GeschichtE
Im Kaiserreich wurde das erste staatliche Alterssicherungssystem der Welt eingeführt. Dass Alte - im Prinzip - von ihrer Rente leben können, gilt aber erst seit 50 Jahren.
Natürlich, Otto von Bismarck. Wenn es in Deutschland um die soziale Sicherung und ihre Geschichte geht, fällt meistens nach wenigen Sätzen der Name des Reichskanzlers. Auch als Schöpfer der gesetzlichen Rentenversicherung - übrigens des ersten staatlichen Alterssicherungssystems der Welt - kann Bismarck angesehen werden. Im Jahr 1889 beschlossen, wurde die Alters- und Invaliditätsversicherung zwei Jahre später eingeführt und ergänzte die Kranken- und die Unfallversicherung.
Freilich ist für das bis heute zumindest in seinen Grundzügen bestehende Rentensystem ein anderes Datum von entscheidenderer Bedeutung: der 21. Januar 1957. Eine faktische Große Koalition verabschiedete im Bundestag das von der Regierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) vorgelegte Reformgesetz - gegen die Stimmen der Regierungspartei FDP. Rückwirkend zum 1. Januar wurde eine erstmals auf Existenzsicherung zielende Rentenversicherung eingeführt und die Finanzierung in einem Umlageverfahren organisiert. Seither bezahlt die im Berufsleben stehende der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Generation mit ihren Beiträgen den Lebensabend. Schöner Nebeneffekt für Adenauer: Bei den Bundestagswahlen 1957 erhielt die Union die absolute Mehrheit.
Bis 1957 war die Rente allerdings nicht mehr als ein Zubrot, verstanden als eine Ergänzung zur Versorgung der Alten in den Familien. Die Bismarck'sche Rentenversicherung gewährte Senioren vor allem im Falle einer Arbeitsinvalidität Rente - vom 70. Lebensjahr an und zunächst nur den Arbeitern sowie solchen Angestellten, die ein geringeres Jahreseinkommen als 2.000 Mark hatten.
Viele kamen nicht in den Genuss der Leistung, lag doch die durchschnittliche Lebenserwartung der Arbeiter im Jahr 1910 bei 45 und die der Arbeiterinnen bei 48 Jahren. Entsprechend niedrig war der Beitragssatz. Er betrug 1,7 Prozent und wurde je zur Hälfte von Arbeitern und Arbeitgebern getragen. Jeder Versicherungspflichtige zahlte auf ein persönliches Rentenkonto und sparte sein Alterskapital an. So ganz haute das Kapitaldeckungsverfahren aber auch damals nicht hin: Durchschnittlich steuerte der Staat ein Drittel der Ausgaben bei. Die DDR hielt das Grundprinzip der ursprünglichen Rentenversicherung übrigens bis 1990 bei.
Die Versicherungspflicht für alle Angestellten wurde 1911 eingeführt, zudem die Hinterbliebenenversorgung für Witwen und Waisen. Fünf Jahre später senkte die Regierung das Renteneintrittsalter auf 65 Jahre, wodurch sich die Zahl der Rentenempfänger verdoppelte. Die finanzielle Lage der Rentenversicherung verschlechterte sich mit dem Ersten Weltkrieg und der Weltwirtschaftskrise massiv.
Die Nationalsozialisten schichteten dann auch noch Überschüsse der Sozialversicherung zur Deckung der Rüstungsausgaben um. Juden und andere Verfolgte des Regimes wurden aus der sozialen Sicherung komplett ausgeschlossen. Der 1938 gegründete Reichsverband Deutscher Rentenversicherungsträger blieb nach 1945 als zentrales Organ der Rentenversicherung bestehen. Von 1946 nannte er sich Verband Deutscher Rentenversicherungsträger.
Mit der Reform von 1957, der jahrelange Diskussionen vor allem über die Finanzierung vorausgegangen waren, sollte den Alten ein Leben ohne Rückgriff auf die Einkommen ihrer Kinder ermöglicht werden. Dazu wurde die "dynamische" Rente eingeführt. Das bedeutet, dass die Höhe der Rente über eine bestimmte Formel an die Lohnentwicklung angepasst wird. Bis 1957 lag die monatliche Mindestrente bei 50 D-Mark. Mit der Reform schoss das Rentenniveau in die Höhe, und der Kreis der Anspruchsberechtigten wurde erheblich ausgeweitet - in den ersten Jahren nach der Reform erhielten also vergleichsweise viele Rentner eine relativ hohe Rente, für die sie wenig oder nichts an Beiträgen bezahlt hatten. Durchschnittlich wuchsen die Renten um zwei Drittel an. Der Beitragssatz lag bei 14 Prozent.
Die Geschichte der gesetzlichen Rentenversicherung in der Bundesrepublik ist geprägt von Reformen - seit 1957 gab es mehr als 50. In vielen ging es um die Finanzierungsgrundlagen. Denn die Beiträge wuchsen und wuchsen. Schon 1972 lag der Beitragssatz bei 17 Prozent. In einer Reform desselben Jahres wurde die Rentenversicherung unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) für Selbstständige und Hausfrauen geöffnet und die Rente nach Mindesteinkommen für Kleinverdiener etabliert. Die so genannte flexible Altersgrenze ermöglichte einen Ausstieg aus dem Berufsleben mit 63 Jahren.
1985/86 kletterte der Rentenbeitrag auf annähernd heutiges Niveau (19,2 Prozent). Mit der deutschen Einheit 1990 wurden rund vier Millionen DDR-Rentner in das bundesdeutsche Rentensystem einbezogen, was die Finanzlage der Rentenkasse weiter verschärfte. 1992 setzte Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) mit der schwarz-gelben Koalition durch, dass Renten nicht mehr nach den Brutto-, sondern gemäß der Nettolöhne angepasst werden. Nach der Bundestagswahl 1998 kippte die neue rot-grüne Bundesregierung den "demografischen Faktor", der den Anstieg der Renten verlangsamt hätte. Um die sich verschärfenden Probleme der Rentenversicherung abzumildern, beschloss Rot-Grün dann aber selbst 2001 eine Absenkung des Rentenniveaus. Als Ausgleich wird die private Vorsorge staatlich gefördert: die "Riester-Rente", benannt nach dem damaligen Bundesminister Walter Riester (SPD).
Die Autorin ist Redakteurin bei "Das Parlament".