Arbeitswelt II
Jüngere und Ältere bilden ein Team und profitieren voneinander - im besten Fall. Und wenn nicht? Eindrücke aus Coburg.
Petra Schumm trägt schwarze Schuhe, die vorn spitz zulaufen und hohe Absätze haben. Das sieht sehr schick aus, und es passt zu ihrem blitzsauberen, neuen Supermarkt. Sie ist seit fast einem halben Jahr Filialleiterin - mit weißem Kittel und Namensschild an der Brust. Es ist sieben Uhr in der Früh und der Markt in Rödenthal bei Coburg in Oberfranken hat bereits geöffnet. Neun Teilzeitkräfte und einen Auszubildenden beschäftigt die 47-jährige Unternehmerin. Für das Team konnte sie neue Mitarbeiter einstellen, "die zwischen 19 und 57 Jahre alt sind".
Es sei für sie selbstverständlich gewesen, auch Verkäuferinnen zu beschäftigen, die älter sind als 50 Jahre; schon allein wegen der Kundschaft. "Natürlich wünschen wir uns alle, dass junge Familien mit Kindern im Supermarkt einkaufen. Aber meine Stammkunden leben oft allein, sind älter, haben Spareinlagen und greifen deshalb eher nach Lachs als nach Ersatzfisch." Da sei sie ganz Kauffrau, triumphiert Petra Schumm über den Jugendwahn. Auf die Kaufkraft kommt es an.
Was Petra Schumm gelungen ist, bezeichnen Unternehmensberater gern als "altersgemischte Gruppenarbeit", das heißt jüngere und ältere Arbeitnehmer bilden ein Team und profitieren voneinander. Im Supermarkt heißt das konkret, Mitarbeiter über 50 müssen keine 18 Kilo schweren Bananenkartons heben. In der Regel gilt: Die Älteren bringen mehr Berufserfahrung mit, Jüngere verfolgen vielleicht neue Ansätze bei der Lösung von Problemen. Diese simple Weisheit gehört zu den Grundsäulen eines altersgerechten Arbeitsplatzes, viele deutsche Unternehmen beachten diese Regel aber trotzdem noch nicht.
Als gelungenes Beispiel einer veränderten Arbeitswelt wird oft der Autozulieferer Brose genannt. Auf dem Betriebsgelände in Coburg gibt es ein so genanntes Sozialgebäude, eine ehemalige Fertigungshalle mit neuer Funktion. In einem weißen Saal mit großen Fenstern stehen Laufbänder und Ergometer. Das Haus verfügt über Dampfbad und Sauna, sowie ein Geschäft für Sportbekleidung. "Das ist aber keine Muckibude", versichert Esther Loidl. Sie ist Personalleiterin im Unternehmen. Bei dem firmeneigenen Fitnessangebot gehe es vielmehr um die Frage, "was kann man machen, um Mitarbeiter leistungsfähig zu halten".
Damit käme das Unternehmen natürlich auch älteren Arbeitnehmern entgegen, aber "das Angebot richtet sich an die gesamte Belegschaft", versichert Loidl. Das Familieunternehmen Brose hatte vor fast zwei Jahren mit Zeitungsanzeigen noch gezielt nach Fachkräften gesucht, die älter sind als 45 Jahre. "Wir hatten damals überprüft, welche Arbeitsgruppen im Unternehmen besonders erfolgreich sind", erklärt die Personalerin. Und das seien vor allem Teams gewesen, in denen jüngere und ältere Angestellte zusammenarbeiten. Der Betrieb verfügte nach Jahren der internationalen Expansion aber nicht mehr über so viele erfahrene Mitarbeiter, wie es nötig gewesen wäre.
Die Zeitungsanzeige war erfolgreich und bekam so viel Aufmerksamkeit, dass Brose heute unter dem Image leidet, man habe ein Arbeitsmodell geschaffen, dass älteren Arbeitnehmern besonders entgegenkomme. Das werde immer wieder falsch dargestellt, heißt es in der Pressestelle des Unternehmens. Die flexiblen Arbeitszeiten, die Weiterbildung, die Rückenschule und das Fitnessangebot seien doch für alle Angestellten ganz normal. Dass Brose damit vielleicht besser auf die Herausforderungen einer immer älter werdenden Gesellschaft vorbereitet ist, räumt die Personalleiterin Esther Loidl dann doch ein. Ausgangspunkt der Veränderungen sei es aber gewesen, effizienter zu werden; das heißt, Kosten für das Unternehmen zu senken. Altersgerechte Arbeitsplätze müssen sich eben für beide Seiten rechnen.
Brose will Mitarbeiter außerdem langfristig binden, denn neue Fachkräfte sind teuer und knapp. 360 Stellen könnten besetzt werden, 190 davon allein in Deutschland. Gleichzeitig liegt die Arbeitslosenquote in Coburg und Umgebung nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aber bei fast zehn Prozent. Ein Viertel der Betroffenen ist älter als 50 Jahre.
"Viele Stellenangebote, die der wirtschaftliche Aufschwung in der Region bringt, richten sich an Arbeitnehmer mit höherer Qualifikation", erklärt Sabine Braunersreuther. Sie ist die Geschäftsführerin des Vereins "50plus in Oberfranken", einer mit 5 Millionen Euro geförderten Initiative der regionalen Jobcenter der Arbeitsagenturen in Zusammenarbeit mit Bildungsstätten und heimischen Unternehmern. Die älteren Arbeitslosen, die der Verein betreut, bringen aber oft nicht die Voraussetzungen mit, um sich auf diese qualifizierten Stellen zu bewerben.
Was aber tun mit Arbeitnehmern, die Jahrzehnte ohne Weiterbildung in einem Beruf gearbeitet haben oder die nur angelernt wurden? "Alleinstellungsmerkmale suchen", antwortet Braunersreuther knapp. Dazu gehören Konzentration, besondere Genauigkeit, soziale Stärken - die so genannten "Softskills" sind wichtig.
Ilona Ittner hat mit Hilfe des Vereins "50plus" im Supermarkt von Petra Schumm wieder eine Anstellung gefunden - nach sieben Jahren Arbeitslosigkeit und unzähligen erfolglosen Bewerbungen. Sie ist jetzt für das Angebot eines großen Kaffeeanbieters im Markt verantwortlich. Dazu gehören zum Beispiel Schlafanzüge und Nachthemden, die in durchsichtige Plastikfolie eingeschlagen sind. Die 55-Jährige richtet die Textilien neu aus. Sie zieht einzelne Packungen hervor, sortiert sie, stellt andere zurück. Die letzten Arbeitsjahre seien wichtig für die Rente, sagt sie. Ilona Ittner ist sehr bescheiden geworden. Eigentlich hätte sie sich die Arbeit schon fast nicht mehr zugetraut. "Als Arbeitsloser ist man zwar nicht tot, aber man gerät in Vergessenheit", sagt sie. Und sie hofft, dass ihr dieses Schicksal ein weiteres Mal erspart bleibt.
In Oberfranken bieten Anlerntätigkeiten wie die Stelle im Supermarkt geringer qualifizierten Arbeitslosen wieder eine Chance, in einen Beruf zurückzukehren; oft gering bezahlt und mit befristeten Verträgen. Altersgerecht ist dabei vor allem die Hilfe des Vereins "50plus". Ohne Sabine Braunersreuther und deren Mitarbeiter wäre es für viele Jobsuchende völlig unmöglich, jemals wieder allein für den Lebensunterhalt zu sorgen.
Der Autor ist Redakteur beim Nachrichtensender "B5 aktuell" des Bayerischen Rundfunks.