Hauptschulen sind in den vergangenen Jahrzehnten unter Druck geraten. Statt die Schule für den Großteil der Schülerschaft zu sein, bindet sie je nach Bundesland nur noch zwischen 10 und 32 Prozent. In drei westdeutschen Bundesländern - Saarland, Hamburg und Schleswig-Holstein - wurde oder wird sie derzeit abgeschafft, in anderen wird laut oder leise darüber nachgedacht, diesen Schritt zu tun. In den ostdeutschen Bundesländern hat die Hauptschule erst gar nicht richtig Fuß gefasst. Ihr Bedeutungsverlust vollzieht sich seit mehreren Jahrzehnten, nach PISA und Rütli haben schlechte Nachrichten über die Hauptschule jedoch eine Sonderkonjunktur in Politik und Öffentlichkeit. Auch wenn einzelne Hauptschulen als Vorzeigeschulen herausgestellt werden, hat diese Gattung keine gute Presse. 1 Ist die Kritik an der Hauptschule gerechtfertigt? Wie dieser Beitrag anhand von Befunden der jüngeren empirischen Forschung zeigen soll, hält eine Pauschalkritik an der Hauptschule trotz offenkundiger Probleme einer nüchternen Prüfung nicht stand. Die Rolle der Hauptschule ist von Bundesland zu Bundesland verschieden, und auch innerhalb der Länder ist Hauptschule nicht gleich Hauptschule.
Deutschland gehört mit Staaten wie Österreich, den Niederlanden und Griechenland zu den Ländern mit einer frühen Leistungsdifferenzierung. Länder wie Finnland oder Neuseeland, in denen die Schülerinnen und Schüler 2 erst nach Abschluss der Sekundarstufe I auf unterschiedliche Schulformen wechseln, bilden die Gruppe der Staaten mit später Leistungsdifferenzierung. Wird nun die Leistungsentwicklung der Schüler dieser beiden Ländergruppen verglichen, so kann geprüft werden, ob eine frühe Leistungsdifferenzierung mit einer eher günstigen oder ungünstigen Leistungsentwicklung einhergeht. Genau dies haben Eric A. Hanushek und Ludger Wößmann 3 anhand der Daten mehrerer internationaler Schulleistungsstudien getan und für Mathematik und Lesen, nicht aber für die Naturwissenschaften, eine tendenziell günstigere Leistungsentwicklung in Ländern mit spät einsetzender Leistungsdifferenzierung festgestellt. Zudem deuten die Analysen von Hanushek und Wößmann darauf hin, dass es insbesondere die schwächeren Schüler sind, deren Leistungsentwicklung in differenzierten Schulsystemen suboptimal verläuft. Allerdings: Es gibt eine Reihe von Ländern mit früher Leistungsdifferenzierung, in denen bei einer hohen Durchschnittsleistung auch die Förderung der leistungsschwächeren Schüler gut zu gelingen scheint; die Niederlande sind hierfür ein Beispiel.
Auch ein Vergleich der Länder der Bundesrepublik Deutschland zeigt, dass mit unterschiedlichen Differenzierungsformen erfolgreich gearbeitet werden kann. In der PISA-Studie von 2003 wurden sowohl in Mathematik als auch im Lesen die besten Leistungen in den Ländern Bayern, Sachsen, Baden-Württemberg und Thüringen erzielt - in zwei dieser Bundesländer hat die Hauptschule eine vergleichsweise starke Stellung, in den anderen beiden sind Haupt- und Realschulgänge in den so genannten Mittelschulen bzw. Regelschulen verschmolzen. Berlin und Brandenburg, in denen die Leistungsdifferenzierung erst nach der sechsten Jahrgangsstufe einsetzt, liegen im innerdeutschen Leistungsvergleich auf hinteren Rängen. Das Gesamtbild zeigt also, dass die jeweils gewählte Differenzierungsform per se nicht den entscheidenden Parameter in Hinblick auf den mittleren Leistungsstand eines Bundeslands darstellt.
