direkte DEMOKRATIE
Usbekische Abgeordnete schlüpften in Taschkent in ungewohnte Rollen
Der Abgeordnete der SPD-Fraktion diskutiert heftig mit seinen Kollegen, ob er trotz der Fraktionsdisziplin bei der Schlussabstimmung im Plenum gegen den Antrag seiner eigenen Fraktion stimmen und so seine im Grundgesetz verbriefte Unabhängigkeit wahren kann. Die Szene spielt sich nicht im Reichstagsgebäude in Berlin ab, sondern in Taschkent, der Hauptstadt Usbekistans, und der Abgeordnete ist auch kein Mitglied des Deutschen Bundestages. Es ist ein usbekischer Abgeordneter, der am Seminar "PolitikParcours" teilnimmt, das auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Taschkent ausgerichtet wurde.
Demokratieförderung ist ein wesentliches Anliegen deutscher und europäischer Politik in Zentralasien. Die deutschen politischen Stiftungen, wie zum Beispiel die Friedrich-Ebert-Stiftung, wollen den demokratischen Grundgedanken durch verschiedenste Projekte und Initiativen fördern. Nicht immer ist das einfach. Von den teils autokratischen Regimen in Zentralasien werden solche Bemühungen äußerst kritisch beobachtet. So war es für alle Beteiligten nicht ohne Risiko, den "PolitikParcours" nach Usbekistan zu bringen.
Das Seminar transportiert den Deutschen Bundestag und seine Institutionen in Form einer interaktiven Simulation an jeden gewünschten Ort. Die Teilnehmer schlüpfen in die Rolle eines Bundestagsabgeordneten und erleben quasi am eigenen Leib, wie Demokratie in Deutschland funktioniert.
Eine usbekische Abgeordnete formulierte es so: "Ich habe mich tatsächlich so gefühlt, als wäre ich eine Abgeordnete des Deutschen Bundestages und habe für zwei Tage ihre Arbeit getan." Indem die Teilnehmer in ihrer Rolle als deutsche Abgeordnete agieren, fühlen sie sich freier, offene Dispute zu führen und kritische Fragen zu stellen. Was umso bemerkenswerter ist, als in Taschkent jedes Wort von "Beobachtern" protokolliert wurde.
Ob und was die Teilnehmer von den Seminarinhalten als auf ihre Situation übertragbar oder wünschenswert ansehen, bleibt ihnen überlassen. Bei dieser Form der direkten Demokratieförderung geht es nicht da-rum den Eindruck zu vermitteln, die deutsche Form der Demokratie sei die einzig richtige. Vielmehr geht es darum, am Beispiel Deutschlands die Funktionsweise einer Demokratie aufzuzeigen.
Nach Almaty in Kasachstan ist die Veranstaltung in Taschkent das zweite Seminar dieser Art in Zentralasien gewesen. Trotz der anfänglichen Skepsis vieler Teilnehmer gegenüber der ungewohnten Form einer aktiven Beteiligung in Rollenspielen hat sich gerade dieser methodische Ansatz als erfolgreich erwiesen. Im Abschluss-Feedback sagte ein Teilnehmer in Almaty: "Wir haben erfahren, wie es sein könnte und gesehen, wie es bei uns ist."
Wenn die politischen Akteure nach einer solchen Veranstaltung zu dem Schluss kommen, in ihrem System könnten die demokratischen Spielregeln verbessert werden, ist die Demokratieförderung einen wichtigen Schritt weitergekommen.