USBEKISTAN
Die Wirtschaft liegt am Boden. Reformen bleiben aus. Islam Karimows verheerende Bilanz.
Usbekistan, erfährt der deutsche Tourist, ist ein Märchen aus tausendundeiner Nacht: Ein Land der Wüsten, Steppen und Oasen, der Moscheen und Paläste, Medresen und Mausoleen, das Land der sagenumwobenen Seidenstraße, des Handelsweges, der vor Jahrhunderten Europa mit Asien verband. Usbekistan lockt mit seinen Städten, mit Samarkand, Buchara und Chiwa, mit einer Kultur und Zivilisation - so alt wie Rom!
Die Usbeken, das ist der Anschein, den diese Reisekatalog-Lyrik erweckt, sind eine uralte Kulturnation. Das Bild dürfte dem Staatspräsidenten Usbekistans gefallen. Es entspricht genau jenem Selbstverständnis, das Islam Karimow seiner Nation verordnet hat: Die alte Kultur und Zivilsation zwischen Amu-Darja und Syr-Darja entspringt dem einen, usbekischen Genius. Die Usbeken tauchen indes erst im 14. Jahrhundert in der Geschichtsschreibung auf, als Nomaden, die nördlich des Syr-Darja von Khan Abu'l-Chair als "Usbeken" vereinigt wurden. Als sie Ende des 15. Jahunderts unter seinem Enkel Muhammad Shiban Khan in Samarkand, Buchara, Taschkent und Urgentsch einfallen, haben diese Städte schon eine Jahrhunderte alte Geschichte. Das Bild vom dominierenden usbekischen Einfluss ist bestenfalls halbwahr.
Um es zu legitimieren, bedient sich die offizielle Geschichtsschreibung eines Tricks: Sie beginnt mit Timur, dem Schwiegersohn Dschingis Khans, der Ende des 14. Jahrhunderts eines der größten und kurzlebigsten Reiche Zentralasiens schuf. Es erstreckte sich über den heutigen Iran bis an die chinesische Grenze, vom Persischen Golf bis ans Kaspische Meer. Sein Zentrum war Samarkand, das Timur zu einer mächtigen Kapitale ausbauen ließ - nach persischem Vorbild. In den eroberten Gebieten erwarb sich Timur den Ruf eines skrupellosen Schlächters. Er ließ Hunderttausende ermorden und die eingenommenen Städte ausbluten.
Heute trägt jede größere Straße in Usbekis-tan seinen Namen, es gibt ein gewaltiges Timur-Museum, einen Timur-Park in Taschkent und zahllose Timur-Statuen über das gesamte Land verteilt. Er ist die zentrale Figur der modernen usbekischen Geschichtsschreibung, die ihn - zum Wohlgefallen Karimows - zum Stammvater der Usbeken erhebt. Timur indes entstammte einem türkisierten Mongolenstamm. Das antike Reich, von dem die Reisekataloge sprechen, war persischen Ursprungs. Die ältesten Metropolen und der in ihnen über Jahrhunderte dominierende Einfluss waren persisch. Samarkand war keine Gründung Timurs, sondern gehörte neben Buchara, Herat, Balch, Ghazni, Kabul, Maschhad, Tus und Nischapur zum Land der aufgehenden Sonne, Chorasan, das seit dem sechsten Jahrhundert vor Christus zum Perserreich zählte. Unter Alexander wurde es Teil des Seleukidenreichs und schließlich ab 651 unter arabischer Herrschaft islamisiert und zu einem Zentrum der persisch-islamischen Kultur.
Die alten Oasenstädte im Emirat Buchara und die Khanate von Chiwa und Chudschand waren zudem über die Jahrhunderte ein Schmelztiegel unterschiedlichster Völker, Stämme und kultureller Einflüsse. Sie beherbergten neben Persern, Mongolen, Arabern auch Juden, Russen, Ukrainer, Deutsche und Krim-Tataren. Die usbekische Geschichtsschreibung leugnet den persisch-islamischen Einfluss nicht. Die usbekische Politik aber sorgt dafür, ihn der öffentlichen Wahrnehmung zu entziehen. Das heutige Usbekistan ist Nachfolger der Usbekischen Sozialistischen Sowjetrepublik - einem künstlichen Gebilde, das nach zahlreichen willkürlichen Grenzziehungen aus dem ehemals zum Russischen Reich gehörenden Generalgouvernement Turkestan entstand. Usbekistan ist und war niemals ein monoethnischer Staat. So gehörte die heutige Nachbarrepublik Tadschikistan zunächst noch als Autonome Sozialistische Sowjetrepublik zum Territorium der Usbekischen SSR. Erst 1929 wurde die Tad-schikische SSR als eigenständige territoriale Einheit von der Usbekischen getrennt.
