche Idee, den Leuten erstmal ihr Auskommen zu ermöglichen und danach jenen, die besser sind, mehr Geld zu geben und das Ganze über eine sehr hohe Mehrwertsteuer zu finanzieren. Vielleicht ist es eine Utopie, aber man sollte so etwas diskutieren. Wenn sie eine Mehrwertsteuer von 50 Prozent einführen, die auch jene Importe trifft, die zu Dumping-Preisen ins Land kommen, dann kann man damit das Bürgergeld finanzieren.
Wer geht dann noch arbeiten?
Auskommen können auch heute schon Leute mit Hart IV, das schaffen sie mit dem Bürgergeld nicht ab. Das Bürgergeld ermöglicht kein feudales Leben, sondern ein Auskommen, und zwar ohne den Geruch, den Hartz IV hat.
Das Interview führte Maik Forberger
Wunderland ist abgebrannt. Wie wir noch zu retten sind.
Droemer Verlag, München 2007; 272 S., 16,90 ¤