MIGRATION
Jahrelang wollten viele EU-Staaten keine Einwanderungsländer sein. Jetzt sehen einige darin neue Chancen.
Die schärfsten Worte kamen vom Gastgeber. Europa verschließe beim Thema Einwanderung die Augen vor der Realität und setze auf die falsche Politik. Zäune würden gezogen, Mauern gebaut und Schiffspatrouillen an die Grenzen geschickt. Auch die Gesetze in den EU-Staaten seien zu restriktiv, kritisierte der noch amtierende belgische Premierminister Guy Verhofstadt. Bei den Teilnehmern des jüngsten "Weltforums zu Einwanderung und Entwicklung" in Brüssel rannte er damit offene Türen ein. Mehr als 800 Vertreter aus 155 Staaten und internationalen Organisationen waren sich einig, dass Einwanderung keine Gefahr ist, sondern eine Chance für positive Entwicklungen in Herkunfts- und Gastländern.
Deutschland gestaltete seine Ausländerpolitik lange Zeit unter der Prämisse kein Einwanderungsland zu sein. Eine völlig überflüssige Debatte, sagte Peter Altmaier (CDU), Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, im Anschluss an die Konferenz im Gespräch mit "Das Parlament". "Europa hat Jahre damit vergeudet, darüber zu debattieren, ob wir Einwanderungsländer sind oder nicht", kritisierte er. "Das ist eine ideologische Debatte, die zu nichts führt."
Renate Studth, Referatsleiterin für Migration im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), sagte dazu: "Langsam ändert sich in Deutschland die Einsicht, dass Migration auch positive Seiten hat, sowohl für uns als auch für die Entwicklung in den Heimatländern." Europa dürfe das Phänomen der Einwanderung nicht länger als Bedrohung sehen, sondern,müsse Migration für alle Seiten gewinnbringend nutzen, sagte Ban Ki Moon, Generalsekretär der Vereinten Nationen. Von im Ausland verdientem Geld und dort erworbenem Wissen profitierten die Heimatstaaten der Migranten, sagte Ban. In ihren Gastländern stärkten die Einwanderer die Wirtschaftskraft und das kulturelle Leben. Die deutsche Delegation habe aus der Konferenz ein dickes Bündel Anregungen mitgenommen, das es nun zu prüfen gelte, sagte Studth. "Es gibt viele Ideen, die wir als Pilotprojekte starten können", sagte er: Sichere Transferwege für die Überweisungen der Gelder von Migranten an ihre Familien in ihre Heimatländer, neue Ausbildungsstätten für Ärzte und Krankenschwestern in armen afrikanischen und asiatischen Ländern ebenso wie die Folgen des Abwanderns von Pflegepersonal in reiche westliche Staaten.