Die willkürliche Grenzziehung beraubte die Tadschiken ihrer alten kulturellen Zentren Buchara und Samarkand und eines Teils des Ferganatals. Die in Usbekistan verbliebene persischsprachige Bevölkerung wurde gezwungen, sich dem usbekischen Staatsvolk unterzuordnen. Persischsprachige Schulen wurden geschlossen, das usbekische Bildungsministerium ordnete im Jahr 2000 an, persische Literatur und Schulbücher in Buchara und Samarkand zu vernichten.
Führende Positionen in der Regierung oder Verwaltung Usbekistans sind ethnischen Usbeken vorbehalten, ebenso viele andere Arbeitsplätze. Die Tadschiken - Nachkommen der ursprünglich persischen Bevölkerung Zentralasiens - sind heute offiziell eine persischsprachige Minderheit auf usbekischem Staatsgebiet. Fünf Prozent der Bevölkerung sollen sie nach amtlichen Angaben stellen. Ihre tatsächliche Zahl wird auf 40 Prozent geschätzt. Große Teile der tadschikischen Bevölkerung wurden gezwungen, sich als Usbeken registrieren zu lassen. Das sowjetische Experiment der "Nationenbildung" hatte zudem die Tadschiken benachteiligt und die Usbeken bevorzugt.
Tadschikistan ist ein Hochgebirgsland. Mehr als 70 Prozent des Staatgebiets liegen auf einer Höhe von 3.000 Metern. Lediglich ein kleiner Teil des tadschikischen Ferganatals kann landwirtschaftlich genutzt werden, der größte Teil eignet sich - wenn überhaupt - nur für die Viehzucht.
Usbekistan dagegen erhielt nicht nur die einst gemeinsamen geschichtlichen und kulturellen Zentren Samarkand und Buchara, sondern auch weite Teile des fruchtbaren Ferganatals. Es war nun die bevölkerungsreichste zentralasiatische Sowjetrepublik. Zuletzt 1989, also noch zu sowjetischer Zeit, versuchte die Tadschikische Sowjetrepublik, in Moskau eine Revision dieser Gebietsaufteilung zu erreichen. Doch auch die Unabhängigkeit beider Republiken von der Sowjetunion - Usbekistan erklärte sich am 1. September 1991 für souverän, Tadschikistan am 9. September - änderte nichts an der territorialen Aufteilung und dem Ungleichgewicht der Chancen beider Staaten. In Tadschikistan folgte auf die Unabhängigkeitserklärung ein blutiger Bürgerkrieg, der bis 1996 anhielt.
Das Erstarken islamischer Kräfte im benachbarten Afghanistan hatte indes schon Mitte der 70er-Jahre für Unruhe in Tadschikistan gesorgt. In Leninabad, heute Chudschand, wurde die Untergrundpartei Islamische Wiedergeburt gegründet, die nach dem Sturm auf den Präsidentenpalast in Duschanbe 1992 erstmals auch an einer Koalitionsregierung beteiligt wurde. Die vorgebliche und die tatsächliche Gefahr, die von radikalen islamistischen Gruppierungen beiderseits der usbekisch-tadschikischen Grenze ausgeht, ist bis heute der bestimmende Faktor der Politik des usbekischen Präsidenten Islam Karimow.
Karimow, der selbst aus einer Familie stammt, die sowohl tadschikisch-persische als auch usbekisch-türkische Wurzeln hat, weiß, dass "Nationalität" für beide Völker bis zum sowjetischen Experiment ihrer Separierung kein identitätsbildendes Moment war. Fast die gesamte Bevölkerung war zweisprachig und ihr Leben ausgerichtet auf den Stamm oder Clan, dem man angehörte. Man identifizierte sich über die Religion, und die war beiden Volksgruppen gemeinsam. Der überwiegende Teil der Tadschiken - bis auf einige Ausnahmen in den Bergregionen des Pamir - gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islams an, ebenso wie die Usbeken.
