Mit dem Thema Alter hat Otto Schily nichts zu tun. Das Handy am Ohr geht er zügig die Treppe in der Parlamentarischen Gesellschaft empor, dirigiert nebenbei per Handzeichen: welche Tür, welcher Raum, welcher Stuhl. Der Alterspräsident des Bundestages und frühere Bundesinnenminister ist im Dienst, ein Termin reiht sich an den anderen, wird vereinbart, verschoben, absolviert.
Otto Schily zieht als "political animal" noch immer die Strippen, ist Mitglied im Ausschuss für Auswärtiges, Stellvertreter im Europaausschuss. "Wenn Steinbrück will, dass ich irgendwohin reise, dann tue ich das", erzählt er. Wohin? "Naja, darüber spreche ich natürlich nicht", sagt er und grinst. Geheimnisse zu haben, gehört zur Taktik des Strategen. Er war Strafverteidiger der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, Mitbegründer der Grünen, wechselte 1990 zur SPD, wurde 1998 Bundesinnenminister. Seine Biografen nähern sich ihm mit gegensätzlichen Adjektiven. Er wird er als sensibel und genial, polemisch und arrogant, und manchmal auch als gnadenlos beschrieben. 2005, in seinem letzten Jahr als Bundesinnenminister, zermürbte er den Visa-Untersuchungsausschuss mit einer fünf Stunden und zehn Minuten dauernden Eingangsrede. Schließlich drehte der Ausschussvorsitzende das Mikrofon ab. Auch das half nicht: Schily, der Mann mit der cäsarenhaften Frisur, machte weiter.
Trifft das Bild des Unduldsamen noch? Schily, seit nunmehr zwei Legislaturperioden das älteste Mitglied des Parlaments, ist im Begriff, eine neue Rolle anzunehmen: Als "Elder Statetesman" im Hintergrund. "Ich habe mich völlig aus der Öffentlichkeit zurück gezogen", sagt er zufrieden. Seit 2005, dem Ende seiner siebenjährigen Amtszeit als Bundesinnenminister, hat er lediglich die Eröffnungsrede als Alterspräsident im Bundestag gehalten. Das harte Image des Law- and-Order-Mannes, dem es die Zornesfalten ins Gesicht treibt, ein Bild der Vergangenheit? "Wer als Innenminister nicht hart sein kann, der hat den Job nicht kapiert", sagt er und fügt dann an: "Ich bin gelassener geworden." Auch weniger streng? "Nein, das natürlich nicht."
Anders als früher muss Schily nicht mehr im politischen Nahkampf Gesetze zur inneren Sicherheit, wie die so genannten "Otto-Pakete", durchfechten. Der anthroposophisch und musisch erzogene Jurist schlägt eher staatsmännische Töne an. Schon bei seiner Rede als Alterspräsident vor zwei Jahren hatte er das Parlament an seine überparteilichen Aufgaben erinnert. Im vergangenen halben Jahr hat Schily in der AMATO-Gruppe, einem Zusammenschluss von hochrangigen Politikern und EU-Beamten, den neuen vereinfachten Verfassungsvertrag mit ausgearbeitet. Jenen Vertrag, den Angela Merkel jetzt gegen die zwischenzeitigen Widerstände Polens und Englands beim EU-Gipfel in Brüssel zum Erfolg führen konnte.
Und die Zukunft? In zwei Jahren will Schily aus dem Bundestag scheiden und ein Buch zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit schreiben. Wie er seine Thesen gewichten und auch wie er richten wird, verrät er nicht. "Man muss den Dingen Zeit geben", sagt er und erzählt eine Geschichte aus seiner Kindheit in Bochum. Jedes der fünf Geschwister konnte zu Übungszwecken in einem eigenen Beet Gemüse anpflanzen. Der kleine Otto säte Radieschen. "Weil ich sehen wollte, was daraus wird, grub ich ständig in der Erde herum", sagt der 75-Jährige und schaufelt dabei ein wenig mit den Händen in der Luft. "Am Ende hatte ich mit meiner Ungeduld alles kaputt gemacht."
Otto Schily ist noch immer ungeduldig. Wenn der derzeitige Bundespräsident Horst Köhler ("Ein Mann mit einem eigenständigen Profil und Stil") nach einer zweiten Amtszeit aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht wieder antreten darf, könnte Schily sich vorstellen, sich für das höchste Amt zu bewerben: "Das sage ich mit Augenzwinkern", meint er. Der ehemalige Strafverteidiger und Bundesinnenminister müsste sein Verhältnis zum Staat dann vermutlich noch einmal neu klären. Der derzeitige Präsident Horst Köhler sagt über sein Amtsverständnis, er sei nun mal keine Unterschriftenmaschine. Das würde Otto Schily gewiss auch in Anspruch nehmen.