LEISTUNGSSPORT
Im Zusammenhang mit der Doping-Debatte ist auch die Sportförderung des Bundes in den Fokus gerückt
Jürgen Mallow versieht seinen Dienst als leitender Bundestrainer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) so, wie sein Temperament es zulässt: nüchtern, ruhig, zielstrebig. Wenn er redet, redet er mit Be- dacht. Krawall können andere machen, er sieht sich der Wirklichkeit verpflichtet, und weil das so ist, werden große Worte besonders groß, wenn er sie benutzt.
Das Fördersystem des deutschen Sports bereitet ihm Kopfzerbrechen, seit er nach den Olympischen Spielen 2004 seinen Posten bezog. Die Wettkämpfe von Athen bedeuteten für die deutsche Leichtathletik den Tiefpunkt einer stetigen Talfahrt. Zwei Medaillen nur gewannen die DLV-Athleten, zwei silberne durch Kugelstoßerin Nadine Kleinert und Speerwerferin Steffi Nerius. Und nach den Regeln der deutschen Sporthochfinanz bedeutete das: Abstieg in eine niedrigere Förderstufe.
Auf einen Schlag verlor der DLV 630.000 Euro Fördergeld für die Zeit bis zu den nächsten Spielen 2008 in Peking. Trainer mussten gehen, Lehrgangsprogramme wurden eingedampft, alle erdenklichen Sparpotenziale ausgeschöpft - dabei ging es nach Athen doch darum, einen Neuanfang zu machen. Mallow und die anderen im DLV haben den Finanzausfall durch einige Achtungserfolge bisher ganz gut kaschieren können, aber behaglich fühlen sie sich nicht. Sie finden: Die Sportförderung gehört reformiert. In den Gremien des Deutschen Olympischen Sportbundes hört Mallow auch schon erfreuliche Signale, er ist guten Mutes, dass sich bis kommendes Jahr etwas nachhaltig ändert. Aber wenn nicht? Da verwendet der zurückhaltende Mallow das große Wort: "Wenn die Abwärtsspirale beibehalten bleibt", sagt er, "wäre das eine Katas-trophe für uns."
Das klingt, als ginge es in der Diskussion über eine neue Sportförderung nur ums Geld. Aber das stimmt nicht ganz, es geht um mehr. Es geht auch darum, mit welchem Anspruch die deutschen Sportschaffenden, ihre Gönner und Förderer in der Zukunft Hochleistungssport betreiben wollen. Sollen nur Siege zählen? Oder sauber erzielte Höchstleistungen im Bereich des Machbaren? Wird Erfolg weiterhin allein nach nackten Daten bemessen, die nichts erzählen von den besonderen Rahmenbedingungen einer Sportart? Oder wird auch jener Verband belohnt, der tragfähige Zukunftskonzepte mit Langzeiteffekt auflegt und die Jugend auf verträgliche Weise an Höchstleistungen heranführt? Es geht durchaus auch darum, ein Bekenntnis abzulegen zu einem Spitzensport, der mehr sein soll als eine reine Medaillenmaschine im Sinne des Vaterlands und sich als intelligenter erweist als jene pharmazeutisch durchwirkten schwarz-rot-goldenen Muskelspiele, welche in beiden Deutschlands und auch nach der Wende noch vorherrschten.
Das Fördersystem des deutschen Sports ist nicht leicht zu beschreiben. Billig ist es nicht, so viel ist sicher. 121,7 Millionen Euro hatte das Bundesinnenministerium in seinem Haushaltsentwurf 2007 für das populäre Ressort veranschlagt, fast 71 Millionen allein für den Posten "Zentrale Maßnahmen auf dem Gebiet des Sports", die der im Mai 2006 aus Nationalem Olympischen Komitee und Deutschem Sportbund neu gegründete Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) zum größten Teil an seine Mitgliedsverbände verteilt und damit zur Spitzensportförderung freigibt. Dazu kommen noch Zuwendungen des Verteidigungsministeriums für seine Sportkompanie, auch Länder und Kommunen fördern den Spitzensport. Es gibt Geld für Vereine, Verbände, Sportschulen, sportorientierte Ausbildungen bei der Bundespolizei und für Forschungseinrichtungen wie das Institut für angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig oder das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) in Berlin, für Sportschulen -nicht zu vergessen: für die Dopingbekämpfung. Der Posten betrug im Haushaltsentwurf 2007 1,17 Millionen Euro. Man kann also nicht sagen, dass der Staat dem Sport im Land nichts bieten würde, zumal es gerade für Spitzenathleten zusätzliche Angebote gibt, wie jene monatlichen Zahlungen, welche die Stiftung Deutsche Sporthilfe entrichtet. Und mancher Verband verdient sich mit Sponsoren und Geld aus Fernseherlösen ein nettes Zubrot.
Aber über die Höhe der staatlichen Zuwendungen beschwert sich eigentlich auch niemand. Das Bundesinnenministerium ist für die meisten Spitzensportverbände der wichtigste Sponsor, das wissen die Funktionäre sehr genau und richten regelmäßig herzliche Danksagungen nach ganz oben.
Die Baustellen liegen woanders: Die Art, wie das Fördergeld verteilt wird, finden gerade die großen Sommersportverbände nicht mehr zeitgemäß. "Die vorhandenen finanziellen, personellen und materiellen Ressourcen sind leistungsorientiert zur Förderung der Besten - aber auch mit einer Basisförderung als faire Chance für Athleten aus momentan weniger erfolgreichen Sportarten und Disziplinen - zu verwenden." So steht es im "Nationalen Spitzensportkonzept" des DOSB, das 1997 unter dem damaligen Vizepräsidenten Leistungssport im Deutschen Sportbund (DSB), Ulrich Feldhoff, entstand.
