fErgana
Das Pulverfass der Region teilen sich drei Länder
Das Ferganatal schürt Ängste. Instabilität, radikale Bewegungen, Terrorismus sind die düsteren Assoziationen, die mit dem bevölkerungsreichsten Landstreifen in Zentralasien in Verbindung gebracht werden. Das Tal, eingeschlossen von den Ausläufern des Tienschan- und Pamirgebirges, gilt als Brutstätte islamistischer Umtriebe, die die gesamte zentralasiatische Region zwischen chinesischer Grenze und Kaspischem Meer zu entflammen drohen. Diese Gefahr hebt der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, gar auf eine Stufe mit dem Ringen gegen die Taliban in Afghanistan.
"Wir sind überzeugt, dass Zentralasien eine äußerst wichtige Rolle für die Sicherheit des gesamten eurasischen Kontinent spielt, vor allem, was den Kampf gegen Terrorismus und extremistische Aktivitäten angeht", sagte Erler in einem Interview der Deutschen Welle im Oktober 2006 und erklärte dann weiter: "Wobei ich nicht nur an Afghanistan denke, sondern auch an die Ereignisse im usbekischen Teil des Ferganatals."
In der Tat birgt das fruchtbare Tal genügend Konfliktstoff. Usbeken, Tadschiken und Kirgisen leben neben vielen kleineren Ethnien auf engstem Raum zusammen. Wasser und Boden sind von einer in der Sowjetunion betriebenen Baumwollmonokultur mit Pestiziden über Jahre hinaus verunreinigt. Der Streit über Wasser- und Bodennutzung zwischen den von der Viehzucht lebenden Kirgisen und den Ackerbau betreibenden Tadschiken und Usbeken geht in die Generationen. Nur bleibt die Frage, inwiefern staatliche Repression islamische Radikalisierung in der spannungsgeladenen Region nicht eher befeuert als eindämmt. Die Grenzverläufe der drei zentralasiatischen Staaten Kirgisistans, Tadschikistans und Usbekis-tans fräsen sich, der sowjetischen Logik des Teilens und Herrschens folgend, durch das Tal. In den 20er-Jahren hat die noch junge Sowjetmacht eine Grenzpolitik in Zentralasien betrieben, die eine zukünftige Unabhängigkeit der Region erschweren, wenn nicht unmöglich machen sollte. Der Großteil des Ferganatals mit den Städten Namangan, Margilan, Kokand, Fergana und Andischan gehört zu Usbekistan. Die ferganischen Provinzen Usbekistans sind über den Kamtschik-Pass und seit dem Jahre 2000 über einen Tunnel mit den übrigen Landesteilen verbunden. Im Südosten des Tales verkeilen sich das usbekische und tadschikische Staatsgebiet ineinander. Wie zwei Arme umklammern vom Osten kommend zwei kirgisische Landstreifen das Tal. Im südlichen Landarm sind zudem noch drei Enklaven, zwei tadschikische und eine usbekische, eingesprengselt.
Die zur Sowjetzeit noch rein administrativen Trennungen wurden nach der Unabhängigkeit zu Staatsgrenzen, deren Durchlässigkeit vor allem durch die protektionis-tische Politik Usbekistans zunehmend erschwert wurde. Dem Basar im usbekischen Kokand beraubte diese Politk die Kundschaft aus dem benachbarten Tadschikistan. Der Handel zwischen den Märkten in Kirgisistan, Usbekistan und Tadschikistan kam praktisch zum Erliegen. Jeder Grenzübertritt der Menschen ist mit Schikanen durch die Zollbeamten verbunden. Im November 2004 erhoben sich in Kokand 10.000 Basarhändler, da neue Zollverordnungen aus Taschkent den Handel und damit den Broterwerb für viele Familien schlicht unwirtschaftlich zu machen drohten.
