Turkmenistan
Der Machtwechsel nach dem Tod des Despoten Nijasow war reibungslos. Die Probleme sind geblieben.
Was passiert, wenn ein Despot stirbt? Es bricht Verwirrung aus, vielleicht kommt es zu Unruhen, zu Demonstrationen, ein Machtkampf unter den möglichen Nachfolgern beginnt. In Turkmenistan, dem gasreichen Wüstenstaat in Zentralasien, ist nichts von alledem geschehen. Nach dem Tod des Alleinherrschers Sapumurad Nijasow im Dezember haben die neuen Machthaber in Aschgabad reibungslos die Nachfolge hinbekommen. Nachdem das Ableben des Turkmenbaschi, des "Vaters aller Turkmenen", bekanntgegeben worden war, gingen sie binnen Stunden zielgerichtet vor - und verübten als erstes Verfassungsbruch. Den Parlamentsvorsitzenden, der Interimspräsident hätte werden müssen, verhafteten sie. Die Verfassung wurde schnurstracks geändert, das Mindestalter für den Präsidenten von 50 auf 40 Jahre gesenkt. Denn der Nachfolger war schon bestimmt - und erst 49 Jahre alt. Am 11. Februar wählten die Turkmenen den bisherigen Gesundheitsminister Gurbanguly Berdimuhammedow zum neuen Staatschef.
Angeblich 99 Prozent der 2,6 Millionen wahlberechtigten Turkmenen gingen zur Wahl. Und 89 Prozent gaben dem weithin unbekannten Kandidaten ihre Stimme, so lautet das offizielle Ergebnis.
Die Oppositionspolitiker, die Nijasow aus dem Land gejagt hatte, konnten an der Wahl nicht teilnehmen - man hatte flugs verfügt, dass Kandidaten die vergangenen 15 Jahre in Turkmenistan gelebt haben mussten. Dass es überhaupt eine Wahl gab, mag man als Fortschritt ansehen. Denn unter Nijasow wurde Demokratie nicht einmal gespielt. Er war Präsident auf Lebenszeit. Allerdings waren nun die anderen Anwärter reine Zählkandidaten, und ihre Auftritte und Wahlkampfreden sollen vom Geheimdienst bestimmt worden sein.
Der neue Präsident Berdimuhammedow, ein Zahnarzt, war einer der wenigen, die Nijasow über viele Jahre in der Regierung belassen hatte. Um Machtkonzentrationen zu verhindern, hatte der Turkmenbaschi seine Minister regelmäßig gefeuert, mit Schimpf und Schande davongejagt, viele kamen ins Gefängnis. Berdimuhammedow soll auch der Leibarzt des Turkmenbaschi gewesen sein - neben den zahlreichen deutschen Ärzten, die den verstorbenen turkmenischen Herrscher über Jahre betreuten. Der Turkmenbaschi hatte eine Schwäche für die Deutschen. Seine Milliarden Dollar im Ausland sollen vor allem bei der Deutschen Bank liegen. Der starke Mann hinter dem neuen Präsidenten ist angeblich der Chef der Präsidentengarde: General Akmurad Redschepow, der in Moskau als KGB-Offizier ausgebildet wurde und der den nationalen Sicherheitsrat leiten soll.
Turkmenistan war in den vergangenen Jahren in den westlichen Medien vor allem durch den bizarren Personenkult Nijasows als stalinistisches Disneyland beschrieben worden. Die Büste des "großen Führers" stand in Gold und Bronze an jeder Straßenecke von Aschgabad, riesige Porträts zeigten ihn an allen öffentlichen Gebäuden und den vielen Protzbauten der Hauptstadt, sein Gesicht war allgegenwärtig - im Fernsehen, in den Zeitungen, auf den Geldscheinen, auf dem Etikett der Wodkaflasche. Auf dem Turm im Zentrum der Hauptstadt dreht sich eine zwölf Meter hohe Statue des Führers mit der Sonne. Nijasow wollte ein absolutistischer Sonnengott sein. Der Arbeitersohn, der im Waisenhaus aufgewachsen war, hatte es in der früheren Sowjetrepublik bis zum Chef der kommunistischen Partei geschafft und nach dem Ende der Sowjetunion zum Präsidenten.
Nijasow regierte mit wachsender Amtszeit zunehmend skurriler. Den alten Kalender ließ er ersetzen durch neue Monatsnamen, die etwa nach ihm oder seiner Mutter benannt wurden; Zirkus, Oper und Ballett schaffte er ab; Krankheiten wie Aids oder Cholera ließ er verbieten. In den Schulen, Behörden und Betrieben mussten alle Untertanen das heilige Buch "Ruchnama" lesen, welches das turkmenische Volk und seinen Herrscher preist. Ein ums andere mal dachte Nijasow sich verrückte Großprojekte aus: einen künstlichen Riesenstausee, der die Wüste Karakum in ein Paradies verwandeln sollte, oder aber einen Eispalast in sengender Sonne. Westliche Diplomaten durften unter dieser Sonne oft stundenlang warten, bis der Herrscher zu einem seiner Spatenstiche erschien.