Wer die Besten waren und wer damit für den Zeitraum bis zu den nächsten Olympischen Spielen in die höchste Förderstufe kam, bemaß sich dabei immer nach den Platzierungen der vorangegangenen Weltmeisterschaften und Olympischen Spiele; wobei Olympia mehr zählte. So ist es auch noch im sogenannten Förderkonzept 2012 vorgesehen, das der DSB-Bundestag im Dezember 2004 verabschiedete. Die Lektüre dieses 31 Seiten starken Papiers ist nicht gerade eingängig. Es gibt darin einige zukunftsorientierte Korrekturen, aber das Prinzip bleibt das alte. Es gibt Punkteschlüssel, Vorgaben, die sich aus Vorleistungen errechnen, und Einiges, das selbst Experten verwirrt.
Die Kritiker wünschen sich mehr Transparenz. Sie wollen nicht allein die Vergangenheit als Maßstab für die Zukunft gewertet sehen, vor allem wollen sie, dass Förderung nicht in erster Linie ein Privileg der Starken ist. "Wir haben letztendlich formal ein Belohnungssystem", sagt der Generalsekretär des Deutschen Schwimm-Verbandes Jürgen Fornoff, "ein Fördersystem sieht etwas anders aus. Das definiert auch Schwächen".
Schließlich wollen die Schwachen ja stärker werden. Außerdem wollen die Kritiker, dass die besonderen Rahmenbedingungen der verschiedenen Sportarten in den Förderkriterien besser zur Geltung kommen. Denn die sind teilweise sehr unterschiedlich und auch unterschiedlich teuer. "Für eine Leichtathletik-Mannschaft mit 70, 75 Mitgliedern sind die Entsendekosten eben erheblich größer als für eine Tischtennismannschaft", sagt Jürgen Mallow.
Aber es geht auch darum, künftig präziser zu fassen, was ein Erfolg ist und was ein Misserfolg. Die Welt des Wintersports ist nun mal kleiner als die des Sommersports, da sind Titel leichter zu kriegen. Im Bobsport haben etwa fünf Nationen Medaillenchancen, in der olympischen Kernsportart Schwimmen kommen die deutschen Gegner fast aus der ganzen Welt. Deutsche Turnerinnen müssen bei Weltmeisterschaften mit Mädchen aus China oder Russland mithalten, die schon als Kleinkinder in Sportinternaten so hart trainieren mussten, wie es nicht ins westliche Weltbild passt - da wäre ein achter Platz bei Olympia im Teamwettbewerb nicht viel weniger bemerkenswert als Silber im exklusiven deutschen Boomsport Biathlon. Und wo ein deutscher Kanute mit teuren Hightechbooten der schlechter ausgerüsteten, weil weniger betuchten Konkurrenz wegpaddeln kann, müssen sich deutsche Leichtathleten mit Läufern aus ostafrikanischen Hochländern messen, deren genetischen und geosozialen Voraussetzungen sie mit natürlichen Mitteln nichts entgegenzusetzen haben.
Im Wintersport sind die deutschen eine Weltmacht. Der Deutsche Skiverband hat in den populären Weltcupserien seiner Disziplinen längst so gute Vermarktungsmöglichkeiten gefunden, dass er sich von Fördermitteln des Bundes fast unabhängig gemacht hat und sich von einem Verband in eine Art Leistungssport-Firma entwickelt hat mit einer starken hauptamtlichen Ebene.
Im Sommersport dagegen bleibt es dabei, dass viel davon abhängt, wie viel öffentliches Geld bei den Verbänden ankommt. Und die jüngsten Debatten scheinen zumindest zaghafte Fortschritte zu zeitigen. Die Olympiabilanz 2004 war bescheiden. Platz sechs im Medaillenspiegel, das tut dem deutschen Athletenstolz nicht gut, also ist die Sportnation ins Grübeln gekommen. Die bisherigen Modelle scheinen nicht mehr konkurrenzfähig zu sein, es besteht eine gewisse Notwendigkeit für neue, klügere Ansätze, die ein bisschen mehr zu bieten haben als ein bürokratisch verschlüsseltes Leistungsprinzip. Der DOSB hat ein "Neues Steuerungsmodell Leistungssport" aufgelegt. Es sieht künftig Zielvereinbarungen vor zwischen den Spitzenverbänden und der Dachorganisation, die zwar Medaillen zum Ziel haben, aber auch den Weg dorthin berücksichtigen. Jörg Ziegler, stellvertretender DOSB-Leistungssportdirektor: "Die Förderung soll weniger an früheren Ergebnissen und Erfolgen, dafür mehr an den Zielstellungen für zukünftige Erfolge und am Weg dorthin orientiert werden." Die Umsetzung der Vorhaben veranschlagt er für den Wintersport auf Ende 2007, für den Sommersport auf April 2008.
Das hört Leichtathletik-Cheftrainer Jürgen Mallow gern. Wenn alles so kommt, wie es sich anlässt, könnte das Arbeiten im DLV bald etwas angenehmer werden. Dann gäbe es mehr Geld, neue Motivation, und an die Zukunft zu denken, könnte sich wieder lohnen. Die ganz große Begeisterung hat ihn allerdings noch nicht erfasst. Erstens passt die ganz große Begeisterung nicht zu seinem Temperament. Zweitens gibt es im deutschen Sport immer noch genug zu reformieren und zu entbürokratisieren. Drittens stecken die guten Vorsätze des DOSB noch in der Projektphase. Und viele bezweifeln, dass es in der Leistungssportabteilung des Dachverbandes überhaupt genügend kompetente Sportförderer gibt, um diese umfangreiche, zukunftsweisende Aufgabe so zu meistern, dass nicht nur der DOSB selbst zufrieden ist.