Eltern mit Kindern am Ende der Grundschulzeit interessieren sich in der Regel weniger dafür, was insgesamt für die Schülerschaft eines Bundeslands gut wäre. Sie möchten vor allem wissen, an welcher Schule ihr Sohn bzw. ihre Tochter ein besonders förderliches Umfeld findet. Wie stark unterscheiden sich Schulen in ihrer Förderwirkung? Gibt es bestimmte Aspekte einer Schule, auf die Eltern besonders achten sollten? Diesen Fragen wurde in den vergangenen Jahren in mehreren Untersuchungen nachgegangen. Deutliche Belege fanden sich hierbei für den so genannten "Schereneffekt" bei der Leistungsentwicklung: Werden ähnlich begabte Schüler, die jedoch unterschiedliche Schulformen besuchen, miteinander verglichen, so findet sich überdurchschnittlich häufig der größere Lernfortschritt bei den Kindern und Jugendlichen, die die "höhere" Schulform besuchen. 4Es gibt mehrere gängige Erklärungsansätze für solche Schereneffekte: 5 1. Die Schüler der unterschiedlichen Schulformen haben sich bereits vor der Sekundarschulzeit in ihren Leistungen und in ihren Lernraten unterschieden. Unterschiedliche Entwicklungsverläufe wären in diesem Falle Ausdruck bereits früh angelegter differenzieller Lernkurven und somit lediglich Funktion der Eingangsselektivität der unterschiedlichen Schulformen. 2. Es gibt spezifische Fördereffekte der unterschiedlichen Schulformen und Schulsysteme, die beispielsweise auf unterschiedlichen Stundentafeln, Lehrplänen und Ausbildung der Lehrkräfte beruhen; diese Effekte werden auch "institutionelle" Effekte genannt. 3. Es gibt Kompositionseffekte, die auf die unterschiedliche leistungsmäßige, soziale, kulturelle und lernbiographische Zusammensetzung der Schülerschaft zurückzuführen sind. Nach diesem Erklärungsansatz sind Unterschiede in der Leistungsentwicklung nicht oder nicht allein auf die Zugehörigkeit zu einer Schulform, sondern zumindest teilweise auf Charakteristika der jeweiligen Lerngruppe zurückführbar. 4. Weitere Erklärungsansätze für unterschiedliche Entwicklungen in verschiedenen Schulen betonen u.a. die Rolle der Unterrichtsqualität und sozialer und kultureller Eigenheiten des jeweiligen schulischen Einzugsgebiets. Obwohl die Forschung nicht völlig konsistent ist, weisen empirische Arbeiten doch mehrheitlich darauf hin, dass alle genannten Ansätze einen Teil der Leistungsentwicklung erklären können: Auch wenn individuelle Eingangsmerkmale der Schülerschaft berücksichtigt werden, erweisen sich Schulen als differentielle Entwicklungsmilieus mit spezifischen Fördereffekten.
Die Zusammensetzung der Schülerschaft hat in jeder der in Deutschland angebotenen Schulformen einen Effekt auf den Lernerfolg. Die Hauptschule scheint jedoch diejenige Schulform zu sein, in der die Leistungsentwicklung am stärksten durch kritische Kompositionsmerkmale beeinflusst und beeinträchtigt wird. 6 Kollektive Belastungsfakto- Tabelle 1: Kompositionsprofile von Hauptschulen in PISA-2000 Hauptschultypus % Eltern ohne Berufsausbildung % Deutsch nicht Familien- sprache % Vater nicht Vollzeit erwerbstätig % Wiederholer Mittlere Lesekompetenz Modalform (45,3 %) 20,0 25,8 18,4 46,6 396,9 Schwieriges Milieu (16,4 %) 38,4 47,7 29,7 52,2 347,9 Günstiges Milieu (38,2 %) 10,9 13,4 9,2 26,0 438,8 Hauptschulen Insgesamt 19,6 24,7 16,7 39,6 404,9Quelle: J. Baumert u.a., 2006 (Anm. 5).
ren sind: der Anteil von Wiederholern, ein niedriges Leistungs- und Fähigkeitsniveau, Konzentration von Schülern aus extrem bildungsfernen Familien und ein steigender Anteil von Jugendlichen aus Elternhäusern mit besonderen sozialen und privaten Belastungen. Gleichzeitig ist die Variabilität der Zusammensetzung der Schülerschaft an Hauptschulen erheblich. Es lässt sich deshalb die Frage stellen, ob sich Schulen mit einer Kumulation von Belastungsfaktoren finden lassen. Jürgen Baumert und Kollegen haben dies anhand der PISA-2000-Stichprobe mithilfe eines statistischen Verfahrens, das Schulen nach Ähnlichkeit gruppiert, untersucht. Ihre Analysen erbrachten drei Typen von Hauptschulen; deren Charakteristika sind in Tabelle1 dargestellt.
