KONFLIKTMANAGEMENT
Traditionelle Friedensbemühungen gehen zurück - präventives Agieren ist nötig
Wird Deutschlands Sicherheit tatsächlich am Hindukusch verteidigt? Sind wir besser geschützt, indem wir Soldaten und Entwicklungshelfer tausende Kilometer entfernt von unseren Landesgrenzen einsetzen? Nach den USA stellt Deutschland derzeit die zweitmeisten Soldaten für Auslandseinsätze, vor allem im Auftrag der Vereinten Nationen und der Nato. Konkret ist die Bundeswehr unter anderem an friedensstiftenden Missionen im Kosovo (KFOR-Einsatz) und in Afghanistan (ISAF-Mandat) beteiligt. Diese für Deutschland wichtigen Operationsgebiete des internationalen Konfliktmanagements stehen im Mittelpunkt von Fallstudien und vergleichenden Analysen, die die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) an der Wiener Landesverteidigungsakademie veröffentlicht haben.
In ihren Aufsätzen behandeln die Autoren die Rahmenbedingungen des internationalen (Post-)Konflikt-Managements im Kosovo, in Moldawien und in Afghanistan. Zugleich erläutern sie die Motive für internationale Interventionen sowie die Interventionsformen und -mittel. Im Zentrum des insgesamt hervorragenden Sammelbandes stehen jedoch die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen der Interventionen und die übergeordneten Ziele der Einsätze.
Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes wurde regionalen und innerstaatlichen Krisen wegen ihrer potenziellen Internationalisierungs-Gefahr verstärkte Aufmerksamkeit zuteil. Die Risiken der Proliferation, der organisierten Kriminalität und der internationale Terrorismus stellten das internationale Konfliktmanagement vor immer neue Herausforderungen.
Seitdem gelten multinationale Interventionen in Konfliktgebieten als "proaktive Strategien zur Wahrnehmung nationaler Sicherheitsinteressen, und zwar auch dann, wenn sie humanitär begründet werden", schreibt Institutsleiter Walter Feichtinger. Seine solide theoretische Studie behandelt "Konfliktprävention und Konfliktmanagement - ein sicherheitspolitisches Paradigma im 21. Jahrhundert". Darin stellt er fest, dass die traditionellen internationalen Friedensbemühungen stetig zurückgehen. Stattdessen bestehe die Herausforderung heute im präventiven Agieren, also dem Verhindern von Konflikten, insbesondere wenn sie eine regionale oder globale Krise auslösen könnten. Im Kern gehe es also nicht mehr um militärisches Eingreifen allein, hinzukommen müsse eine langfristig angelegte humanitäre und wirtschaftliche Aufbauarbeit. Feichtinger analysiert "Peacekeeping"-Aktionen, die von humanitären Maßnahmen bis zum Aufbau politischer Institutionen (State-building, Nationbuilding) reichen. Zu Recht weist er darauf hin, dass Blauhelm-Einsätze den Erfordernissen nicht mehr gerecht werden, da der Souveränitätsanspruch der Staaten immer häufiger gegen Menschenrechte - insbesondere das Recht auf Leben - und das Selbstbestimmungsrecht abgewogen werden müsse. So erfolgte das Eingreifen der Nato in den inner-jugoslawischen Konflikt, um eine "humanitäre Katastrophe" zu verhindern; ein Mandat des UN-Sicherheitsrates lag nicht vor.
In seinem Artikel befürwortet Predrag Jurekovi?c den Nato-Einsatz im Kosovo und betont, dass ein Nicht-Handeln zu noch mehr Flüchtlingen geführt hätte, denen die Rückkehr in ihre Heimat möglicherweise für immer versagt worden wäre. Die humanitär begründete militärische Intervention der Nato bezeichnet Jurekovi?c deshalb als grundsätzlich erfolgreich - mit einer Einschränkung: "Die Nato hatte keine ausreichenden Vorkehrungen für den Schutz der nicht-albanischen Bevölkerung getroffen." Damit bringt der Wissenschaftler das Kernproblem des internationalen Konfliktmanagements auf den Punkt: Zu häufig nehmen die Interventionskräfte keine neutrale Haltung zu den Konfliktparteien ein. Das gilt auch für das Kosovo, wo die Intervention "von Anfang an mit dem Makel belegt" war, "einerseits die Menschen- und Bürgerrechte der albanischen Mehrheitsbevölkerung im Kosovo wiederhergestellt zu haben, andererseits aber eine Situation geschaffen zu haben, in der die persönliche Sicherheit von Nicht-Albanern nicht mehr gewährleistet war". Insgesamt betrachtet habe es jedoch keine Alternative dazu gegeben, das Kosovo zu einem internationalen Protektorat zu erklären und eine Übergangsverwaltung einzusetzen. Ansonsten wäre der seit 1912/13 bestehende Konflikt zwischen Serben und Albanern weiter eskaliert und hätte den ganzen Balkan erneut in ein Pulverfass verwandeln können.
Mit Blick auf den Streit um die Status-Frage des Kosovos hält es Jurekovi?c für wenig hilfreich, dass dieses Problem bis zum Frühjahr 2004 bewusst aus dem Stabilisierungskonzept der UNMIK ausgeklammert worden sei. Diese Fehlentscheidung habe dazu geführt, dass das Kosovo heute "weit davon entfernt ist, eine pluralistische Gesellschaft mit demokratischen Grundwerten zu sein".
Angesichts dieser Bilanz vor unserer Haustür muss der viel beschworene "Sieg der Demokratie in Afghanistan" umso skeptischer beurteilt werden. Empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang der Aufsatz über "Konflikttransformation und Staatsbildung in Afghanistan" von Markus Gauster. Obwohl dem Autor einige Fehler unterlaufen sind, ist seine Studie die derzeit umfassendste über das Konfliktmanagement am Hindukusch. Seinem realistischen Fazit, dass die afghanische Regierung in absehbarer Zeit keine Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet erlangen wird, kann man sich nur anschließen.
Internationales Konfliktmanage-ment im Fokus.
Nomos Verlagsgesellschaft. Baden-Baden 2006; 328 S., 59,00 ¤