ZENTRALASIEN
Politische Stabilität in den fünf Republiken darf nicht zu Lasten der Menschenrechte gehen
Einst diente Zentralasien als internationale Drehscheibe. Waren aus allen Himmelsrichtungen wurden hier verschoben, Grenzen überwunden und die Menschheit globalisiert. Aus gutem Grund trug die Region das Präfix "zentral" im Namen. Tausend Jahre später teilt sich die Region in fünf souveräne Staaten auf. Sie ist mehr als zehn Mal so groß wie Deutschland und reicht vom Kaspischen Meer bis zum Pamirgebirge, grenzt im Süden an Afghanistan und im Norden an Sibirien. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 erlangten Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan erstmals ihre Unabhängigkeit. Die von den Sowjets in den 20er-Jahren gezogenen Grenzen blieben fast unberührt.
Alle fünf Republiken der Region taumelten benommen in die Unabhängigkeit. Sie kam mehr als unverhofftes Geschenk denn als Resultat politischer Aufstände. Denn aus Moskau waren Gelder in die zentralasiatische Peripherie geflossen, die eine fast europäische Infrastruktur ermöglicht hatten. Im Gegenzug wurde die rohstoffreiche Region ausgebeutet, die Republiken lieferten vor allem Baumwolle, Gold und Uran.
15 Jahre danach schreitet die "autoritäre Modernisierung" voran, allerdings mit unterschiedlichem Tempo. Während Turkmenistan unter der Regierung des Präsidenten Saparmurad Nijasow bis zu dessen Tod im Dezember 2006 diktatorisch regiert wurde, kommt die Regierung in Kirgisistan am Volkswillen nicht mehr vorbei. Ein nachhaltiger Erfolg wird freilich in allen Ländern noch immer durch politische Instabilitäten und wirtschaftliche Brüche gefährdet. So bleibt der Ausgang des Wandels unklar. Denn die Staaten haben nur schwache politische Institutionen, die anfällig sind für Krisen.
Aufgrund der Energieressourcen und der geopolitischen Lage zeigen China, Russland, die EU und die USA großes Interesse an der Region. Diese Interessen auszubalancieren, fällt schwer. Während sich China und Russland allein auf politische Stabilität und Rohstoffe konzentrieren, wollen die USA und Europa erreichen, dass die Staaten mittels Rechtsstaatlichkeit und sozialer Marktwirtschaft für Wohlstand sorgen und politische Machtwechsel ohne Chaos überstehen. So lautet die Schlüsselfrage: Welche Faktoren beeinflussen die Demokratisierung? Der schwache oder starke politische Wille einer Regierung? Die schlechte oder gute soziale Lage? Das Bildungsniveau? Das Engagement der Zivilgesellschaft? Welche Szenarien lassen sich von der Zukunft Zentralasiens zeichnen?
Ein optimistisches Szenario könnte so aussehen: In Zentralasien ist der politische Wille der Regierungen stark, Reformen zum Wohle der Bürger voranzutreiben. Stabilität, die auf demokratischen Werten beruht, ist die Prämisse für Wohlstand und Fortschritt. Ein Regierungswechsel wird somit nicht zum Vabanquespiel für die Zukunft der Länder. Die soziale Lage hat sich verbessert. Durch ein größeres Vertrauen in den Staat zahlt der Bürger Steuern. Gefüllte Sozialkassen entlasten die Einkommen schwacher Familien, es steht mehr Geld für Konsum zur Verfügung. Die Wirtschaft beginnt zu wachsen, ausländische Investoren gewinnen Vertrauen. Der Staat investiert in die Bildung. Fachhochschulen und Universitäten bilden die Spezialisten aus, die das Land tatsächlich benötigt. Gut ausgebildete Fachleute wandern nicht aus, weil es nicht mehr an gut bezahlten Arbeitsplätzen mangelt.
Die Zivilgesellschaft erarbeitet Initiativen, die entweder gemeinsam mit dem Staat oder alleinverantwortlich umgesetzt werden können. Ziel ist es, einen Staat zu schaffen, der den Anforderungen einer globalisierten Welt gewachsen ist. Der Staat hat begriffen, dass ihm Nichtregierungsorganisationen und die Presse nicht feindlich gegenüberstehen.