Eben diese identitätsstiftende Rolle des Islams fürchtet Usbekistans Präsident Karimow. Er dominiert das Land seit 1989, zunächst als Erster Sekretär der Kommunistischen Partei Usbekistans und seit 1991 als Präsident. "Sicherheit und Stabilität" sind die Schlüsselbegriffe seiner Politik, und die größte Bedrohung seiner Law-and-Order-Strategie sieht er im grenzübergreifenden islamischen Fundamentalismus. Insbesondere Tadschikistan beschuldigt Karimow, nur unzureichend gegen islamische Fundamentalisten und Terroristen vorzugehen und verweist dabei auf Vorfälle Ende der 90er-Jahre. So versuchten 1999 etwa 700 Kämpfer der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU), von Tadschkistan aus über Kirgisis-tan in das usbekische Ferganatal vorzudringen. Im August 2000 unternahm die IBU einen weiteren Versuch im usbekischen Teil des Tals. Zur Zeit der Taliban-Herrschaft in Afghanistan soll die IBU Stützpunkte und Ausbildungslager in Afghanistan unterhalten haben. Die usbekische Hauptstadt Taschkent trafen zudem im Februar 1999 mehrere Bombenanschläge.
Karimow beschuldigte nur wenige Monate später usbekische Oppositionspolitiker und die Taliban, für die Anschläge verantwortlich zu sein. Der Präsident sah sich zu einem harten Durchgreifen veranlasst und durch sein (vorübergehendes) Bündnis mit den USA nach den Anschlägen des 11. September darin bestätigt. Zahlreiche Oppositionspolitiker wurden beschuldigt, islamistische Terroristen zu sein, und ebenso zahlreich zum Tode verurteilt. Die Islamische Bewegung Usbekistans gilt heute als weitgehend ausgeschaltet. Das Bedrohungsszenario, das der usbekische Präsident beschwört, hat sich indes nicht verändert. Im Gegenteil verdächtigt die Staatsführung inzwischen nahezu jede Art der Opposition im Land des religiösen Extremismus. Jedwede Religionsausübung wird entsprechend misstrauisch überwacht.
Die Ereignisse in Andischan, im usbekischen Ferganatal, wo im Mai 2005 bei einem Einsatz des Militärs gegen angebliche Aufständische mehrere hundert Menschen getötet worden sind, waren nur der Höhepunkt des Bemühens einer dienstbaren Armee um "Stabilität und Sicherheit".
Der frühere britische Botschafter in Usbekis-tan, Craig Murray, äußerte noch zu seiner Amtszeit, Usbekistans islamischer Widerstand sei ein ebenso hausgemachtes Problem wie der wirtschaftliche Niedergang des Landes. Tatsächlich steht das Land trotz seines Reichtums an Rohstoffen - Erdöl, Erdgas, Gold, Kohle, Silber, Kupfer und Uran - vor gewaltigen Wirtschaftsproblemen. Der neueste Human Development Index des United Nations Development Program (UNDP) reihte Usbekistan 2003 unter 177 Ländern auf den 111. Platz ein.
Insgesamt hat Karimow nach 18 Jahren Herrschaft eine verheerende Bilanz vorzuweisen. Die Wirtschaft des Landes liegt am Boden. Ausbleibende Reformen verprellen potenzielle Investoren wie Kreditgeber. Karimows Regierung gibt vor, demokratisch gewählt zu sein. Tatsächlich aber hatte das usbekische Volk seit mehr als einem Jahrzehnt keine andere Wahl mehr als Karimow. Es gibt keine politische Opposition im Land, kein Recht auf freie Meinungsäußerung, keine Pressefreiheit, nichts, was auch nur die Grundlage für eine Demokratie sein könnte. Der einzigen Trumpf, den Karimow noch ausspielen kann, ist die geostrategische Bedeutung seines Landes, um das Russland und China ebenso buhlen wie die USA. Ein verlässlicher Partner war er indes nie. Er wird es auch für die EU nicht sein.
Katja Tichomirowa ist Korrespondentin der "Berliner Zeitung" in Moskau