Den ersten Typus kann man als die Modalform der Hauptschule bezeichnen. Zu dieser Klasse gehören 45 Prozent aller Hauptschulen in der Bundesrepublik. Hauptschulen vom zweiten Typus sind solche in schwierigem Milieu. In diesen Schulen findet man eine Kumulation von Risiko- und Belastungsfaktoren: Rund die Hälfte der Schüler haben mindestens eine Klasse wiederholt. Ebenso viele stammen aus Migrantenfamilien, in denen zu Hause nicht Deutsch gesprochen wird. 40 Prozent der Eltern verfügen über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Fast ein Drittel der Familien sind von Arbeitslosigkeit betroffen, und das Leistungsniveau der Schulen ist extrem niedrig. Diese Klasse, zu der 16 Prozent aller Hauptschulen gehören, stellt die eigentliche Problemgruppe unter den Hauptschulen dar. Den Gegenpol bilden Hauptschulen des dritten Typus, deren Profil auf Tabelle 2: Hauptschulen nach Land und Kompositionsprofil im Jahr 2000 Modalform der Hauptschule Schwieriges Milieu Günstiges Milieu Baden-Württemberg 33,3 4,8 61,9 Bayern 31,8 - 68,2 Berlin 40,0 60,0a - Bremen - 95,7 4,3 Hamburgb 31,3 68,8 - Hessen 43,5 52,2 4,3 Niedersachsen 88,0 4,0 8,0 Nordrhein-Westfalen 48,0 44,0 8,0 Rheinland-Pfalz 52,2 8,7 39,1 Saarlandb 18,8 81,3 - Schleswig-Holsteinb 84,0 16,0 -a Anteil tendenziell unterschätzt. b Hauptschule inzwischen abgeschafft bzw. Abschaffung beschlossen. Quelle: J. Baumert u.a., 2006 (Anm. 5).
ein günstiges Milieu schließen lässt. Die mittleren Leistungswerte dieser Hauptschulen liegen im unteren Bereich der Leistungsverteilung von Realschulen.
Tabelle 2 zeigt die Verteilung der Hauptschulen auf die drei Typen, getrennt für die Länder der Bundesrepublik. Diese Kreuztabelle belegt bemerkenswerte regionale Verteilungsmuster. Hauptschulen mit einem Kompositionsprofil, das für ein schwieriges Milieu steht, machen einen substanziellen Anteil unter den Hauptschulen in den Stadtstaaten, in Hessen und Nordrhein-Westfalen aus. Das Saarland, in dem im Jahr 2000 über 80 Prozent dieses Schultyps zur Problemkategorie gehörten, hat mittlerweile die Hauptschule als selbstständige Schulform aufgelöst. Hauptschulen, die sich durch besonders günstige Schülerzusammensetzungen auszeichnen, findet man in nennenswertem Umfang nur in Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz.
Mit nur zwei Merkmalen des Einzugsgebiets von Hauptschulen gelingt es, drei Viertel der Schulen der Problemgruppe korrekt zu identifizieren. Die beiden Merkmale sind der Hauptschüleranteil im Einzugsgebiet (je geringer der Prozentsatz der Schüler eines Einzugsgebiets ist, die eine Hauptschule besuchen, desto wahrscheinlicher handelt es sich um Schule des problematischen Typus) sowie der Anteil ausländischer Schüler in der vergleich-
baren Altersgruppe (je höher der Anteil ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um eine problematische Hauptschule handelt). Dieser Befund deutet darauf hin, dass sich eine Sicherung der Arbeitsfähigkeit an Hauptschulen vermutlich nur erreichen lässt, wenn sie Anlaufstelle für eine ausreichend breite und heterogene Schülerklientel ist.