Die Beschreibung all diese Verrücktheiten des verstorbenen Despoten haben in den westlichen Medien den Blick verstellt auf die Lage der Turkmenen. Wer Kritik übte in Turkmenistan, wurde verhaftet und unter fingierten Vorwürfen zu hohen Haftstrafen verurteilt. Manche Regimekritiker starben unter ungeklärten Umständen in der Haft. Dass Angehörige Verhafteter drangsaliert wurden, war gang und gäbe. Manche Religionsgemeinschaften wie etwa die Baptisten wurden verfolgt, ihre Kirche in Aschgabad abgerissen. Pressefreiheit gab es nicht. Einheimische Reporter, die etwa für Radio Liberty arbeiteten, wurden unter Druck gesetzt. Ein kritischer Journalist, der sich mit dem deutschen Botschafter vor Jahren zum Essen traf, wurde vom turkmenischen Geheimdienst gleich vom Restaurant-Tisch weg festgenommen.
Ob das neue Regime die Menschenrechte mehr achten wird als der "fanatisch intolerante" Nijasow (so ein OSZE-Bericht), ist noch nicht abzusehen. Berdimuhammedow hat angekündigt, die Kontrolle der Medien solle gelockert werden und die Bürger sollten Zugang zum Internet bekommen. Die Ankündigung zielte gerade auch auf die Europäische Union und die OSZE - hier will die neue Führung abgebrochene Brücken wieder herstellen. So hat Turkmenistan, das unter Nijasow außenpolitisch fast vollständig isoliert war, im März am Treffen mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier als Vorsitzendem der EU-Präsidentschaft im kasachischen Astana teilgenommen - durch seinen Vizeaußenminister. Von einer Freilassung politischer Gefangener ist bisher nichts bekannt. Unklar ist auch das Schicksal des ehemaligen Außenministers Boris Schichmuradow, der 2002 Nijasow absetzen wollte und seitdem wegen eines angeblichen Attentats auf den Despoten im Gefängnis sitzt.
Den Turkmenen macht vor allem die wirtschaftliche und soziale Misere des Landes zu schaffen. Trotz der Einnahmen aus den Gasverkäufen hatte Nijasow das Land he-runtergewirtschaftet. Die meisten Turkmenen sind seit Jahren damit beschäftigt, irgendwie über die Runden zu kommen. Die Renten sind gekürzt worden, mitunter wurden sie gar nicht mehr gezahlt. Das Hochschulwesen ist zusammengebrochen, das Bildungswesen steht sehr schlecht dar. Wer gute Bildung für seine Kinder will, muss viel zahlen. Der neue Präsident hat zugesagt, dass die Zahl der Schuljahre wieder von neun auf zehn erhöht wird.
Das Gesundheitswesen ist schon lange nicht mehr intakt. Zwar gibt es noch Krankenhäuser auf dem Land, doch fehlt es am Nötigsten. Viele turkmenische Ärzte, Wissenschaftler und Fachkräfte haben in Nijasows Amtszeit das Land verlassen; die Russen sind nach Russland gegangen, die Juden nach Israel und Deutschland. Selbst die Grundversorgung mit Brot und Wasser droht immer wieder zusammenzubrechen; die Landwirtschaft liegt darnieder, Folge einer verfehlten Agrarpolitik. Berdimuhammedow hat nun versprochen, dass Gas, Wasser und Salz weiter kostenfrei für die Bevölkerung bleiben sollen.
Der große Reichtum des Landes ist das Erdgas. Turkmenistan sitzt auf einer riesigen Gasblase, verfügt über mindestens 3.000 Milliarden Kubikmeter Gas, möglicherweise bedeutend mehr. Die tatsächlichen Vorkommen hat Nijasow nie benannt. Er hatte umfangreiche Geschäfte mit Russland, der Ukraine und auch mit China gemacht - wobei es in Moskau hieß, Nijasow hätte jeden Kubikmeter Gas schon dreimal verkauft. Der Hauptabnehmer ist der russische Konzern Gasprom. Von nicht einmal 70 Milliarden Kubikmeter, die Turkmenistan 2006 gefördert hat, wurden 50 Milliarden an Russland verkauft, das damit die Ukraine und auch teilweise den Westen bedient. Acht Milliarden Kubikmeter werden gegenwärtig an den Iran verkauft. China will in Turkmenistan groß einsteigen, ein Abkommen mit Peking sieht den Bau einer Gaspipeline bis 2009 vor, die 30 Milliarden Kubikmeter jedes Jahr nach China liefern soll.
Europa wiederum möchte Turkmenistan für das Projekt seiner Nabucco-Gasleitung gewinnen, die unter Umgehung Russlands Gas aus den Anrainerländern des Kaspischen Meeres liefern soll. Moskau hat der neuen Führung in Aschgabad aber klar gemacht, dass Russland weiter als privilegierter Partner betrachtet sein will und auf der Einhaltung der langfristigen Lieferverträge besteht. Berdimuhammedow hat Zustimmung signalisiert. Für die Europäer ist aller Voraussicht nach im turkmenischen Gasgeschäft nichts zu holen - zumal Russland und China angenehmere Partner sind, weil sie keine Menschenrechtsfragen aufwerfen. Moskau profiliert sich zudem als Gegner von Regimewechseln im GUS-Raum. Europa müsste also - mit ungewissem Ausgang - viel Geld in die Hand nehmen, damit die Fördermenge in Turkmenistan deutlich erhöht würde. Es dürfte sich dabei auch nicht scheuen, mit Moskau in Konflikt zu geraten. Danach sieht es aber nicht aus.
Schnell wird sich die Lage in Turkmenistan nicht ändern. Doch um wirtschaftlich voranzukommen, wird sich das Land teilweise öffnen und modernisieren müssen. Die Entstalinisierung in der Sowjetunion begann auch nicht unmittelbar nach Stalins Tod. Einen zweiten Turkmenbaschi wird es nicht geben.
Markus Wehner ist Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" in Berlin