Die Menschen entdecken ihre lange Tradition der Toleranz. Auch wenn unter den aktuellen Umständen ein politischer Frühling an der gesamten Seidenstraße wenig realis-tisch anmutet, investieren doch einige Länder in die Bildung. Die Zivilgesellschaft ist erwünscht, wenn auch oftmals unter staatlicher Kontrolle, und die Mentalität weist in einigen Ländern in Richtung Öffnung, nicht Abschottung. Der Wille der Regierungen ist ein starker Faktor, von dem viel abhängt. Er wird beeinflusst von gut ausgebildeten Bürgern, von einer guten sozialen Lage und von einer zur Offenheit bereiten Mentalität. Werden sie gestärkt, nimmt der politische Reformwille zu. Wenn nicht, ist folgendes Szenario wahrscheinlich: Der politische Wille zu Reformen ist schwach. Die Regierung nimmt die Zivilgesellschaft als einen zumeist feindlichen Akteur wahr. Rechtsstaatlichkeit und freie Medien gefährden ihre Macht. Die soziale Lage ist angespannt. Aufgrund der rigiden Innenpolitik und der engen Verflechtung von Politik und Wirtschaft halten sich ausländische Investoren fern. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Das Bildungssystem ist fast zusammengebrochen. Um ihre Macht zu erhalten, scheuen die Regierenden nicht davor zurück, es auf ein Minimum zu reduzieren, um künftige Kritik schon so zu unterbinden. Strenge Regeln zur Registrierung haben nichtstaatlichen Initiativen die Stimme genommen. Auch ausländische Kooperation ist kaum noch erwünscht. Es droht die Isolation.
Vor diesem zum großen Teil sehr realistischen Szenario ist den Regierungen zu erklären, dass mit einer Isolation ein politisches System zwar überleben kann, aber auf Dauer kein Wohlstand und keine politische Stabilität möglich sind. Umso mehr bedarf es einer außenpolitischen Partnerschaft, die nicht dazu dient, den Staaten allein ihre Mängel vorzuhalten, sondern sie an künftigen Schritten zum Wohl des Landes zu beteiligen. Keine einfache Aufgabe. Sowohl die USA als auch Russland zerren an der Region, doch mit gegensätzlichen Interessen. Während Russland die Republiken als Energiequellen nutzen möchte, um die eigenen südlichen Regionen direkt und die europäischen Nachbarn indirekt mit Öl und Gas zu versorgen, planen die USA die Annährung von Zentralasien und Südasien. Ziel ist es, Zentralasien nach Süden hin zu öffnen, dorthin Energie zu liefern und Afghanistan zu stabilisieren. Zentralasien orientiert sich derzeit nach Norden. Trotz aller Kritik an der ehemaligen Kolonialmacht Russland scheinen die USA schlechte Karten zu haben. Kasachstan hat nun die Initiative ergriffen und will 2009 den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) übernehmen. Das Land hat auch das EU-Nachbarschaftsprogramm im Visier. Es lockt damit, ein verlässlicher, alternativer Energieversorger für Europa zu werden. Kritische Stimmen verweisen auf den großen Nachholbedarf des Landes bei Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit. Doch eine kasachische Präsidentschaft der OSZE könnte bedeuten, dass beide Seiten einen Gewinn aus der neuen politischen Lage ziehen. Und es besteht Hoffnung, dass diese auch in die Region ausstrahlt. Zentralasiatische Reformer benötigen den Westen nicht als Verteidiger gegen autoritäre Regime (das ist ihre eigene Angelegenheit) oder als Sponsoren (zu viel ausländische Unterstützung ist schädlich für das Image), sondern als Vorbild. Die Hauptstädte an der Seidenstraße müssen vermitteln, dass sie tatsächlich Reformen vorantreiben wollen. Dem Wunsch der Regierungen, Stabilität auch auf Kosten der Menschenrechte durchzusetzen, sollte Europa ein deutliches Nein entgegensetzen. Europa hat in seiner Geschichte schmerzvoll erfahren, dass von oben verordnete Stabilitäten schnell im Chaos enden. Das ist in einigen Ländern Zentralasiens bisher leider nicht auszuschließen.
Der Autor ist Regionalkoordinator der
Friedrich-Ebert-Stiftung in Taschkent