Die Diskussion um die Hauptschule als Problemschule oder "bildungspolitisches Aus" 16 wird auch im Hinblick auf die Verwertbarkeit des Hauptschulabschlusses auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt geführt. Da die Arbeitskräfteallokation in der Bundesrepublik im Wesentlichen nach dem Berufsprinzip funktioniert, nach dem Arbeitgeber Leistungsfähigkeit und Lernfähigkeit eines zukünftigen Auszubildenden oder Angestellten nach der formalen Qualifikation der Bewerber einschätzen, ist die Annahme, dass der Hauptschulabschluss im Zuge der Expansion mittlerer und höherer Bildungsabschlüsse an Bedeutung verliere, augenscheinlich zutreffend.
Befunde auf Bundesebene scheinen diese Annahme zu bestätigen (Tabelle 3). Über die Hälfte der Absolventinnen und Absolventen mit einem Hauptschulabschluss haben 2004 Maßnahmen im Übergangssystem besucht. Hierzu zählen Angebote außerschulischer Träger und schulischer Bildungsgänge wie z.B. teilqualifizierende Angebote, die auf eine anschließende Ausbildung als erstes Jahr anerkannt werden können oder Voraussetzung zur Aufnahme einer vollqualifizierenden Ausbildung sind. Dieser Anteil liegt nur für Jugendliche ohne einen Schulabschluss (84 Prozent) noch höher. Andererseits zeigt sich, dass immerhin ca. 40 Prozent der Hauptschulabsolventen den Übergang in eine Ausbildung im dualen System und 8 Prozent den Übertritt in das Schulberufssystem (vollzeitschulische Ausbildung oder Beamtenausbildung) geschafft haben. Aufgrund der unterschiedlichen Bedeutung der Hauptschule in den Bundesländern lassen sich die Ausbildungschancen von Hauptschulabsolventen zudem nicht pauschal beurteilen. In denjenigen Ländern, in denen die Hauptschule eine starke Stellung besitzt, existieren unter anderem im handwerklichen Bereich attraktive Ausbildungsoptionen. 17
Mit dem Erwerb des Hauptschulabschlusses ist die schulische Laufbahn von Jugendlichen an Hauptschulen nicht zwangsläufig beendet. Anfang der 1970er Jahre forderte der Deutsche Bildungsrat 18 eine grundsätzliche Offenheit von Bildungswegen. Diese ist inzwischen ein wichtiges Kennzeichen der Schulsysteme in allen Bundesländern und hat zu einer Entkopplung von der in der Sekundarstufe besuchten Schulform und dem höchsten erworbenen Bildungsabschluss geführt. Der Entkopplungsprozess ist für den Mittleren Bildungsabschluss am weitesten vorangeschritten. Nur noch 43 Prozent der Schulabgänger mit einem Mittleren Abschluss des Schuljahres 2003/04 haben diesen Abschluss an einer Realschule gemacht, 9 Prozent an einer Hauptschule und 12 Prozent an einer Schule mit mehreren Bildungsgängen (Tabelle4).
Dass der Besuch einer Hauptschule auch den späteren Erwerb der allgemeinen Hochschulreife nicht ausschließt, konnte beispielhaft für Baden-Württemberg mit Daten der Studie Transformation des Sekundarschulsystems und akademische Karrieren 19 nachgewiesen werden. Immerhin rund vier Prozent aller Abiturienten hatten einen Teil ihrer Schullaufbahn in der Hauptschule absolviert; bei ausschließlicher Betrachtung der Abiturienten vom beruflichen Gymnasium stieg diese Zahl auf über 13 Prozent. 20
Die Hauptschule scheint dann einen sinnvollen Bestandteil des mehrgliedrigen Schulsystems darzustellen, wenn sie ein anspruchsvolles Programm für einen bedeutsamen Anteil der Schülerschaft anbieten kann und attraktive schulische oder berufliche Anschlussmöglichkeiten bestehen. Sinkt der Hauptschüleranteil in einer Region auf eine sehr niedrige Quote und ist die Schülerschaft einer Hauptschule durch eine ungünstige Komposition gekennzeichnet, ist mit einer Belastung des Unterrichts und einer Beeinträchtigung von Leistungs- und Persönlichkeitsentwicklung zu rechnen. Aber auch wenig belastete Hauptschulen haben sich spezifischen Herausforderungen zu stellen. Diese bestehen beispielsweise in Schülern mit schulischen Misserfolgskarrieren und spezifischen Leistungsdefiziten, deren Förderung eines professionellen didaktischen und pädagogischen Kontextes bedarf. Zudem verlangt der Anspruch, neben einer besonderen Förderung berufsnaher Fähigkeiten den leistungsstarken Absolventen auch den Übergang in weiterführende Schulen zu ermöglichen, den Hauptschulen in curricularer und didaktischer Hinsicht einen Spagat ab.
