PORTUGAL
Die neue Ratspräsidentschaft blickt über Europa hinaus. Neben der Regierungskonferenz stehen Brasilien und die Mittelmeeranrainer im Fokus.
Ein Seefahrervolk hat für sechs Monate den Vorsitz in der Europäischen Union übernommen. Das zeigt sich an den außenpolitischen Schwerpunkten, die der portugiesische Regierungschef José Socrates am 11. Juli im Europaparlament skizzierte. Natürlich laufen die diplomatischen Bemühungen im Kosovo, Iran und Sudan unverändert weiter. Doch zusätzlich setzt Portugal mit dem ersten europäisch-brasilianischen Gipfel der EU-Geschichte, der Anfang Juli in Lissabon stattfand, neue Akzente.
Durch Kultur und Sprache seien Brasilianer und Portugiesen eng verbunden. Brasiliens Präsident Lula da Silva habe bei dem Treffen signalisiert, dass es in der Welthandelsrunde Bewegung geben könne. "Diese Chance müssen wir nutzen. Die Doha-Runde ist ein wichtiges Element, um die Globalisierung in gute Bahnen zu lenken", erklärte der portugiesische Regierungschef.
Ähnlich wie Spanien misst auch Portugal Euromed-Treffen mit den Mittelmeeranrainer-Staaten große Bedeutung bei. "Beide Seiten des Mittelmeers sind voneinander abhängig. Wir müssen politische Debatten mit unseren Nachbarn im Süden führen. Differenzen, zum Beispiel bei der Frage der Steuerung von Migration, können ausgeräumt werden", ist der Portugiese überzeugt. Er bedauert, dass seit der letzten portugiesischen Präsidentschaft vor sieben Jahren kein EU-Afrika-Gipfel mehr staatgefunden habe. "Wir zahlen einen Preis dafür, dass es keinen strukturierten Dialog mit Afrika gibt." Deshalb soll im Dezember in Lissabon ein solches Treffen stattfinden. 2003 war eine geplante Zusammenkunft abgesagt worden.
"Eine stärkere Union für eine bessere Welt" hat Portugal seine EU-Präsidentschaft überschrieben. Neben dem außenpolitischen Anspruch soll damit vor allem der Ehrgeiz betont werden, die Regierungskonferenz zur Reform der EU-Verträge schnell und ohne Komplikationen über die Bühne zu bringen. Bereits beim ersten Außenministertreffen unter portugiesischem Vorsitz am 23. Juli soll ein erster Entwurf des neuen Vertrages vorgelegt werden. Beim informellen Rat der Regierungschefs am 18. und 19. Oktober in Lissabon sollen die Verhandlungen abgeschlossen werden.
Dieses Ziel sei realistisch, durch "Angela Merkels großartige Verhandlungsführung und die klare Position des Europaparlaments - dadurch sind wir aus der Pattsituation herausgekommen", glaubt Socrates. Die Gründung einer über 18 Monate Hand in Hand arbeitenden Dreierpräsidentschaft aus Deutschland, Portugal und Slowenien im November 2006 sei ebenfalls entscheidend für das Gelingen gewesen. "Damals hielt es niemand für möglich, doch jetzt haben wir das Ziel vor Augen. Wir müssen das Mandat, das der Juni-Gipfel formuliert hat, in einen Vertrag ummünzen." Sein ausdrücklicher Wunsch sei auch gewesen, drei Parlamentsvertreter an der Regierungskonferenz zu beteiligen. Einer davon, der konservative Abgeordnete Elmar Brok, warnte davor, den im Juni gefundenen Kompromiss in Frage zu stellen. "Aufgabe der Regierungskonferenz wird sein, so wenig wie möglich zu machen. Was vereinbart wurde, muss nun in rechtlich verbindliche Texte umgesetzt werden." Brok sagte, das in den Verhandlungen die Transparenz und Lesbarkeit des Textes gelitten habe. Doch sei er eine deutlich bessere Arbeitsgrundlage als der gegenwärtig geltende Nizza-Vertrag. "Wenn der Vertrag so beschlossen wird, sind 95 % der Substanz erhalten geblieben."
Sein Fraktionskollege Jo Leinen bedauerte, dass eine der Leitideen des Verfassungsvertrages, das Europa der Bürger zu stärken, bei den Verhandlungen verloren gegangen sei. Die zunehmende Zahl von Ausstiegsklauseln werfe die Frage auf: "Wollen alle noch dasselbe Europa oder haben wir es bereits mit zwei Gruppen von Ländern zu tun, die nur noch künstlich in einem Gebilde zusammen gehalten werden?" Dennoch habe das Europaparlament zugestimmt, "weil wir ein Interesse daran haben, dass die Regierungskonferenz schnell einberufen wird und schnell zu einem Abschluss kommt."
In Anspielung auf Nachbesserungswünsche aus Warschau sagte Leinen: "Bleiben Sie hart! Lassen Sie nicht zu, dass Disziplinlosigkeit noch einmal dazu genutzt wird, Vereinbarungen nachträglich zu ändern!". Klaus Hänsch (PSE) regte an, die Niederlande und Frankreich, wo die Verfassung in Referenden gescheitert war, sollten den neuen Vertrag als erste unterschreiben. Auch Großbritannien solle durch eine rasche Ratifizierung ein Zeichen setzen. Socrates betonte, keiner erwarte, dass nun wieder neu verhandelt werde. Er warnte davor, eine Ratifizierung durch nationale Parlamente geringer zu achten als eine Volksabstimmung. "Parlamente haben die Legitimität, im Namen des Volkes Verträge anzunehmen. Die direkte Demokratie darf nicht gegen die repräsentative ausgespielt werden." Damit versucht der portugiesische Regierungschef denjenigen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die in ihren Ländern eine Volksabstimmung über den Reformvertrag fordern. Vor allem in Großbritannien würde er im Referendum voraussichtlich abgelehnt