WASSER
Kirgisistan und Tadschikistan haben genug davon. Die anderen drei Länder brauchen es dringend. Jetzt muss das gegenseitige Misstrauen überwunden werden.
Wasser kümmert sich nicht um Grenzen. Auch in Zentralasien fließen alle großen Flüsse von der Quelle bis zur Mündung oder dem Versanden durch mindestens zwei Staaten. Da die Wirtschaft der Länder zu einem Großteil von der Landwirtschaft abhängig ist und diese wiederum nur mit Bewässerung möglich ist, stellt Wasser eine lebensnotwendige Ressource dar. Wasser ist in den großen Wüsten und Steppen der Länder Zentralasiens nicht nur knapp; es ist auch extrem ungleich verteilt.
Der größte Teil des Wassers kommt aus den Gebirgen Zentralasiens, und damit aus den drei Staaten Tadschikistan, Kirgisistan und Afghanistan. Auf sie entfallen rund 87 Prozent der jährlichen Abflussbildung. Von diesen Oberanlieger-Staaten werden aber nur 17 Prozent des Wassers für wirtschaftliche Zwecke genutzt, von den Unteranlieger-Staaten Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan dafür 83 Prozent. Allein Usbekistan braucht fast 59 Prozent vor allem für den Bewässerungsfeldbau, etwa für die durstige Baumwolle. Die drei Abnehmerstaaten Kasachstan, vor allem Usbekistan und Turkmenistan hängen im wahrsten Sinne des Wortes "am Tropf" der Zulieferstaaten Kirgisistan und Tadschikistan.
Seit der politischen Unabhängigkeit der mittelasiatischen Republiken im Jahre 1991 ist es zwischen den Anrainerstaaten vermehrt zu Konflikten um das Wasser gekommen, da eine politische Macht, die, wie früher die Moskauer Zentralbehörden, die Verteilung autoritär regelt, heute fehlt. Noch haben sich die souveränen Staaten nicht auf ein neues, abgestimmtes Ressourcenmanagement einigen können.
Kirgisistan und Tadschikistan versuchen vermehrt, das Wasser der großen Flüsse für ihre eigenen Bedürfnisse ohne Rücksicht auf die Interessen Usbekistans oder Turkmenistans zu nutzen. So erfolgt der Wasserabfluss aus Kirgisistan nach Usbekistan und Kasachstan - zukünftig auch aus Tadschikistan - nicht mehr wie in der Sowjetzeit vornehmlich im Sommer nach den Bedürfnissen der Bewässerungswirtschaft, sondern im Winter nach den Erfordernissen der Energieversorgung. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zerbrachen die wirtschaftlichen Verbindungen. Die subventionierten Lieferungen der Union einschließlich der Lieferung von Brennstoff und Elektroenergie nach Kirgisistan aus den benachbarten Republiken, hörten auf. Kirgisistan war plötzlich gezwungen, Kohle für seine Wärmekraftwerke zu Weltmarktpreisen zu kaufen, um die Energieversorgung sicherzustellen. Fehlendes Geld veranlasste Kirgisistan, die winterliche Energieproduktion der Wasserkraftwerke zu erhöhen.
Der veränderte Abfluss aus dem Toktogul-Stausee durch Kirgisistan rief in Usbekistan und Kasachstan Proteste hervor: Dadurch, dass im Sommer drastisch weniger Wasser floss, traten in den Oasen am Mittellauf des Syr-Darja Probleme bei der Wasserversorgung auf. Das viele Wasser im Winter aber führte zu Überschwemmungen am Unterlauf des Syr-Darja in Kasachstan. Zudem musste ein erheblicher Teil des winterlichen Wassers in die Arnasaj-Senke in Usbekistan abgeleitet werden, da der vorgelagerte Tschardarja-Stausee die Wassermassen nicht mehr aufnehmen konnte. Viel Wasser ging so nicht nur der Landwirtschaft, sondern auch dem versiegenden Aralsee verloren. In Kirgisistan hat sich mittlerweile die Meinung durchgesetzt, dass Wasser als einzige bedeutende natürliche Ressource des Landes wie eine Ware zu behandeln sei und die Unteranlieger für das ihnen zufließende Wasser bezahlen sollen. Kirgisistan beruft sich dabei auf die "Dublin Principles" von 1992, die den ökonomischen Wert des Wassers festschreiben.
Die scharfe Verhandlungsposition Kirgisis-tans liegt auch daran, dass es als eines der ärmsten Länder der Region alleine für den kostspieligen Unterhalt und Betrieb der wasserwirtschaftlichen Anlagen aufkommen muss, von denen größtenteils Usbekistan und Kasachstan profitieren. Zwar wurde Anfang 2004 eine Vereinbarung getroffen, die eine Verringerung des Wasserabflusses erreichen sollte. Kasachstan verpflichtete sich, Kohle und Brennstoff nach Kirgisistan zu liefern, das im Gegenzug den Wasserablass aus dem Toktogul verringern sollte. Usbekistan verpflichtete sich, eine größere Wassermenge aus dem Syr-Darja in die Arnasaj-Senke abzuleiten. Weder Kirgisistan noch Usbekistan aber haben ihre Zusagen eingehalten. Die Staaten beschuldigten sich gegenseitig, für die Krise verantwortlich zu sein. Dabei wurde schon kurz nach der Unabhängigkeit, im Februar 1992, zwischen den mittelasiatischen Republiken ein erstes Abkommen zur Nutzung der grenzüberschreitenden Wasserressourcen verabschiedet. In ihm wurde festgelegt, bis zu einer neuen Einigung am alten Verteilungssystem festzuhalten. Eine neue Einigung wurde allerdings bis heute nicht erreicht. Zur Umsetzung und Überwachung des Abkommens wurde eine Kommission gegründet. Ihre Aufgabe ist es, den Schutz der Gewässer zu überwachen und das Wasser zwischen den Staaten effizient und gerecht zu verteilen.
Die Beschlüsse der Kommission werden allerdings wegen mangelnder Kompetenzen, unzureichender rechtlicher Basis, mangelnden Informationsaustauschs und der schlechten technischen Ausstattung der ausführenden Behörden unzureichend umgesetzt. Die Kommission hat keine Kompetenz für die Kontrolle der Wasserqualität, ein Thema, das lange Zeit gegenüber der Frage der Wasserverteilung vernachlässigt wurde. Die Verschlechterung der Wasserqualität betrifft vor allem die Unteranlieger, wo das Wasser mit Pestiziden und Herbiziden und verbotenen Chemikalien wie DDT verunreinigt ist.
Dabei kann Wasser nicht nur Ursache für Konflikte sein, sondern auch Anlass zur Kooperation. Im Widerspruch zu weit verbreiteten Annahmen haben Studien in den vergangenen Jahren aufgezeigt, dass geteilte Wasserressourcen im Allgemeinen eher zur Zusammenarbeit als zu Konflikten führen. Es müssen aber müssen entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden. Eine effektive Kooperation setzt den politischen Willen der Eliten und die Überwindung von gegenseitigem Misstrauen, das die momentanen Beziehungen der zentralasiatischen Staaten untereinander prägt, voraus. Nur so kann Wasser über die Grenzen hinweg Vertrauen schaffen.
Professor Dr. Ernst Giese ist Wirtschaftsgeograf an der Justus-Liebig-Universität
Gießen mit dem Forschungsschwerpunkt Wasserressourcen in Zentralasien.