Ein Verzicht auf die Hauptschule durch Integration in eine Gemeinschaftsschule bzw. in eine Schule mit mehreren Bildungsgängen ist, wie verschiedene Bundesländer demonstrieren, möglich; aber auch ein solcher Verzicht bringt neue Herausforderungen mit sich. Die vielleicht größte Sorge von Lehrkräften an Realschulen sowie vieler Eltern von Kindern an Realschulen besteht darin, dass durch eine Zusammenlegung mit Hauptschulen negative Kompositionseffekte an den neuen Schulen auftreten würden, die bislang in besonderer Weise die Hauptschulen kennzeichneten. Ob diese Sorge gerechtfertigt ist, lässt sich nicht endgültig beantworten.
In PISA 2000 waren negative Kompositionseffekte in den so genannten Schulen mit mehreren Bildungsgängen vergleichsweise gering ausgeprägt, was darauf hindeuten mag, dass diese Schulen relativ robust gegen Kompositionseffekte sind; allerdings ist unklar, wie sehr regionalspezifische Faktoren für diesen Befund verantwortlich sind. Zu den wichtigen Herausforderungen in einem wenig differenzierten Schulsystem gehört es, gerade auch für die leistungsschwächeren Schüler selbstwertschützende Nischen zu schaffen. Je größer der Prozentsatz der Schüler ist, die eine bestimmte Schulform besuchen, desto größer ist der Bedarf an begabungsgerechten internen oder externen Differenzierungsformen. Auch ist eine gute Balance zwischen Allgemeinbildung und beruflich orientierter Bildung zu finden. Eine wichtige Aufgabe, deren Bewältigung von den Eltern an Gemeinschaftsschulen zu Recht kritisch beobachtet wird, ist darüber hinaus die spezifische Förderung derjenigen Schüler, die nach der Sekundarstufe I ineine gymnasiale Oberstufe überwechseln können oder wollen.
Die Ergebnisse der jüngeren Schulleistungsstudien haben viel dazu beigetragen, dass die Stärken und Schwächen des mehrgliedrigen Schulsystems inzwischen auf hohem Niveau analysiert werden können; durch die verbreiterte Befundlage wurde die Debatte um das differenzierte Schulsystem, die in Deutschland eine lange Tradition hat, wiederbelebt und bereichert. So wichtig diese Debatte sein mag - aus Sicht der empirischen Schulleistungsforschung scheint ein warnender Hinweis angebracht zu sein: Es sollte nicht vergessen werden, dass über den Erfolg oder Misserfolg von Schule in besonderer Weise das Lehrerhandeln im Unterricht entscheidet, das nur teilweise von Faktoren wie Schulformzugehörigkeit oder Klassenzusammensetzung bestimmt ist. Der Analyse und Verbesserung von Unterrichtsqualität gebührt deshalb eine besondere Aufmerksamkeit in Wissenschaft, Lehrerschaft und Öffentlichkeit.
1 Hierzu passt,
dass die erste Konzeption des vorliegenden Hefts folgende
Arbeitstitel vorsah: "Hauptschulen = Restschulen", "Ursachen von
Leistungsdefiziten an Hauptschulen", "Hauptschüler: Schwierige
Übergänge von der Schule in den Beruf", "Bildungsarmut -
Ursachen, Auswirkungen, Maßnahmen",
"Verdrängungswettbewerb: Hauptschüler
abgehängt".
2 Wenn im weiteren Verlauf nur noch von
Schülern die Rede sein wird, so sind immer Schülerinnen
und Schüler gemeint.
3 Eric A. Hanushek/Ludger
Wößmann, Does educational tracking affect performance
and inequality? Differences-in-differences evidence across
countries, in: The Economic Journal, 116 (2006), S. C63-C76.
4 Vgl. Michael Becker/Oliver
Lüdtke/Ulrich Trautwein/Jürgen Baumert, Leistungszuwachs
in Mathematik: Evidenz für einen Schereneffekt im
mehrgliedrigen Schulsystem?, in: Zeitschrift für
Pädagogische Psychologie, 20 (2006), S. 233-242.
