Demografie
Der Rückgang der Bevölkerung ist nicht aufzuhalten. Welche Auswirkungen hat das?
Ob Joachim Sauer den Geschmack von Laura Bush und Cherie Blair getroffen hat, ist nicht bekannt. Vielleicht hatten die Damen andere Vorstellungen über das Partnerprogramm beim G8-Gipfel an der Ostsee als einen Vortrag über den demografischen Wandel. Der Ehemann von Bundeskanzlerin Angela Merkel jedoch bat den Leiter des Instituts für Demografie in Rostock, James W. Vaupel, vor der illustren Gästeschar über die Herausforderungen der demografischen Entwicklung zu sprechen. Vaupel machte in seinem Vortrag deutlich, dass die älter werdenden Gesellschaften in den Industrienationen "einschneidende politische Reformmaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt, im Rentensystem, im Gesundheits- und auch Bildungswesen unumgänglich machen".
Für Deutschland meldete das Statistische Bundesamt Ende vergangenen Jahres in der 11. Bevölkerungsvorausberechnung vor allem das Schrumpfen der Gesellschaft. Den Berechnungen zufolge wird die derzeitige Bevölkerungszahl von 82, 4 Millionen im Jahr 2050 auf knapp 69 bis 74 Millionen fallen. Damit würde sie unter dem Niveau des Jahres 1963 mit gut 75 Millionen Einwohnern liegen. "Der Rückgang der Bevölkerung ist nicht mehr aufzuhalten", lautete der Kommentar des Vizepräsident des Statistischen Bundesamtes, Walter Radermacher. Als Gründe für den Bevölkerungsrückgang führen die Statistiker eine stetige Abnahme der Geburtenzahlen und eine Zunahme der Sterbefälle an. Auch eine etwas höhere Kinderzahl je Frau oder eine noch schneller steigende Lebenserwartung könnten den Rückgang der Bevölkerung nicht verhindern, heißt es in dem Bericht weiter. Das Geburtendefizit werde durch die Zuwanderungsüberschüsse aus dem Ausland nicht mehr kompensiert.
Weiterhin wird aufgrund der abnehmenden Zahl potenzieller Mütter nach den Zahlen des Wiesbadener Amts die jährliche Geburtenzahl von derzeit etwa 685.000 auf rund 500.000 im Jahr 2050 sinken. Die Zahl der 60-Jährigen wird mit gut einer Million im Jahr 2050 doppelt so hoch sein wie die Zahl der Neugeborenen; 2005 gab es noch fast genauso viele Neugeborene wie 60-Jährige. Die Zahl der über 80-Jährigen wird sich dagegen von heute nicht ganz vier Millionen den Berechnungen zufolge auf zehn Millionen im Jahr 2050 nahezu verdreifachen.
Dass diese Zahlen bereits Auswirkungen auf das Hier und Jetzt haben, belegt die Studie "Not am Mann" des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Das Schreckensszenario der "neuen Unterschicht schlecht gebildeter junger Männer", die von den Frauen verlassen allein im Osten der Republik sitzt, machte Schlagzeilen. Die Studie beschreibt, dass mehr als 1,5 Millionen Menschen den Osten seit dem Fall der Mauer verlassen haben, unter ihnen überproportional viele junge Frauen. "Dieser Frauenmangel ist europaweit einzigartig", so der Mitautor der Studie, Reiner Klingholz. "Selbst Polarkreisregionen im Norden Schwedens und Finnlands reichen an die ostdeutschen Werte nicht heran." In der Folge fehlen im Osten seit 1991 potenzielle Mütter. Auch Kinderbetreuung und Schulplätze brechen weg - so dass noch mehr junge Frauen lieber gehen.