Im Anschluss an die Andischaner Unruhen stürmten am 14. Mai 2005 Einwohner der usbekisch-kirgisischen Grenzstadt Karazu die Regierungsgebäude und bauten die zuvor von der usbekischen Staatsmacht zerstörte Brücke über den Fluß eigenhändig wieder auf, um zu dem in Kirgisistan gelegenen Basar zu gelangen. Taschkent hatte 2004 die Brücken einreißen lassen und somit eine ganze Region, die vom Grenzhandel lebte, vom Markt in Kirgisistan abgeschnitten. Erst in diesem Jahr wurde die Visumspflicht zwischen Usbekistan und Kirgisistan aufgehoben, mit Tadschikistan besteht diese jedoch immer noch. Die von dem usbekischen Militär ausgelegten Minen an der tadschikisch-usbekischen Grenze bedrohen das Leben von umherstreifenden Hirten und Farmern. Der fragwürdige Kampf gegen den Freihandel der einfachen Leute und gegen die Idee des Basars bleibt ein Rätsel der Regentschaft des usbekischen Potentaten Islam Karimow.
Neben dem Protektionismus rechtfertigt die usbekische Regierunsmacht die rigide Grenzpolitik mit der Terrorismusgefahr. In der Tat hatten 1999 und 2000 Kämpfer der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU) von den Basen in Tadschikistan und Afghanistan aus Angriffe ins lanciert. Jedoch wurde die Hauptmacht der militärischen Terrororganisation im Antiterrorkrieg der USA 2001 in Afghanistan aufgerieben. Deren Res te halten sich im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet versteckt.
Als weitere Gefahr bekämpfen vor allem die usbekischen und tadschikischen Behörden die radikalislamische Bewegung der Hisb-ut-Tahrir im Ferganatal. Die in konspirativen Kleinstgruppen agierende Hisb-ut-Tahrir behauptet jedoch, das Ziel der Errichtung eines islamischen Kalifats nur mit friedlichen Mitteln erreichen zu wollen. Schon der Besitz eines Flugblattes dieser Bewegung reicht aus, dass ein junger Mann für Jahre in Usbekistan im Gefängnis verschwindet.
Eine regelrechte Hexenjagd der usbekischen Sicherheitsbehörden erzeugt in den Städten des Ferganatals eine Atmosphäre der Angst und ständigen Unsicherheit. Gleichwohl stösst die von der Hisb-ut-Tahrir verkündete Idee eines islamischen Staates ohne Grenzen und Zöllner bei den Bewohnern des Ferganatals auf offene Ohren, das diese tagtäglich unter den Grenzverläufen leiden.
Der usbekische Präsident Islam Karimow fürchtet, dass die Eliten des Ferganatals einen Machtanspruch formulieren, zumal wenn dieser in einem religiösen Gewand daherkommt. Bisher sind Politiker aus dem Tal im usbekischen Machtgefüge kaum repräsentiert. 1991 war Karimow gezwungen, vor einer aufgeputschten Menge in Namangan einen Kotau zu machen. Ein Video zeigt, wie der usbekische Präsident im Beisein des späteren Führers der IBU, Tohir Juldaschjew, schlotternd die Errichtung eines islamischen Staates versprechen musste. Eine Erniedrigung, die sich tief bei Karimow eingebrannt hat.
Als 2005 mehrere Tausend Einwohner von Andischan gegen die willkürliche Inhaftierung von 23 Geschäftsmännern demonstrierten, die sich zu einer Gilde zusammengeschlossen hatten und erfolgreich in der Provinzstadt wirtschafteten, wurde dies in Taschkent als direkte Bedrohung aufgefasst. Der friedliche Protest schlug in der Nacht zum 13. Mai um, Gefängnisse und Kasernen wurden gestürmt. Er mündete in einer mehrtausendköpfigen Kundgebung im Zentrum der Stadt. Ohne jegliche Vorwarnung schossen uniformierte Einheiten von Panzerwagen aus die Demonstration zusammen und richteten ein Blutbad an. Was die zuvor friedlichen Protestler befähigte, eine Kaserene und ein Gefängnis zu stürmen, bleibt fraglich. Hatten radikale Truppen den Protest missbraucht oder gar innerstaatliche Akteure eine Eskalation provoziert?
Ohne den Willkürakt der usbekischen Behörden gegen die Geschäftsmänner wäre es jedoch nie zu dem Andischaner Aufstand und dessen blutigen Folgen gekommen. Der Staatsanwalt gestand selber ein, dass die Männer verhaftet und um ihr Eigentum gebracht wurden, ohne zuvor eine Stafttat begangen zu haben.
Marcus Bensmann berichtet für die
"Neue Zürcher Zeitung" aus Zentralasien