5 Vgl. Jürgen Baumert/Petra
Stanat/Rainer Watermann, Schulstruktur und die Entstehung
differenzieller Lern- und Entwicklungsmilieus, in: Jürgen
Baumert/Petra Stanat/Rainer Watermann (Hrsg.), Herkunftsbedingte
Disparitäten im Bildungswesen: Differentielle Bildungsprozesse
und Probleme der Verteilungsgerechtigkeit. Vertiefende Analysen im
Rahmen von PISA 2000, Wiesbaden 2006, S. 95-188.
6 Vgl. ebd.
7 Vgl. Jürgen Baumert/Gundel
Schümer, Familiäre Lebensverhältnisse.
Bildungsbeteiligung und Kompetenzerwerb, in: Jürgen Baumert
u.a. (Hrsg.), PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und
Schülern im internationalen Vergleich, Opladen 2001, S.
323-407.
8 Als niedriger/hoher
sozioökonomischer Status soll hier der Wert von +/- einer
Standardabweichung relativ zum Mittelwert bezeichnet werden.
9 Vgl. J. Baumert/G. Schümer (Anm.
7).
10 Vgl. Albert Bandura, Self-efficacy:
the exercise of control, New York 1997.
11 Vgl. Gotthilf G. Hiller, Ausbruch
aus dem Bildungskeller. Pädagogische Provokationen,
Langenau-Ulm 1989; Gundel Schümer, Zur doppelten
Benachteiligung von Schülern aus unterprivilegierten
Gesellschaftsschichten im deutschen Schulsystem, in: Gundel
Schümer/Klaus-Jürgen Tillmann/Manfred Weiß (Hrsg.),
Die Institution Schule und die Lebenswelt der Schüler.
Vertiefende Analysen der PISA-2000-Daten zum Kontext von
Schülerleistungen, Wiesbaden 2004, S. 73-114; Heike Solga,
Ohne Abschluss in die Bildungsgesellschaft. Die Erwerbschancen
gering qualifizierter Personen aus soziologischer und
ökonomischer Perspektive, Opladen 2005.
12 Vgl. Olaf Köller, Konsequenzen
von Leistungsgruppierungen, Münster 2004.
13 Vgl. Jürgen Baumert u.a.,
Mathematikunterricht aus Sicht der PISA-Schülerinnen und
Schüler und ihrer Lehrkräfte, in: Manfred Prenzel u.a.
(Hrsg.), PISA 2003. Der Bildungsstand der Jugendlichen in
Deutschland - Ergebnisse des zweiten internationalen Vergleichs,
Münster 2004, S. 314 - 354; Achim Leschinsky, Die Hauptschule
- Sorgenkind im Schulwesen, in: Kai S. Cortina/Jürgen
Baumert/Achim Leschinsky/Karl Ulrich Mayer/Luitgard Trommer
(Hrsg.), Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland,
Reinbek 2003, S. 395 - 428.
14 Vgl. Ulrich Trautwein/Oliver
Lüdtke/Herbert W. Marsh/Olaf Köller/Jürgen Baumert,
Tracking, grading, and student motivation: using group composition
and status to predict self-concept and interest in ninth grade
mathematics, in: Journal of Educational Psychology, 98 (2006), S.
788 - 806.
15 Vgl. J. Baumert/P. Stanat/R.
Watermann (Anm. 5).
16 Vgl. G. G. Hiller (Anm. 11).
17 Siehe hierzu den Beitrag von Birgit
Reißig und Nora Gaupp, Hauptschüler: Schwierige
Übergänge von der Schule in den Beruf, in dieser
Ausgabe.
18 Vgl. Deutscher Bildungsrat,
Empfehlungen der Bildungskommission, Strukturplan für das
Bildungswesen, Stuttgart 1972, S. 38.
19 Vgl. Olaf Köller/Rainer
Watermann/Ulrich Trautwein/Oliver Lüdtke (Hrsg.), Wege zur
Hochschulreife in Baden-Württemberg. TOSCA - Eine Untersuchung
an allgemein bildenden und beruflichen Gymnasien, Opladen
2004.
20 Vgl. Kai Maaz, Soziale Herkunft und
Hochschulzugang. Effekte institutioneller Öffnung im
Bildungssystem, Wiesbaden 2006.