Vor diesen Entwicklungen warnt der Bevölkerungsexperte Herwig Birg bereits seit längerem. Der ehemalige Leiter des Instituts für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik der Universität Bielefeld prophezeit für die nächsten Jahrzehnte eine Flucht in die prosperierenden Zentren, während andere Regionen schrumpfen werden. Irgendwann werde es in Gebieten im Osten nicht mehr die Schilder "Häuser zu vermieten", sondern nur noch "Häuser zu verschenken" geben. Neben der regionalen Dimension ist für Birg vor allem die soziale Komponente der sich verändernden Demografie eine Belastung. Diejenigen, die nicht privat vorsorgen könnten, würden durch das immer niedrigere Rentenniveau doppelt bestraft. Es finde eine regelrechte "Ausbeutung" der Gruppe mit Kindern statt. "Die Menschen verlieren das Vertrauen auf das in der Verfassung festgelegte Fundament des Gleichheitsgrundsatzes", erklärt er. Dies führe zu Verwerfungen innerhalb der Gesellschaft, der Solidaritätsgedanke werde ausgehöhlt.
Birg ist pessimistisch: In den vergangenen 40 Jahren habe es in Deutschland einen Geburtenrückgang von etwa 40 Prozent gegeben, der sich durch die Generationen trage und somit auch einen Elternrückgang um 40 Prozent bedeute. Generationen fielen um "wie Dominosteine". Es setze unweigerlich eine Entwicklung ein, "die nicht mehr aufzuhalten und deren Dimension nicht mehr abzusehen ist".
Seine Kritik zielt in Richtung Politik, die über die Problematik Bescheid wisse, aber "mit gezielter Desinformation" einen "Mythos Demografie" aufbaue. "Die Bürger müssen verstehen, dass hinter den Warnungen keine verschwörerischen Absichten stehen, sondern dass allein die millionenfache Entscheidung gegen Kinder schuld an den zu erwartenden Horrorszenarien ist." Für die heute Geborenen prophezeit der Professor eine "Unruhe im Lebenslauf", um die Sicherung im Alter überhaupt noch schultern zu können. "Sie müssen alles versuchen, was möglich ist, um durch Kapitalansammlung zu sparen, um sich im Ater etwas leisten zu können."
Die Organisation für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) stellte in diesem Zusammenhang kürzlich fest, mit den Leistungseinschnitten habe Deutschland seine staatliche Altersvorsorge zukunftsfester gemacht, allerdings drohe in den kommenden Jahrzehnten eine zunehmende Altersarmut. Durch die Rentenreformen der vergangenen Jahre habe Deutschland "die finanzielle Nachhaltigkeit des Systems deutlich erhöht". Arbeitnehmer müssten aber "verstärkt privat vorsorgen, um eine ausreichende und im OECD-Vergleich übliche Rente zu erhalten".
Der Chef der Deutschen Rentenversicherung, Herbert Rische, betont, dass Altersarmut in den vergangenen 20 bis 30 Jahren kein Thema in Deutschland war. Die gesetzliche Rentenversicherung sei in dieser Hinsicht ein Erfolgsmodell: "Die ältere Generation ist heute relativ gut versorgt. So beziehen nur etwa zwei Prozent aller 65-Jährigen zusätzlich zu ihrer Rente Leistungen der Grundsicherung." Langfristig aber werde, so räumt Rische ein, das Leistungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung durch die beschlossenen Reformen sinken. Eine "Lebensstandardsicherung allein durch die gesetzliche Rentenversicherung wird es nicht mehr geben." Zum Ausgleich sei zusätzliche Altersvorsorge erforderlich. Hierfür gewähre der Staat Zulagen oder steuerliche Vergünstigungen. Untersuchungen der Rentenversicherung hätten ergeben, dass gerade der Personenkreis der Geringverdiener von dem Angebot Gebrauch mache.
In Berlin-Wilmersdorf hat man sich unabhängig aller Horrorszenarien auf das Altern der Republik schon mal eingestellt. In diesem Frühsommer wurde dort der erste deutsche Spielplatz für Senioren eingeweiht. Mit Rückenmassagegeräten, Beweglichkeitstrainern und "Trimm Dich"-Stangen - nur der Sandkasten fehlt.
Die Autorin ist Korrespondentin im Bundesbüro der Nachrichtenagentur ddp.