Kinderpornographie
Sexueller Missbrauch innerhalb und außerhalb des Internets
Allein das Stichwort Kinderpornographie genügt und sofort übermannen heftige Gesten der Empörung und just erdachte Superlative deftiger Fäkalausdrücke landauf, landab die Bürger. Die Vorstellung, dass Kinder dazu gezwungen werden, sich scheinbar vergnügt vor der Kamera zu räkeln und Sex mit Erwachsenen zu praktizieren, sprengt die Grenzen der moralischen Vorstellungen. Genau diese fehlende Kraft der Vorstellung öffnet jedoch einer verzerrten Wahrnehmung die Türen. Denn kaum einer hat die Quelle der Empörung je gesehen. Vielmehr ist der Diskussionsteilnehmer auf die Medienberichterstattung angewiesen, in der häufig skandalisierend von "Sex-Monstern" und "organisierter Kinderverschleppung" die Rede ist.
Diese "Flut unsachlicher, vermeintlich typisch kinderpornographischer Attribute" kritisiert Korinna Kuhnen in ihrer jüngst vorgelegten Dissertation "Kinderpornographie und Internet" und berührt damit die Kernproblematik einer öffentlichen Wahrnehmung, die größtenteils medial vermittelt ist. Die Autorin plädiert für eine Versachlichung der Debatte, um die Thematik in ihrer vollen Bandbreite - angefangen vom Täter- und Opferprofil bis hin zur Rolle des Datenschutzes bei der Strafverfolgung - zu begreifen. Obwohl der Titel eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Medium Internet verspricht, sind die Ergebnisse schnell zusammengefasst:
Das Netz der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten habe die Kinderpronographie nicht erst erfunden, ihr aber eine neue Qualität verliehen. In abgeschlossenen Chat-Foren könnten Sammler riesige Datenmengen tauschen, und das weltweit. Die soziale Kontrolle entfiele dabei weitgehend, denn der an Kinderpornographie Interessierte könne sich bequem vom heimischen Sofa aus auf die Suche begeben. Parallel dazu steige die Nachfrage und mit ihr langsam auch die Radikalisierung der Bilder. Trotzdem könne nicht jeder unbescholtene Bürger im Internat quasi versehentlich über Kinderpornographie stolpern, denn "grundsätzlich gehört zum illegalen Fund die gezielte Suche".
Kontroverser und für den Leser erhellender als der eigentliche Forschungsschwerpunkt erscheinen jedoch jene Diskurse, die Korinna Kuhnen nur am Rande einfließen lässt. Als roter Faden zieht sich die bereits erwähnte Kritik an der verzerrten Medienberichterstattung durch das Buch. Richtig ist deswegen, dass die Autorin klärt, was Kinderpornographie überhaupt ist, um dann den anonymen Tätern und deren Opfern ein Gesicht zu geben. Wer an dieser Stelle eindeutige oder abschließende Ergebnisse erwartet, wird jedoch enttäuscht. Wissenschaftler und polizeiliche Ermittler tappen häufig im Dunklen, so wenig lassen sich das beschlagnahmte Material und die Profile gefasster Täter verallgemeinern.
Von einer "allgegenwärtigen Erotisierung von Kindern in Mode, Popmusik, Werbung und Kunst" schreibt Korinna Kuhnen an anderer Stelle. Eine tiefere Diskussion dieser folgenschweren Entwicklung bleibt die Autorin allerdings Leser schuldig.
Ähnlich verfährt Korinna Kuhnen mit der Rolle des Datenschutzes bei der Strafverfolgung. Zwar widmet sie den Ermittlungsmethoden und den laufenden Planungen ein eigenes Kapitel, doch eine tiefergehende Betrachtung vermisst man auch hier. Denn diese Probleme verweisen auf einen größeren gesellschaftlichen Kontext und bieten wichtige Denkanstöße für den Umgang mit Kinderpornographie.
Obwohl die um wissenschaftliche Neutralität bemühte Sprache an manchen Stellen die eigenen Gefüle zum Brodeln bringt, lohnt die Lektüre. Insofern hält der Titel "Kinderpornographie und Internet" mehr als er eingangs verspricht. Denn im medialen Scheinwerferlicht um Sex-Skandale im Internet gerät der Kern der Kinderpornographie schnell in ein Schattendasein: der ganz alltägliche, sexuelle Missbrauch von Kindern.
Kinderpornographie und Internet.
Hogrefe Verlag,
Göttingen 2007 323 S., 34,95 ¤